Fast hätte man ihn verblinzelt, den Zeitzurückbeam-Moment, nur klitzekurz macht er diese eine, bestimmte Bewegung. Vor 30 Jahren zeigte David Hasselhoff bei Auftritten genau diese sonderbare Art der Fortbewegung aus dem breitbeinigen Stand heraus, bei der er sich, diese statueske Manspreading-Pose nicht verlassend, mit kleinen Rucklern über die Bühne wuchtete, wie eine unsachgemäß aufgestellte Waschmaschine, die beim Schleudergang durch das Badezimmer hüpft.
In der Braunschweiger Stadthalle legt er auf diese Weise am Donnerstag nur ungefähr 30 Zentimeter zurück, vielleicht geht es zu sehr auf die Hüfte, die Gelenke. David Hasselhoff ist 65 Jahre alt und gerade auf großer "30 Jahre Looking For Freedom"-Jubiläumstour durch Deutschland.
Es ist gut, dieses Konzert in Braunschweig zu sehen. Am Vorabend, bei der Premiere im Berliner Friedrichstadt-Palast, stürmten Fans rudelweise die Bühne, fassten Hasselhoff an, durchgröhlten das Konzert. Heute gibt es im Publikum zwar auch eine Jungmanngruppe in "Baywatch"-Rettungschwimmerwear, ein paar haben rote Plastikbojen mitgebracht, viele tragen "Don't hassle the Hoff"-Shirts. Aber die paar Menschen, die sich mit Vokuhila-Perücke und Achtzigerjahre-Hässlichkluft betont kultklamottig hergerichtet haben, wirken in der ausverkauften Halle wie die Besucher einer privaten Party, die den Einladungstext falsch verstanden haben, versehentlich als Einzige kostümiert kamen und jetzt ein bisschen doof da stehen.
Natürlich ist auch in Braunschweig ein bisschen Ulk dabei. Aber hier fühlt es sich im vorfreudigen Summsen beim Einlass nicht nach langweiligem "So schlecht, dass es schon wieder gut ist"-Hochmut an. So schlecht wird es nämlich auch übrigens gar nicht, als Hasselhoff, in augenscheinlich gutem Zustand, zur Eröffnung davon singt, dass hier gleich mächtig gerockt würde. Natürlich ist es cheesy wie das dickflüssigste Schweizer Käsefondue, wenn er zur Anfangsmusik von "Knight Rider" und "Baywatch" auf die Bühne kommt und bei einem frühen Kostümwechsel ein weißes Hemd anzieht, das er nur mit den zwei mittigen Knöpfen schließt - und dann nach ein paar Minuten doch einen davon wieder aufmacht, damit man das Brusthaar besser sieht.
Peinlich berührte, aber inbrünstige Liebe
Blitzrührung überfällt einen aber, als man sehr schnell das Gefühl hat: Die meisten Menschen sind nicht hier, um über den desolat auf dem Boden krabbelnden Cheeseburgerhoff zu lachen, sondern tatsächlich wegen seiner Lieder.
Es gibt dafür klare Indizien: Wer nicht nur die dreifache Einfaltigkeit der Hasselhoffschen Kirmeshits - "Looking for Freedom", "Crazy for You" und "Limbo Dance" - im Refrain reflexhaft mitjohlen kann, sondern auch "Flying on the Wings of Tenderness" sofort textsicher mitsingt, kann das keinesfalls ironisch meinen, denn damals, 1989, als das dazugehörige Album erschien, war Ironie noch gar nicht erfunden, da liebte man solche fabelhaften Schundprodukte zwar möglicherweise ein bisschen peinlich berührt, aber ehrlich inbrünstig.
Auch die Selbstironie von Hasselhoff, der inzwischen wie die exakte Morphmitte zwischen Tom Jones und Peter Kraus aussieht, ist gut dosiert. Er erzählt ein paar lustige Anekdötchen auf seine Kosten. Dass er nicht wusste, wo Österreich liegt, als ihn Mitte der Achtziger eine europäische Reporterin besuchte und aufgeregt erzählte, er sei mit "Night Rocker" dort auf Platz eins der Charts. Damals habe er gerade deprimiert zu Hause gesessen, weil "Knight Rider", seine visionäre Serie über ein autonom fahrendes Auto, in den USA abgesetzt wurde.
