Die Amazon-Revolution

  24 Dezember 2015    Gelesen: 684
Die Amazon-Revolution
Mit kostenlosen Lieferungen binnen Stunden (Same Day) attackiert Amazon den Handel. Wie die Konkurrenz reagiert - und warum Einzelhändler vom Express-Trend profitieren könnten
Es ist eines dieser Modewörter von Wirtschaftsexperten und Beratern: „USP“. Das Akronym steht für den „unique selling point“, frei übersetzt also für einen „einzigartigen Geschäftsvorteil“. Wer den nicht hat, ist seiner Konkurrenz hilflos ausgeliefert.

Der Supermarkt an der Ecke, aber auch das Kaufhaus in der Innenstadt oder die Shopping Mall auf der grünen Wiese - sie haben ihn. Dachten sie jedenfalls. Er lautet(e): „Reingehen, bezahlen - und die Ware mitnehmen.“ Sofortige Verfügbarkeit, da mussten Online-Händler wie Amazon, Zalando & Co. passen.

Amazons Liefer-Revolte krempelt die Branche um
„Das ist ein Quantensprung für den Internet-Handel“, so bewertet Christian Milster vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) den Vorstoß. „Er wird die Branche verändern, aber auch unser aller Leben, unseren Alltag.“ Ein Geschenk für die Party am Abend? Der Akku-Schrauber ist defekt just am Tag vor dem geplanten Umzug? Nichts davon wird uns mehr in Hektik versetzen.

Amazons Liefer-Revolte verändert das bestehende Kräfteverhältnis von stationärem und Online-Handel und krempelt die Logistikbranche um. Konkurrenten wie Zalando und Media-Saturn ziehen eilig nach und bieten ebenfalls Express-Lieferungen an.

Ein großer Unterschied zu Pizza-Dienst und Apotheke

Dabei ist die Zustellung innerhalb eines Tages, in der Branche „Same Day Delivery“ genannt, gar nicht neu. Autowerkstätten erhalten nicht vorrätige Ersatzteile per Kurier, Apotheken mehrmals täglich neue Medikamente. Und die Pizzeria um die Ecke liefert auch frei Haus.

Und doch gibt es einen großen Unterschied: „Amazon macht aus der Nischenanwendung ein massenfähiges Produkt“, glaubt E-Commerce-Experte Milster. „Die Kunden werden sich schnell an den Service gewöhnen und ihn auch von der Konkurrenz einfordern.“

"Rewe und Edeka werden mithalten müssen"

Besonders betroffen: das Kaufhaus in der Fußgängerzone. Warum noch einen Parkplatz suchen oder in der U-Bahn Tragetaschen schleppen - wenn`s doch viel bequemer geht?

Mit der fixen Lieferung könnten aber auch ganz andere Warengruppen für Online-Besteller attraktiver werden, vermuten Experten. „Allen voran Lebensmittel“, prophezeit Zafer Rüzgar, Logistik-Experte vom Analysehaus Independent Research. Er vermutet: „Rewe, Edeka & Co. werden mit ihren Lieferdiensten mithalten müssen.“ In den USA liefert Amazon in grünen Trucks bereits alles: vom frischen Obst bis zur Tiefkühlpizza.

Dezentrale Logistik, lokal verfügbare Produkte

Vorbereitungen dafür laufen auch hierzulande. Und sie sind keineswegs trivial. Amazon hat, still und leise, über Jahre die Infrastruktur für den neuen Service aufgebaut. Und auch der bevorzugte Lieferpartner in Deutschland musste sich wandeln. Die Post-Tochter DHL errichtet seit drei Jahren sogenannte mechanisierte Zustellbasen im ganzen Land.

Statt Sendungen wie einst über weite Strecken in die großen Paketzentren zu karren, sie dort zu sortieren und dann wieder in die Republik zu verteilen, fischen die regionalen Zustellbasen Sendungen mit lokalen Adressaten frühzeitig heraus - und geben sie gleich an die Zusteller weiter. Das spart Wege und Zeit. Auch Amazons Lagerhallen rücken näher an die zu beliefernden Ballungsräume heran. Same Day Delivery verlangt eine dezentrale Logistik und lokal verfügbare Produkte.

Lieferzeiten um die 30 Minuten sind für uns machbar"

„Genau das könnte eine Chance für den stationären Einzelhandel sein“, meint Michael Löhr, Gründer und Geschäftsführer des Kurier-Start-ups Tiramizoo. Die Münchner setzen auf eine pfiffige Software, die unabhängige Kurierfahrer ortet, Lieferaufträge vermittelt, Bestellungen bündelt und Zustelltouren errechnet.

„Lieferzeiten um die 30 Minuten ab der Filiale sind für uns bereits in vielen Innenstädten machbar“, verspricht Löhr. Autobauer Daimler und Logistiker DPD haben in das Start-up investiert. Derzeit wickelt Tiramizoo bereits den Express-Service für die Elektronikhändler Cyberport, Conrad und Media-Saturn ab.

"Durchbruch 2016"

Das Tiramizoo-Konzept ist flexibler als die Amazon-Methode - und schneller. Während der Versandriese am Mittag die Orderbücher schließt und abends zustellt, wird Tiramizoo bei Bestellung sofort aktiv. In den Filialen wird verpackt, der richtige Kurier, je nach Paketgröße mit Fahrrad oder Kleintransporter, setzt sich in Bewegung. Maximal drei Stunden soll der Kunde warten. Der Media-Saturn-Service erreicht nach eigenen Angaben 80 Prozent der Bevölkerung, über 60 Millionen Menschen. Amazon bringt es nur auf 21 Millionen.

Mit Partnern wie Tiramizoo könnten sich gerade regionale Händler der Online-Herausforderung stellen. Der Dienst ist aber, wie andere auch, weniger standardisiert und daher nicht kostenlos. 14,95 Euro berechnet Media-Saturn je Lieferung. Löhr sieht dennoch großes Potenzial. „Same Day erlebt 2016 den Durchbruch. 30 Prozent der Lieferungen könnten in Zukunft per Kurier zugestellt werden“, glaubt er. McKinsey erwartet einen Marktanteil von 15 Prozent bis 2020.

Doch nicht jeder Versuch gelingt. Die Betreiber der Auktionsplattform Ebay experimentierten seit 2012 mit einem Express-Service „Ebay Now“ in den USA. Offenbar erfolglos. Im Sommer wurde der Dienst eingestellt.

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