Erdogan kann in Syrien kaum Land gewinnen

  27 Januar 2018    Gelesen: 2193
Erdogan kann in Syrien kaum Land gewinnen
Der türkische Präsident Erdogan kündigt an, die gesamte Grenze zu Syrien von "Terroristen" zu "säubern". Die erste Woche im Kampf um die Region Afrin deutet allerdings an: Er wird sich womöglich jeden Meter sehr hart erkämpfen müssen.  

Nuri Mahmud spricht vom "Widerstand des Jahrhunderts". Alle Versuche der türkischen Armee und ihrer Verbündeter, tiefer in die Region Afrin einzudringen, seien gescheitert, versichert der Sprecher der YPG, der sogenannten Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden. Trotz Ankaras ausgereifter Militärtechnik im Einsatz, zu der, so Mahmud im Gespräch mit n-tv.de, auch Leopard-2-Panzer aus deutscher Produktion gehören.

Mahmud spricht von 300 getöteten türkischen Soldaten und Kämpfern der verbündeten Rebellen, einem Dutzend zerstörter Panzer und Panzerwagen. Auch Gefangene hätte seine YPG schon genommen.

Mahmuds Darstellung ist wahrscheinlich eine deutliche Übertreibung. Sie ist Teil einer Propagandaschlacht, wie es sie in jedem Krieg gibt. Doch nach einer Woche der "Operation Olivenzweig" zeichnet sich dennoch eines ab: Die türkische Invasion in Syrien geht nicht so schnell voran, wie es sich der starke Mann in Ankara, Präsident Recep Tayyip Erdogan, wünscht.

5000 Zivilisten auf der Flucht

Die türkische Armee ist an mehreren Stellen in den Kanton Afrin eingedrungen, allerdings nur wenige Kilometer. Angeblich musste sie gar Dörfer, die sie erobert hat, wieder aufgeben. Einige, von denen die Generäle behaupteten, sie seien in ihrer Hand, waren es womöglich nie.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die zwar nicht unabhängig ist, deren Angaben sich in der Vergangenheit aber immer wieder als realistisch erwiesen, sprach am Freitag von sieben getöteten türkischen Soldaten und 58 getöteten verbündeten Rebellen. Viel weniger als Mahmud behauptet, doch die Zahl übersteigt dennoch die der Opfer auf Seiten der YPG. Diese liegt laut der Beobachtungsstelle bei 53. Ein Triumph angesichts der ungleichen Kräfteverhältnisse.

Präsident Erdogan rechtfertigte die stockende Invasion am Freitag vor hochrangigen Mitgliedern seiner AK-Partei damit, dass die YPG Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauche. Sie gehe deshalb mit größter Vorsicht vor. Eine Behauptung, die angesichts des Einsatzes von Artillerie und Luftangriffen fraglich ist. Verlässliche Zahlen zu zivilen Opfern gibt es allerdings noch nicht. UN-Angaben zufolge sind 5000 Zivilisten auf der Flucht.

Erdogan will mit dem Verweis auf menschliche Schutzschilde offenbar jeden Gedanken daran ausräumen, dass der Kampf der türkischen Armee Probleme bereiten könnte. Von einem Besuch in der militärischen Kommandozentrale in der südlichen Hatay-Provinz berichtete er den treuen Parteigängern: "Ich war sehr zufrieden, festzustellen, dass es bei der Operation nicht den geringsten Makel gebe, obwohl sie in schwierigem Terrain und unter schlechten Wetterbedingungen ausgeführt wird."

Nutzen auch die Kurden deutsche Waffen?

YPG-Sprecher Mahmud weist den Vorwurf, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu verwenden, zurück. Er beschreibt den Widerstand gegen Erdogan als einen Volksaufstand: "Nicht nur die YPG ist gut ausgerüstet und trainiert, auch die Bewohner Afrins sind gut organisiert und bewaffnet." Die Ausrüstung über die sie verfügten stamme vom syrischen Regime, das sich 2012 aus Afrin zurückzog, von besiegten islamistischen Gruppen und vom Schwarzmarkt. Auf die Frage, ob der YPG auch amerikanische oder gar deutsche Waffen, die die Bundesregierung an die Peshmerga, die Kurden im Irak, für den Kampf gegen den IS geliefert hat, zur Verfügung stehen, antwortet er nicht.

Ein hochrangiger YPG-Kommandeur, der anonym bleiben wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur Anfang der Woche: "Die Peschmerga und die YPG haben seit langem ein schlechtes Verhältnis. Und die Peschmerga sind nicht dazu bereit, ihr Verhältnis zur Türkei und zu anderen zu gefährden, um den Hals der YPG oder anderer syrisch-kurdischer Parteien zu retten."

Würden syrische Kurden mit deutschen Panzerabwehrrakten die deutschen Leopard-2 im Arsenal der türkischen Armee beschießen, wäre das wohl der Gipfel der Absurdität in diesem ohnehin überkomplexen Konflikt. Die Debatte über deutsche Rüstungslieferungen befeuert die türkische Invasion in Syrien schon jetzt.

Erdogan will die Grenze bis zum Irak "säubern"

Trotz des schleppenden Beginns der Offensive bereitet die türkische Militärführung medial bereits den Boden für die nächsten Schritte in Syrien. Laut der Generäle seien schon fast 400 YPG-Kämpfer tot. Erdogan kündigte an, die "Operation Olivenzweig" erst auf das weiter östlich gelegene Manbidsch auszuweiten, dann die gesamte 900 Kilometer lange Grenze bis zum Irak von den "Terroristen" zu "säubern". Einen Zeitplan nannte er nicht.

Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle gab es abgesehen von Afrin bisher nur türkische Angriffe in der Region Kobane, die die YPG 2014 und 2015 unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit gegen den damals aufmarschierenden Islamischen Staat (IS) verteidigt hat. Von Verletzten und Toten ist keine Rede. Würde die türkische Armee in Manbidsch und weiter im Osten zuschlagen, würde auch die Gefahr wachsen, mit den USA militärisch aneinanderzugeraten. Die arbeiten dort mit Kräften der YPG im Kampf gegen den IS zusammen.

Mahmud prophezeit, dass sich Erdogan mit seiner Syrien-Invasion übernimmt. "Afrin wird der Anfang vom Ende des faschistischen Erdogan-Regimes sein." Die Appelle des YPG-Sprechers an die internationale Gemeinschaft lassen aber erahnen, dass er sich dabei angesichts der türkischen Streitkräfte, den zweitgrößten der Nato, nicht so sicher ist.

Mahmud fordert die die Welt auf, nicht zu vergessen, was die syrischen Kurden für sie getan hätten. Sie hätten den IS und anderen islamistische Gruppen in Kobane, Manbidsch, Rakka und Deir Ez-Zor vernichtet, sagt er. "Diese Siege haben nicht nur den Norden Syriens befreit, sondern auch Terrorangriffe in Europa und auf der ganzen Welt verhindert." Weil die Türkei Nato-Waffen für ihre Invasion in Manbidsch einsetzt, sollte das Militärbündnis mit einer Kündigung der Mitgliedschaft drohen. "Die Internationale Gemeinschaft darf hier nicht einfach wegschauen."

Wie lange die Kurden den Attacken Erdogans standhalten können, weiß derzeit wohl keiner. Diplomaten und Militärs fürchten aber, dass der Versuch, Afrin um jeden Preis zu halten, dazu führen könnte, dass sie in Regionen geschwächt auftreten, die sie gerade erst vom IS befreit haben. Radikale Islamisten könnten das für sich nutzen.

Quelle: n-tv.de


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