Er erzählt, seine deutsche Plattenfirma habe das wirklich aberwitzig schlechte Video zu "Hooked on a feeling" 1993 rundheraus gehasst: "They paid me a lot of money to go away." Hasselhoff macht Witzchen über sich, aber er verklamaukisiert sich nicht zum Kaputtschko aus den besoffenen YouTube-Filmchen. Und er zieht sich nur beim ersten Mal gut sichtbar seitlich neben der Bühne um - starke Unterbrustschweißentwicklung macht einen Kleiderwechsel nach etwa jedem vierten schnelleren Lied nötig. Als ein paar Menschen angesichts vom nackten Hasselhoffbauch Fotos machen, geht er dann doch die paar Schritte hinter den Vorhang.
Tränen in den Augen
Er nimmt sich ernst, und darum kann ihn auch das Publikum ernst nehmen. Wenn Hasselhoff singt "Is everybody happy?", antworten die Leute textgemäß "yeah, yeah, yeah", und sie sehen wirklich glücklich aus, ein ganz kindliches, argloses Strahlen ist das, das einen selbst entwaffnet.
Nicht die Lieder rühren einen, aber ihre Wirkung auf diese Menschen. Auch die Verarscher, gut angedampfte Bierli-Brudi-Kleingruppen, sind gerührt, das muss man erst mal schaffen. Vielleicht sind sie nicht von Hasselhoff ergriffen, der sich nach Kräften müht und durch seine erstaunlich vielen einem immerhin vage bekannten Lieder singt, aber vom eigenen, jüngeren Ich: Was man damals mochte! Was man damals noch glaubte und vom Leben hoffte, als man Rettungsschwimmer in roten Badehosen tatsächlich noch für verlässliche Instanzen hielt.
Im zweiten Teil nach der Pause wird das Repertoire ein bisschen abenteuerlich. Alle singen zusammen mit Hasselhoff "Country Roads", weiter geht es mit "You've Lost That Lovin' Feelin'" und "Sweet Caroline", er treibt Menschen mit dem Mami-ist-jetzt-im-Himmel-Heuler "Wir zwei allein heut Nacht" tatsächlich Tränen in die Augen. Dann wundert man sich kurz, dass die Videoleinwände die "Baywatch"-Rettungsschwimmer-Aussichtstürme plötzlich in Schwarz-Weiß zeigen, bis man merkt: Ach so, sind ja Mauergrenztürme. Mit religiösem Ernst singt Hasselhoff David Bowies "Heroes", und da wird es dann doch langsam Zeit für das Lied, für das alle eigentlich gekommen sind.
Natürlich ist "Looking for Freedom" die finale Zugabe, danach, das gilt für dieses Freiheitskämpferlied wie für die "Internationale", kann nichts mehr kommen. Hasselhoff kostet sie längstmöglich aus, die Spannung vor den ersten Zeilen. Wartet nach der ersten Strophe wieder fast quälend lange, wie der DJ auf den erlösenden Drop, wie Heidi Klum bei der Entscheidungswalkfotovergabe, dann: "I've been looking for freedom".
Ein bisschen holzmichelig sind seine Bewegungen, der ruckartige Rockerarm mit der geballten Faust. Er trägt den Klaviertastaturschal von seinem legendären Silvesterauftritt 1989 auf der Berliner Mauer, natürlich läuft im Hintergrund ein Video davon. Er trägt den Klaviertastaturschal von damals, nur seine Lederjacke leuchtet nicht. Am Vorabend in Berlin blinkten ihre LED-Lichter noch, vielleicht ist sie da kaputtgegangen, Materialermüdung.
Als die Menschen nach Hause gehen, singen sie seine Lieder in die Braunschweiger Nacht. Für heute bleiben Glaube, Liebe, The Hoff, diese drei.
Quelle : spiegel.de
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