Aufstieg und Niedergang des Patriarchats

  03 Juli 2016    Gelesen: 933
Aufstieg und Niedergang des Patriarchats
Islam und Unterdrückung der Frau - das ist zu kurz gesprungen. Das Streben des Mannes nach Kontrolle über die Frau ist älter. Und es hat zu tun mit Sex, Evolution, Kultur und Religion.

Unterdrückung der Frau, sexuelle Gewalt und Islam - es steckt eine Menge Sprengkraft in der seit Köln häufig aufgestellten Behauptung, diese Dinge hätten grundsätzlich etwas miteinander zu tun. Allerdings springt man mit diesem hässlichen Dreiklang tatsächlich zu kurz. Es gibt einen größeren Zusammenhang: den zwischen Sex, Evolution, Patriarchat und Religion.

Das zeigen Erkenntnisse von Soziobiologen und Evolutionspsychologen, die in der Debatte um Gleichberechtigung und Patriarchat immer noch zu kurz kommen. Dabei beschäftigen sich sowohl feministische Theorien als auch die Evolutionsbiologie mit den gleichen Aspekten: Es geht vor allem um Macht und die Kontrolle weiblicher Sexualität.

Allerdings gehen "Evolutionsbiologen auch der tieferen Frage nach, warum Männer überhaupt die Kontrolle über Frauen ausüben wollen, während Feministinnen dazu neigen, dies als gegeben zu betrachten". Das stellte die amerikanische Feministin und Biologin Barbara Smuts bereits 1995 in einem wegweisenden Artikel fest.

Biologische Wurzeln des Patriarchats

Um zu begreifen, wie sich das Patriarchat mit seiner Kontrolle über die weibliche Sexualität entwickeln konnte, müssen wir weit in die biologische Vergangenheit zurückblicken. Vor etwa 1,5 Milliarden Jahren entwickelte sich die sexuelle Fortpflanzung mit zwei Geschlechtern. Bis in die Gegenwart haben beide ihre jeweils eigene sexuelle Evolution hinter sich gebracht, die zu vielfältigen geschlechtsspezifischen Bauplänen und Verhaltensweisen geführt hat.

Bei Säugetieren ist der wichtigste Unterschied zwischen den Geschlechtern, dass Weibchen für die Fortpflanzung erheblich mehr körperliche Ressourcen aufwenden müssen als Männchen. Junge werden von der Mutter erst im eigenen Körper versorgt und nach der Geburt gesäugt. Sich zeitnah mit mehreren Partnern einzulassen, führt nicht zu mehr Schwangerschaften. Männchen dagegen können theoretisch mit jeder zusätzlichen Partnerin auch mehr Nachwuchs zeugen.

Das führt, wie der Bio-Philosoph Eckart Voland in seinem Buch "Die Natur des Menschen" schreibt, "zu einer folgenreichen und soziokulturell höchst dynamischen Angebots- und Nachfrage-Asymmetrie auf dem Markt sexueller Transaktionen". Theoretisch kann ein Männchen seine Reproduktion erhöhen, wenn es sich den Zugang zu einem oder mehreren Weibchen sichert und Konkurrenten von diesen fernhält.

Dies ist die Basis, von der aus das Fortpflanzungsverhalten der Primaten - auch des Menschen - betrachtet werden muss. Unsere nächsten Verwandten haben auf dieser Grundlage verschiedene Fortpflanzungsstrategien entwickelt.

Bei Gorillas etwa verteidigt ein einzelnes Männchen einen Harem gegen Konkurrenten. Bei Schimpansen dominiert ein Alpha-Männchen - auch mit Gewalt - die anderen Gruppenmitglieder und hat privilegierten Zugang zu den Weibchen. Das hält andere Männchen und Weibchen allerdings nicht von gelegentlichem - heimlichen - Sex ab. Bonobos (Zwergschimpansen) paaren sich dagegen extrem promiskuitiv.

