Merkels perfekter Notkandidat

  16 November 2016    Gelesen: 502
Merkels perfekter Notkandidat
Einst galten sie als perfektes Paar der Außenpolitik, zuletzt knirschte es zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Jetzt wird der SPD-Politiker Bundespräsident. Ein Problem für die Kanzlerin?
Auf dem Amt liegt ein Fluch für Angela Merkel. Zum vierten Mal schon musste sie einen neuen Bundespräsidenten finden. Und zum vierten Mal sieht die Kanzlerin dabei nicht gerade glücklich aus. Horst Köhler und Christian Wulff traten zurück, Joachim Gauck wurde ihr aufgezwungen. Jetzt hat die Union in der Bundesversammlung die meisten Stimmen - aber das nächste Staatsoberhaupt kommt aus der SPD.

Natürlich gibt sich Merkel Mühe, nicht als Verliererin dazustehen. Frank-Walter Steinmeier sei "ausgezeichnet geeignet" für das Amt des Bundespräsidenten, ein "Mann der politischen Mitte", der in Zeiten weltweiter Unruhe für Stabilität stehe. "Ganz ungewöhnlich eng" arbeite sie mit ihm zusammen.

Es klingt bei Merkels Auftritt im Kanzleramt so, als sei Steinmeier der natürliche Kandidat, als hätte es gar keinen anderen geben können. Letzteres stimmt natürlich insofern, als dass die CDU-Chefin am Ende keine andere Wahl hatte, als den von Sigmar Gabriel auserkorenen SPD-Favoriten und Publikumsliebling zu unterstützen. Ein Unionskandidat war einfach nicht aufzutreiben.

Aber auch jenseits des parteipolitischen Gerangels: Merkels Würdigung des nunmehr gemeinsamen, großkoalitionären Kandidaten ist keine reine Camouflage. Schließlich hat sie den 60-Jährigen nicht deswegen zunächst abgelehnt, weil sie ihn für untauglich hält, sondern weil sie den Unmut ihrer Partei fürchten musste.

Tatsächlich kann die Kanzlerin mit einem Bundespräsidenten Steinmeier gut leben. Für ein paar Monate ohnehin, aber auch, sollte Merkel im Herbst noch einmal zur Regierungschefin gewählt werden. Wofür nicht wenig spricht. Steinmeier ist Merkels Notkandidat. Aber ein ziemlich perfekter.

Dabei weiß Merkel: Steinmeier wird kein bequemer Präsident sein, egal, wie ähnlich sie sich als Politikertypen sind, egal, wie gut sie sich in der Vergangenheit verstanden haben.

Erst Harmonie, dann Entfremdung

Merkel und Steinmeier kennen sich seit Jahren. Sie eint der Pragmatismus, ihre Art, unaufgeregt Politik zu machen. Steinmeier war schon in Merkels erstem schwarz-roten Bündnis Außenminister und Vizekanzler. Als er Merkel anschließend bei der Bundestagswahl als SPD-Spitzenkandidat herausforderte, wurde ihm auch die fehlende Unterscheidbarkeit zum Verhängnis - er verlor krachend.

2013 dann die Rückkehr ins Kabinett, auf den gleichen Posten. Merkel und Steinmeier harmonierten gut, etwa in ihrem Bemühen, den Ukraine-Konflikt zu befrieden. Obwohl Kanzleramt und Auswärtiges Amt gerade in Krisenzeiten auf dem Feld der Außenpolitik konkurrieren, schwärmten Kommentatoren von einem "eingespielten Team".

Zuletzt war davon weniger die Rede. Die Teamspieler von einst gingen immer öfter auf Distanz. Es knirschte bei der Bewertung zentraler Themen:

Beispiel Russlandpolitik: Die Union wirft Steinmeier und der SPD schon länger vor, zu milde mit Moskau umzugehen. Als der Außenminister der Nato angesichts eines Manövers "Säbelrasseln" unterstellte, reagierte der Koalitionspartner wütend. Der Ärger sitzt tief, so tief, dass Jens Spahn in der Sitzung des CDU-Präsidiums spottete, dass sich mit Deutschland nach Bulgarien und Moldau binnen 24 Stunden das dritte Land für einen russlandfreundlichen Präsidenten entschieden habe. So berichtete es zunächst die "Welt", Teilnehmer bestätigten die Bemerkung.

Beispiel Brexit: Nach dem britischen Referendum zum EU-Austritt besprach Steinmeier mit fünf europäischen Amtskollegen, wie es weitergehen soll. Andere Mitgliedstaaten fühlten sich übergangen, die Kanzlerin warnte vor der Bildung von "Untergruppen".

Beispiel US-Wahl: Wenig diplomatisch vermied es der Außenminister, Donald Trump nach dessen Sieg zu gratulieren. Im Wahlkampf hatte er den künftigen Präsidenten als "Hassprediger" beschimpft. Für beides fing er sich einen Tadel aus der Union ein.
Die Zwistigkeiten zeigen: Merkel muss auch mit unangenehmen Zwischenrufen aus dem Schloss rechnen. Steinmeier will ein politischer Präsident sein, kein repräsentativer Grüßonkel.

"Wer mich kennt, weiß, dass ich es mir nie einfach gemacht habe, sondern immer auch unbequeme Dinge sage, für die es in der Öffentlichkeit keinen Applaus gibt", sagt Steinmeier im Interview mit der "Bild", dem ersten, das nach Lösung der P-Frage veröffentlicht wird. Wer die Passage im Kontext liest, erkennt, dass der Satz nicht im direkten Zusammenhang mit seinem künftigen Job fällt. Tatsächlich aber hoffen gerade Sozialdemokraten, dass Steinmeier im höchsten Amt des Staates an rhetorischer Prägnanz gewinnt.

Merkel würde auch das aushalten. Womöglich setzt sie darauf, dass auch die SPD nicht auf stets freundliche Worte der neuen Nummer eins hoffen kann. Denn auch wenn Sigmar Gabriel ihm letztlich den Weg an die Staatsspitze ebnete - beste Freunde sind die beiden nicht.

Bevor Merkel, Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer Steinmeier am Mittwoch offiziell zum Kandidaten küren, ruft für Steinmeier die Pflicht. Er besucht an diesem Dienstag die Türkei, erstmals seit dem gescheiterten Putschversuch. Das Verhältnis zu Ankara ist extrem angespannt, Staatschef Erdogan geht massiv gegen Opposition und Medien vor. Steinmeier will versuchen, die Gesprächskontakte aufrecht zu erhalten und zugleich Rechtsstaatlichkeit anmahnen.

Quelle : spiegel.de

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