Wie erwartet, waren die herausragenden Themen der Gespräche Barsanis in der Türkei der Umgang mit Schulen im Kurdengebiet, die dem umstrittenen Prediger Fethullah Gülen gehören, der Kampf gegen den IS, die anstehende Mosul-Operation und der Status quo in Syrien sowie die bilateralen Beziehungen.
Es bleibt zu bemerken, dass im Falle der Gülen-Schulen ein Kompromiss gefunden wurde. Es existieren rund 20 Bildungsinstitutionen im KRG-Raum mit Beziehungen zu Gülen. Anfänglich erklärte Erbil, dass es die Institutionen schließen wolle, aber über ihre Aussichten gab es keine genaue Auskunft. Nun könnten die Gülen-Institutionen an „Maarif Vakfi“ (zu Deutsch: Bildungsstiftung) übergeben werden, wie die staatliche türkische Tageszeitung im Juni 2016 berichtete. Über diese Stiftung könnten die Bildungseinrichtungen im Kurdengebiet schon bald wieder ihren Betrieb aufnehmen. Der Kompromiss über die Gülen-Schulen werde voraussichtlich ein wichtiges Vertrauenseingeständnis von Erbil an die Türkei darstellen.
Darüber hinaus bemerkte Mesut Barsani, dass „große Veränderungen die Region erwarten“. Im Anschluss begann die Dscharablus-Offensive der Türkei in Syrien. Diese Aussage deutet an, dass es einen Meinungsaustausch der Türken mit Barsani gab. Der Kampf gegen den IS in Syrien und Irak hat eine integrative Bedeutung für die Türkei. Nicht zuletzt deshalb dürfe der Kampf gegen den Terror nicht auf einer Schulter sitzen. Die Aussagen Barsanis hinsichtlich einer Einigung mit der Türkei über den Kampf gegen den IS signalisiert, dass auch Erbil die Dscharablus-Operation unterstützt. Die Türkei bedient sich in Syrien und Irak lokaler Kräfte, um den IS in der Region im Rahmen der internationalen Koalition in der Region zurückzudrängen. Es ist auch bekannt, dass besonders viele Peschmerga der Barsani-Regierung in türkischen Militärcamps in der Türkei und im Irak ausgebildet wurden. Die Peschmerga spielen im Irak eine zentrale Rolle beim Zurückschlagen des IS. Die türkische Militärbasis Baschika, deren Rolle vergangenes Jahr medial heiß diskutiert wurde, stellt einen wichtigen Pfeiler der Stabilität für die Peschmerga dar. Dort werden intensiv Anti-IS-Kämpfer von türkischen Militärberatern ausgebildet. Türkische Soldaten töteten soweit rund 470 IS-Mitglieder von Baschika aus, die nur wenige Kilometer von der IS-Stadt Mosul entfernt liegt. Als Fels in der Brandung spielen türkische Truppen im Irak eine vermittelnde und unterstützende Rolle.
Um das Standing der Kurdenregion und die Effektivität der Türkei im Irak gegen den IS zu konsolidieren, sollten die Türkei und KRG ihre Anstrengungen gegen den gemeinsamen Feind PKK erhöhen. Die YPG- oder auch PKK-Präsenz im nordwestlichen Sindschar-Gebiet müsse geschwächt werden. Im gleichen Atemzug sollten die Truppen gegen den IS in Mosul mobilisiert werden. Für die Türkei ist die Neutralisierung der PKK gemeinsam mit dem IS, damit sie nicht die Option erhält, ein Vakuum zu füllen, vom nationalen Interesse.
Die PKK selbst versucht in Nordsyrien und im Nordirak, vor allem im Sindschar, eine integrative staatsähnliche Struktur zu schaffen. Daraus lässt sich schließen, dass sich eine neue regionale Sicherheitsgefahr anschließt in der Periode nach der Zerschlagung des IS. Konfliktzonen, die vom Irak in die Türkei führen, und das Erscheinen von semistaatlichen Strukturen unterminieren die Sicherheit des Nordirak. Dieser Umstand wird auch die politische Instabilität Bagdads und Erbils vertiefen.
Als Partner der Türkei möchte Ankara sicherstellen, dass Mesut Barsani die KRG-Präsenz im Nordirak auch konsolidieren kann. Die YPG/PKK liefert sich mit der KRG im kurdischen Einzugsgebiet Iraks einen regelrechten Konkurrenzkampf um die offizielle Autorität über das kurdische Volk. Über kurz oder lang wird die Konkurrenz in bewaffneten Gefechten münden, der einen neuen regionalen Konflikt herbeirufen könnte. Der Konflikt durchzieht ebenso die Rivalität innerhalb des politischen Alltags in Erbil. Beispielsweise agieren die pro-iranische PUK unter Talabani gemeinsam mit der Gorran-Bewegung gegen die Barsani-geführte KDP in der Kurdenhauptstadt. Immer wieder rufen sie politische Sackgassen für die KDP in KRG hervor, die die Partei vor schwierigen Herausforderungen stellt. Ihre Kompromissbereitschaft erkauften sich die PUK und Gorran von der KDP mit umfangreichen politischen Deals. Auch wenn Gorran und PUK in wichtigen Regionen wie Erbil, Dohuk oder an der türkischen Grenze nicht so erfolgreich sind, genießen sie im Rahmen der Alltagspolitik von KRG einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Um sich mehr Argumentationskraft in Erbil zu sichern, versuchen die Parteien die KDP mit allen Mitteln zu schwächen. Dieses setzen die PUK und Gorran mittels der militärischen Hardpower und dem Einfluss der YPG/PKK durch. Während des Besuchs Barsanis in der Türkei reiste bezeichnenderweise eine PUK-Delegation unter der Führung von Mele Bahtiar nach Bagdad, um ebenfalls für Unterstützung zu werben – gegen die KDP.
Nichtsdestotrotz versucht Mesut Barsani, zwischen den regionalen Machtblöcken zu balancieren. Beim Besuch Barsanis in der Türkei sagte der Vorsitzende des KDP-Büros für Auswärtige Angelegenheiten, Hemin Hawrami, dass Barsani in Kürze auch Iran besuchen wolle. Diese gelten als Unterstützer der PUK. Diese Stellungnahme beweist, dass Barsani Iran als wichtigen Akteur innerhalb der Dynamik in KRG wahrnimmt. In der Tat tritt eine neue Atmosphäre im Nahen Osten hervor. In dieser Periode orientiert die Türkei ihren regionalen Fokus hin zur Normalisierung von Beziehungen neu. Insbesondere die proaktive und lösungsorientierte Haltung der Türkei im Kampf gegen Terrorismus in der Region scheint in der Region, Aufmerksamkeit zu finden. Unter diesem Eindruck will Barsani ebenso eine neue Position im Nahen Osten einnehmen und seine vorteilhafte Ausgangslage seit 2003 ausnutzen.
In dieser Stelle wäre die Argumentation naheliegend, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass eine multilaterale Dynamik der Zusammenarbeit entstehen wird sowohl für die Türkei und KRG in der Folgezeit nach dem IS.
Quelle:eurasianews
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