Der Mensch ist sexuell gesehen relativ flexibel. In den meisten Kulturen herrscht offenbar eine Neigung zur - häufig vorübergehenden - monogamen Paarbindung vor. Je nach den Umständen kommt Polygynie vor, bei der ein Mann mehrere Partnerinnen hat. Extrem selten ist die Polyandrie: In abgelegenen Tälern im Himalaya etwa wird die Tochter vom Vater an den ältesten Sohn einer anderen Familie gegeben und heiratet dessen Brüder gleich mit.

Menschen können also, je nach vorherrschenden Umständen, unterschiedliche Strategien verfolgen. Wieso haben sich in der Vergangenheit dann patriarchalische Strukturen durchgesetzt?

Folgen der Sesshaftigkeit

Bevor der Mensch vor etwa 10 000 Jahren sesshaft wurde, war er offenbar ein Kleingruppen-Nomade mit relativ klarer Arbeitsteilung: Vor allem die Männer widmeten sich der Jagd, während Frauen eher Nahrung sammelten - eine für die Versorgung wichtigere Arbeit - und die Kinder der Gruppe betreuten. Anthropologen sind sich weitgehend einig darin, dass in solchen Gesellschaften die Geschlechter relativ gleichberechtigt waren. Beide Geschlechter könnten unter diesen Umständen ihre Partner frei gewählt haben.

Als mit der Neolithischen Revolution Ackerbau und Viehzucht aufkamen, änderte sich die Geschichte der Menschheit dramatisch. Wie etwa Ian Morris von der Stanford University schreibt, verbesserte sich die Versorgung, die Geburtenrate stieg, die Arbeitsteilung wurde noch strikter:

Frauen waren häufiger als zuvor schwanger und kümmerten sich neben der Landwirtschaft um mehr Säuglinge und Kleinkinder, den Haushalt und Handarbeiten. Die typische Bäuerin, so Morris, brachte sieben Kinder zur Welt. Die Rolle der Männer als Bauern und Handwerker wurde für den Lebensunterhalt und den Wohlstand der Familien jedoch wichtiger als die Arbeit der Frau.

Was nach einer reproduktiv betrachtet erfolgreichen Strategie klingt, hatte einen bedeutenden Nebeneffekt: Die Frauen gerieten vielerorts in eine immer größere materielle Abhängigkeit vom Ehemann, während dieser in die Lage kam, seine ans Haus gebundene Frau zu beherrschen. Die Aufgabe der Männer, das Eigentum gegen Konkurrenz und Raub zu verteidigen, führte zu Bruder- und Verwandtenbündnissen. Erste Städte und Staaten entstanden, die wiederum von Männern kontrolliert wurden.

In so ziemlich jeder bekannten Kultur der Welt haben Männer über die Jahrtausende hinweg so das Patriarchat etabliert.

Die Frau als Teil von Hab und Gut

Frauen wurde das Selbstbestimmungsrecht weitgehend genommen, teils wurden sie geradezu wie eine Art Besitz behandelt. Söhne wurden als Erben des väterlichen Besitzes und als Familienoberhäupter höher geschätzt als Töchter - die als wertvolle Ressource an andere Männer gegen einen Brautpreis verkauft werden konnten.

Wie die Literatur der Antike belegt, wurden Frauen zwar nicht immer und überall rechtlos, aber den Männern klar untergeordnet. Letztlich nutzten Ehemänner ihre Vorteile, um sich die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen so weit wie möglich zu sichern und Konkurrenz fernzuhalten.

Solche durch Evolutionsinteressen geprägte Motive würden zwar nicht unmittelbar in gesellschaftliche Praxis umgesetzt, schreibt dazu der US-Evolutionspsychologe Steven Pinker in seinem Buch "Gewalt". Früher wie heute "können sie die Menschen aber dazu antreiben, sich für Gesetze und Sitten einzusetzen, die diese Interessen schützen." Das Ergebnis seien die allgemein verbreiteten juristischen und kulturellen Normen, durch die Männer sich untereinander das Recht auf Kontrolle über die Sexualität von Ehefrauen und Töchter zusprechen.

Quelle: sueddeutsche.de

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