Die Wutbürger von Wukan

  15 September 2016    Gelesen: 734
Die Wutbürger von Wukan
Ein Dorf im Süden Chinas kämpft erfolgreich gegen Machtmissbrauch und Landraub – und wird deshalb landesweit zum Symbol. Doch dann werden die Wortführer festgenommen.
Die Spezialtruppen der Polizei stürmten das Dorf Wukan um drei Uhr in der Nacht. Sie verschafften sich Zutritt zu einigen Häusern und nahmen mindestens 13 Personen fest. Zornige Dorfbewohner wehrten sich, die Polizisten setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Auf Fotos, die im Internet kursierten, sind mit Helmen und Schilden ausgerüstete Polizisten, blutbefleckte Bewohner und aufgebrochene Türen zu sehen.

Das Büro für öffentliche Sicherheit des Kreises gab bekannt, dass man in Wukan 13 Verdächtige wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ festgenommen habe. Sie hätten Gerüchte verbreitet und andere mit Geld und Drohungen zu illegalen Demonstrationen veranlasst. Dies habe den Verkehr, die Schule und die Geschäfte behindert und damit einen negativen Einfluss gehabt.

Konflikt um Land und Geld

Die Saga um das Dorf Wukan bekommt damit ein neues Kapitel. Wukan ist in China und über die Grenzen von China hinaus als ein Dorf bekannt geworden, das sich mit der chinesischen Obrigkeit angelegt und gewonnen hat. Vor fünf Jahren protestierten die Bewohner von Wukan, gelegen in der Provinz Guangdong an der südchinesischen Küste, in mehreren Demonstrationen gegen ihr Dorfkomitee. Man hatte ihr Land beschlagnahmt und an Baugesellschaften verkauft, ohne sie zu entschädigen.

Die Bevölkerung beschuldigte die lokalen Funktionäre, sich die Entschädigungsgelder in Höhe von 700 Millionen Yuan (rund 90 Millionen Euro) eingesteckt zu haben. Es gab Ausschreitungen, und die Lage eskalierte, als die Polizei Sprecher der Bauern festnahm und einer von ihnen unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben kam. Dorfbewohner stürmten die Polizeistation und verlangten die Herausgabe seines Leichnams und die Freilassung der übrigen Wortführer. Die Polizei zog einen Belagerungsring um das Dorf. Bei Verhandlungen gaben die Behörden schließlich nach: Sie entließen zwei Funktionäre und wiesen an, dass das beschlagnahmte Land zurückgegeben werden sollte.

Noch bemerkenswerter war, dass den Bewohnern erlaubt wurde, ein neues Dorfkomitee und einen Dorfvorsteher selbst in geheimer Wahl zu bestimmen. Wukan wurde damit zu einem Symbol in China für den Widerstand gegen illegale Landnahme und gegen die Korruption in den ländlichen Gebieten, aber auch zum Hoffnungsträger dafür, dass demokratische Veränderungen möglich sind und die Regierung zum Einlenken bewegt werden kann. Die „Wukan-Lösung“ wurde zu einem Schlagwort in der politischen Debatte. Doch offenbar ging die Landnahme in Wukan trotzdem weiter. Im März dieses Jahres beschwerte sich der gewählte Dorfvorsteher, Lin Zuluan, in einem Brief an die Behörden über neue Landnahmen und drohte mit abermaligen Protesten. Im Juni wurde er nachts in seinem Haus verhaftet und der Korruption angeklagt. Seither hat es in Wukan jeden Tag Protestaktionen gegeben. In der vergangenen Woche wurde Lin Zuluan wegen Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von 600.000 Yuan zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Vor den Kameras des chinesischen Staatsfernsehens legte er ein vermeintliches Geständnis ab. Als die Dorfbewohner danach trotzdem weiter protestierten, reagierten die Behörden am Dienstag mit weiteren Festnahmen.

Die Proteste in Wukan stehen stellvertretend für Probleme, mit denen sich die Landbevölkerung in ganz China seit Jahren konfrontiert sieht. Chinesische Bauern haben kein Besitzrecht auf ihr Land. Das Ackerland gehört dem Kollektiv, also dem Dorf oder der Stadt, der Bauer ist nur Pächter. Über den Verkauf von Land entscheidet das Parteikomitee des Dorfes, das dann auch Entschädigungen an die jeweiligen bäuerlichen Haushalte zahlen müsste. Doch immer wieder wird bekannt, dass die Funktionäre keine oder zu wenig Entschädigung zahlen oder die Gelder in den Taschen korrupter Funktionäre verschwinden. Immer mehr Bauern verlieren dadurch nicht nur ihr Land, sondern auch eine finanzielle Grundsicherung. Proteste führen nur manchmal zum Erfolg. Der weit auslegbare Tatbestand der „Störung der öffentlichen Ordnung“ gibt der Polizei reichlich Handhabe gegen Demonstranten vorzugehen.


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