Kulturhauptstadt Valletta

  11 Januar 2018    Gelesen: 1389
Kulturhauptstadt Valletta
Ihr Ruf wehte weit über das Mittelmeer hinaus: In Maltas Strait Street schlug einst das wilde Herz der Inselhauptstadt Valletta. Pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr belebt Malta die berühmte Gasse wieder neu.
Giuseppe Schembri Bonaci ist gekommen, um die Straße seiner Kindheit zu retten: Jene 665 Meter lange und schmale Gasse, die bis hinunter an den Hafen der maltesischen Hauptstadt führt: die Strait Street. In der früher das rotlichtige Herz Vallettas schlug. Die strada stretta, die die Künstler und auch Soldaten so liebten. In der Bonacis Großvater den Tanzsalon Morning Star führte. In der jede Bar eine eigene Band hatte. Und wo Matrosen in den Stockbetten der Lodging Houses ihrer Räusche ausschliefen, während ihre Schuhe geputzt und ein Frühstück bereitet wurde. "Bis 1972 war die Straße voller Leben", sagt Bonaci und betrachtet wehmütig die heruntergekommenen Fassaden.

Seit in den späten Achtzigerjahren viele Bewohner Valletta den Rücken kehrten, hat auch das wilde Herz der Strait Street aufgehört zu schlagen. Auch Bonacis Familie verließ damals die Insel. Er selbst hat im Ausland studiert und als Künstler und Dozent gearbeitet. Jetzt ist Bonaci zurück in seiner Heimatstadt, lehrt an Maltas Universität und soll als künstlerischer Leiter für die kulturelle Wiederbelebung von Vallettas berühmtester Gasse sorgen - eines der wichtigsten Projekte für das Kulturhauptstadtjahr 2018.

Jetzt kommt das große Geld

Nach und nach werden die alten Paläste aufgehübscht, doch bis die Strait Street "chic" ist, wie Bonaci es nennt, wird es noch dauern. Doch so sehr sich der Bohemian mit den wilden grauen Locken, der am liebsten experimentelles Theater macht und Multikulturelles schätzt, sich über seine Aufgabe freut, er fürchtet sich auch vor dem, was die aktuellen Investitionen mit sich bringen. "Nun kommt das große Geld in die Strait Street und ich helfe bei dieser Kommerzialisierung auch noch mit", sagt er. Sein Ziel: Durch die Strait Street soll auch wieder ein bisschen vom früheren, anarchischen Geist wehen. Ob ihm das gelingt?

1994 ist Bonaci schon einmal mit einem Strait-Street-Projekt gescheitert. Damals hatte ihm die Stadt das Teatru Strada Stretta überlassen, in dem er nach dem Vorbild von Dario Fos revitalisierter Commedia dell'Arte klassische Stücke persiflieren wollte. "Als sie meine Produktionen sahen, haben sie mir das Theater wieder weggenommen", erzählt der Künstler. Derzeit ist das ehemalige Theater eine leere Hülle, doch ein Plakat weist auf den künftigen Mieter hin. Eine NGO. Bonaci grinst. Ein NGO ist ihm lieber als noch ein Boutique-Hotel.

Auch der maltesische Journalist George Cini, 71, liebt die Strait Street und ist überzeugt: "Ohne die Strait Street wäre Valletta tot." Hier wurde in schlechten Tagen in den Bars und in den kleinen Läden das Geld verdient. Cini hat alte Fotos gesammelt und Illustrationen. Er kennt die Geschichten hinter den Fassaden, hat sich mit ehemaligen Bardamen getroffen und den Transvestiten. Das daraus entstandene Buch "Strait Street - Secrets and stories from behind closed doors" soll das Gedächtnis der Strait Street sein - und eine Welt zeigen, die beinahe verschwunden ist.

Mit dem Hündchen unterm Arm

Wenn Cini durch die Straße geht, trifft er das alte Personal der Gasse. Den alten Guzi von der Cairo Bar zum Beispiel, der schon mit 14 als Transvestit arbeitete und in seinem Leben viel Geld verdient und ebenso viel ausgegeben hat. Heute lebt der zahnlose alte Mann davon, dass er Restaurant-Wäsche wäscht. Guzi winkt mit einem Hündchen auf dem Arm vom Balkon eines verfallenen Palastes.

Das Haus neben dem Restaurant Palazzo Preca - "da war mal eine Bar, Dirty Dick's, nur für Männer", weiß Cini. Der Besitzer sei überzeugt gewesen, dass Frauen nur Ärger machen. Die Mädchen der Bar The Egyptian Queen hingegen waren gern gesehen. Vor allem von den Matrosen, denen sie den Aufenthalt auf Malta versüßten. "Das waren kein Huren. Die meisten hielten die Seeleute nur in der Bar bei Laune", erklärt Cini. Die Bardamen, züchtig mit Rock und Bluse bekleidet, waren oft die einzigen, die zum Unterhalt ihrer bitterarmen Großfamilien beitrugen.

Cini hat ein Herz für die Underdogs der Gesellschaft, er kennt Armut aus eigener Erfahrung: George wuchs mit sechs Geschwistern auf. Manchmal durften sie sich eine Flasche Cola teilen, "dann gab's für jeden einen Schluck". Der Vater - war meist abwesend. "Er kam und ging. Ich wusste nicht einmal, dass er mein Vater war." Und so ist Cinis Buch über den Mikrokosmos Strait Street auch eine Spurensuche nach der eigenen Herkunft geworden. Nach dem, was bleibt.

Die Zukunft im Blick

Derweil haben die Organisatoren der Valletta 2018 Foundation, die sich um die Planung des Kulturjahres kümmert, weniger die Vergangenheit im Blick als die Gegenwart und die Zukunft. Und da tut sich allein optisch einiges in der zum Weltkulturerbe erklärten 6000-Einwohner-Stadt.

Ein Blickfang ist das von Renzo Piano entworfene Parlamentsgebäude mit seiner wabenartigen Steinfassade. Auch das Freilufttheater, das aus den Ruinen des königlichen Opernhauses entstand, und natürlich Pianos gewaltiges Stadttor, das Valletta zum Meer hin öffnet.

Nun, im Kulturhauptstadtjahr, ist Vallettas Veranstaltungskalender voll: mit mehr als 140 Projekten und 400 Events - von klassischer Oper über Performance und Design bis zu Musik, Tanz und Film. Wenn das Kulturjahr am 20. Januar feierlich eröffnet wird und Musik, Theater, Tanz und Videokunst die Plätze und Gassen der Stadt erfüllen, soll die "Festa" das große Erbe der Stadt in die Gegenwart holen. "Wir sehen Kultur als Investition in die Zukunft", schreibt Jason Micallef, der Chairman der Foundation Valletta 2018. Die Gesellschaft werde von der künstlerischen Dynamik profitieren. Im Kulturhauptstadtjahr wolle man "unterhalten, fordern, provozieren".

Giuseppe Schembri Bonaci, der künstlerische Leiter des Strait Street Projekts, sieht diesen dreifachen Anspruch als Auftrag: Die Strait Street soll sich wieder mit Leben füllen, aber dabei ihr Erbe, das George Cini für die Nachwelt aufgeschrieben hat, nicht vergessen.

Quelle : spiegel.de

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