Konsumkritik zum Anziehen

  18 Dezember 2015    Gelesen: 811
Konsumkritik zum Anziehen
Der Outdoor-Bekleider Patagonia verkauft Jacken und rät seinen Kunden, sie nicht zu kaufen. Damit ist er zur globalen Hipstermarke geworden. Kann man der Story glauben?
Florence Lesouef setzt die Schere in der Mitte an und schneidet tief hinein in den Polyesterstoff. Weiße Watte quillt aus dem Musterstück einer Funktionsjacke. "Das hier", sagt sie und zieht das weiße Futter heraus, "besteht zu 55 Prozent aus recycelten Materialien. Die Außenhaut sogar zu 100 Prozent."

Wir befinden uns in der Europazentrale von Patagonia in Amsterdam. Die junge Frau ist Firmensprecherin des Outdoor-Ausrüsters, der Windjacken und Schneehosen, Rucksäcke und Neoprenanzüge herstellt. Lesouef will demonstrieren, warum ihr Unternehmen seit einigen Jahren wächst und wächst. Wie aus einem Nischenprodukt für Bergsteiger und Extremsportler eine Modemarke auch für Büromenschen diesseits des Polarkreises geworden ist. Legt man die Grundsätze der Marktwirtschaft zugrunde, hätte das eigentlich nicht passieren dürfen.

"Kaufen Sie diese Jacke nicht!" Das war der Titel einer ganzseitigen Anzeige, die Patagonia 2011 in den USA schaltete. Anti-Werbung zum Start der Weihnachtssaison. Das US-Unternehmen forderte dazu auf, Kleidung lieber reparieren zu lassen, zu recyceln oder einfach länger zu tragen, als sich dem Konsumrausch hinzugeben. Diese Botschaft gilt bis heute. Trotzdem verkaufen sich die Produkte bestens – oder gerade deshalb. Der Umsatz hat sich seit 2008 verdreifacht auf in diesem Jahr 750 Millionen US-Dollar. Es ist paradox: Patagonia wächst mit einer Anti-Wachstumsstrategie.

"Kein Wachstum um des Wachstums willen"

Das US-Unternehmen aus Kalifornien verkauft seinen Kunden nicht nur warme und langlebige Jacken, sondern ein Image: Öko-Coolness für politisch korrekte Hipster. Das wird deutlich, wenn man sich die Europazentrale anschaut. Ein altes Amsterdamer Hafengebäude, Stahlträger, Backsteinwände: Patagonia bewohnt ein Fabrikloft, das man mit einer Rösterei für Edelcappuccino verwechseln könnte. In der Mitte des Raumes steht eine Cafébar mit abgewetzten Ledersofas, darum gruppieren sich die Schreibtische der etwa 40 Mitarbeiter.

Lesouef führt in einen Pavillon, der aussieht wie ein improvisierter Holzverschlag, aber ein Besprechungsraum ist. Hier sitzt die Vorstandschefin von Patagonia, Rose Marcario, 51 Jahre alt. In der vergangenen Woche war sie in Paris bei der Klimakonferenz, jetzt macht sie einen Zwischenstopp in Holland. Graues Hemd, schwarze Hose, Marcario ist eher nicht der Typ kantige Bergsteigerin.

"Wir wollen kein Wachstum um des Wachstums willen", sagt sie. Aber ein gemeinnütziger Verein sei Patagonia nun auch wieder nicht, man müsse Arbeitsplätze sichern und Gewinne erzeugen. Trotzdem habe das Unternehmen nie viel Geld für Werbung oder Fernsehspots ausgegeben. "Unser Geschäftsmodell basiert auf dem Graswurzel-Prinzip", sagt sie, wie bei einer politischen Bewegung. Wer mit dem Produkt zufrieden ist, wird es weiter empfehlen.

Marcario erzählt das alles so nüchtern, als sei es das Normalste der Welt. Dabei gilt Patagonia in der Textilindustrie als Sonderling. Gegründet wurde das Unternehmen 1972 von einem Hippie: von Yvon Chouinard, einem Bergsteiger, der zunächst Kletterhaken herstellte und später das Sortiment um Surfausrüstung und Jacken erweiterte.

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