Die russische Atomenergiebehörde Rosatom hat ein umstrittenes Projekt zum Bau schwimmender Atomkraftwerke zur Energieversorgung von Außenposten in der Arktis zu Wasser gelassen: Das Spezialschiff "Akademik Lomonossow" verließ am Wochenende die Werft in St. Petersburg, wie die Agentur Interfax meldete.
In den kommenden Wochen sollen Schlepper den knapp 145 Meter langen und 30 Meter breiten Prototypen an Finnland, Schweden, das Baltikum sowie Polen, Deutschland und Dänemark vorbei quer durch die Ostsee bis in die Nordsee ziehen. Die geplante Route führt das Schiff anschließend an der norwegischen Fjordküste entlang um das Nordkap herum bis in den russischen Marinehafen Murmansk am Eingang zum Nordmeer.
Quer durch die Ostsee
Bei der Reise nach Murmansk muss die ungewöhnliche Konstruktion mit ihren beiden noch kalten Meilern an Bord Küstengewässer von neun Anrainerstaaten durchqueren. Erst in Murmansk sollen dann die zwei Reaktoren des Kraftwerks mit nuklearem Brennstoff befüllt werden, wie Pawel Ipatow vom Kraftwerksbetreiber Rosenergoatom der Agentur Tass erklärte. Er sprach von einem "historischen Ereignis".
Die "Akademik Lomonossow" hat für die russische Energiepolitik strategische Bedeutung: Das hochseefähige AKW-Schiff soll abgelegene Küstengebiete und russische Außenposten auf hoher See, wie etwa Bohrinseln, mit Fernwärme und Atomstrom versorgen. Die beiden an Bord verbauten Reaktoren kommen früheren Angaben zufolge auf eine geplante Nennleistung von zusammen rund 70 Megawatt und sind damit deutlich weniger leistungsfähig als an Land installierte Kernkraftwerke.
Die Kapazität des im Betrieb fest vor der Küste verankerten Kraftwerks soll ausreichen, rund 200.000 Menschen mit Strom und Wärme zu versorgen. Bei Bedarf kann die an Bord gewonnene Energie auch dazu genutzt werden, eine Anlage zur Entsalzung von Meerwasser zu betreiben.
Von der Idee, Kernreaktoren an Bord einer schwimmenden Plattform zu verbauen, versprechen sich die Ingenieure viele Vorteile: Die Energiegewinnung kann so schnell an jene Orte verlegt werden, an denen sie gerade gebraucht wird. Aufwändige Investitionen in Fernleitungen zum Stromtransport sind nicht erforderlich. Kühlwasser ist an den mittlerweile größtenteils eisfreien Küsten der Arktis und auf hoher See reichlich vorhanden.
Greenpeace: "Tschernobyl auf Eis"
Wenn die Arbeiten am Prototyp nach Plan verlaufen, sollen auf die "Lomonossow" weitere baugleiche Generatoren-Schiffe folgen. Für insgesamt acht Standorte sind in den kommenden Jahren schwimmende Nuklearanlagen vorgesehen. Die Fertigstellung der "Lomonossow" ist für den Sommer 2019 vorgesehen.
Dann soll das Schiff an seinem Liegeplatz am Ausrüstungskai in Murmansk losmachen und durch das Arktische Meer zu seinem geplanten Einsatzort zu reisen. Zielhafen ist Pewek in Sibirien. Dort soll das schwimmende Kraftwerk den kleinen Hafenort mit seinen 5000 Einwohnern sowie die nahegelegenen Kohleminen mit Energie versorgen. Umweltschützer kritisieren das Projekt als zu riskant. Mit Blick auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 warnte die Organisation Greenpeace kürzlich, es drohe die Gefahr eines "Tschernobyl auf Eis".
Die Russen, heißt es, hätten ursprünglich sogar vorgehabt, die Lomonossow noch im Hafen von St. Petersburg mit ihren radioaktiven Brennstäben auszustatten - in einer Entfernung von weniger als drei Kilometern vom Stadtzentrum. In Russlands zweitgrößter Metropole leben rund fünf Millionen Menschen. Die ernsten Bedenken aus den Ostsee-Anrainerstaaten sollen Rosatom schließlich dazu veranlasst haben, den Plan zu ändern und die Reaktoren erst in Murmansk mit radioaktivem Material zu beladen.
Vorbild Atom-Eisbrecher
Befürworter des Projekts halten dagegen, dass die russischen Werften über umfangreiche Erfahrung im Bau von Nuklearantrieben an Bord von Schiffen verfügen. Neben der militärischen Nutzung in Atom-U-Booten und Kreuzern entwickelten russische Schiffbauer bereits zu Sowjetzeiten auch atomgetriebene Eisbrecher, die seitdem im zivilen Auftrag Fahrrinnen im Nordmeer für die Schifffahrt freihalten.
Russland will sich reiche Vorkommen an Öl und Gas sichern, die in der Region um den Nordpol vermutet werden. Zudem werden durch die klimabedingte Eisschmelze neue Schifffahrtsrouten im hohen Norden Russlands frei. Daher stärkt Moskau seine Präsenz in der Region zunehmend militärisch. Auch die USA und weitere Anrainerstaaten haben Interesse an der Arktis angemeldet.
Quelle: n-tv.de
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