Ich denke schon, dass heute zu einem gewissen Grad die Vernunft gesiegt hat, jedenfalls war bei diesem Wahlausgang die Vernunft von größerer Bedeutung als die Emotionen.
Wie viel Aktivität erwarten Sie von dem neuen Präsidenten?
Ich hoffe, dass er ein sehr aktiver Präsident sein wird. Der Präsident kann sehr viel zum Image unseres Landes beitragen. Es wird zwar immer davon geredet, dass der österreichische Präsident von der Verfassung her eine große formelle Macht hätte, das ist aber graue Theorie. Denn es wurden zwar Ende der 1920er Jahre in die österreichische Verfassung Kompetenzen hineigeschrieben, die beispielsweise der deutsche Präsident nicht hat, aber es hat nie ein Präsident von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht.
Es gibt auch so etwas wie eine Tradition des Verhaltens des Bundespräsidenten und bei Herrn Van der Bellen ist die Gewähr groß, dass er in dieser Tradition bleiben wird.
Ich erinnere jedoch an unseren früheren Präsidenten Kirchschläger, der durchaus mahnend das Wort erhoben hat, wie es manche deutschen Präsidenten auch getan haben, und davon gesprochen hat, dass man die Sümpfe der Korruption trocken legen muss und dass sich Österreich aktiver in der Welt engagieren muss. So etwas erwarte ich mir auch vom neuen Bundespräsidenten.
Nun kann man im Wahlkampf ja viel versprechen. Van der Bellen hat zum Beispiel von offenen Grenzen und der Aufnahme von Flüchtlingen gesprochen. Kann er das überhaupt stemmen, kann Österreich das stemmen?
Er hat nicht nur davon gesprochen, dass die Grenzen offen sind und jeder einfach kommen kann, sondern er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sich das innerhalb einer bestimmten Ordnung abzuspielen hat. Vor allem hat er schon im Wahlkampf angemahnt, dass er eigentlich eine europäische Lösung dieses Problems erwarten würde, damit Österreich nicht längerfristig auf sich allein gestellt agieren müsste. Er hat da also keinen so unähnlichen Standpunkt wie andere europäische Länder. Weil aber von der anderen Seite immer wieder das Argument kam, man müsse die Grenzen dicht machen, hat er als Kontrast gewarnt, dass die Sache nicht so einfach ist, denn wir haben ja auch Verpflichtungen gegenüber anderen EU-Staaten.
Norbert Hofer gilt ja als Russland-Freund und Viele haben sich eine Annäherung erhofft. Was ist dahingehend von Van der Bellen zu erwarten?
Im Diplomatendeutsch würde man sagen: Das sind unilaterale Erklärungen. Herr Hofer hat zwar gesagt, er sei ein Russland-Freund, von der Gegenseite habe ich aber wenig Echo gehört. Ich glaube, dass auch Herrn Van der Bellen klar ist, dass die Bedeutung Moskaus in der Zukunft weiter zunehmen und nicht abnehmen wird. Ich halte es auch durchaus für denkbar, dass es von seiner Seite nicht so ist, wie es manchmal von amerikanischer Seite behauptet wird, nämlich dass Russland eine Regionalmacht sei. Diese Einschätzung ist nicht nur faktisch falsch, sondern auch gefährlich. Ich glaube nicht, dass unser künftiger Präsident so unklug wäre, ebenfalls in diese Richtung zu denken.
Das Thema EU hat im Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Wenn es in der Bevölkerung tatsächlich eine gewisse Unzufriedenheit mit der EU gibt, wie kann Van der Bellen das Thema angehen?
Ich glaube nicht, dass ein Bundespräsident alleine die EU verändern kann – er kann nicht einmal die Einstellung der Österreicher gegenüber der EU fundamental ändern. Die primäre Rolle hat die Regierung zu spielen, da sind auch die wahren Probleme zuhause. Nicht nur in Österreich, sondern in den meisten EU-Staaten ist eine gewisse Tendenz vorhanden, dass die Regierungschefs, wenn sie in Brüssel sind, anders reden, als sie zuhause dann das interpretieren, was sie beschlossen haben. Wenn etwas dabei ist, was ihnen nicht in den Kram passt, tun sie häufig so, als wären sie nicht dabei gewesen.
Alle diese Dinge, die durchaus als Fehlentwicklungen festgestellt werden können, kann der Bundespräsident nicht grundsätzlich ändern, aber er kann darauf hinweisen und die Dinge kommentieren. Es wird auch in Zukunft so sein, dass der Bundespräsident in die Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU nicht eingreifen wird, aber er kann Themen zur Sprache bringen.
Quelle : sputnik.de
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