Ex-Geheimagent: „Ich habe für den Verfassungsschutz die Mafia infiltriert“ – EXLUSIV

  18 Oktober 2018    Gelesen: 860
Ex-Geheimagent: „Ich habe für den Verfassungsschutz die Mafia infiltriert“ – EXLUSIV

Dienstagabend im abhörsicheren Saal des Berliner Spionage-Museums: Ex-Geheimagent Leo Martin –natürlich nicht sein richtiger Name – stellt sein neues Buch vor. An seiner Seite: Der langjährige Bundestagspolitiker Wolfang Bosbach (CDU). Gemeinsam reden sie über Vertrauen, V-Männer, die Arbeit und Kontrolle von Geheimdiensten und über Doppelagenten.

„Mein Job beim Geheimdienst war es, Informanten im Milieu der Organisierten Kriminalität anzuwerben“, sagte Leo Martin, früherer Agent beim Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern, am Dienstag im Spionagemuseum in Berlin gegenüber Sputnik. Dort stellte er sein neues Buch vor: „Ich Krieg Dich! Ein Ex-Geheimagent verrät die besten Strategien, Menschen für sich zu gewinnen“.

Seine Aufgabe war es, Mitarbeiter der Mafia, „dazu bringen, mit uns zu kooperieren. Das heißt, Informationen an uns weiterzugeben. Wo werden die Aufträge erteilt? Wo fließt die Kohle hin? Wann kommt die nächste Lieferung?“ So jagte er etwa Entscheidungsträger der russischen Mafia, aber auch andere Verdächtige in Strukturen der Organisierten Kriminalität, vor allem Banden aus dem osteuropäischen Raum.

Dies tat er immer mit Decknamen. „Mein Name ist nicht Leo Martin“, las er einige Sätze aus seinem Buch auf der Veranstaltung vor. „Er wurde entwickelt von der Abteilung für Operative Angelegenheiten. Jeder Name ist ein Teil der Mission, in der ich mich befinde. Mein Job war es, Informanten anzuwerben. Das heißt, einen wildfremden Typen zu finden, der im kriminellen Milieu lebt und davon sozial und wirtschaftlich lebt. Und den dann dazu zu bringen, trotzdem mit uns zu kooperieren.“ Sprich: Vertrauen zu einem Menschen aufzubauen, „der an einem Kontakt zu uns überhaupt kein Interesse hat“.

Krimi mit Insider-Wissen

„Unser Job ist es, den richtigen Mann langfristig an der richtigen Position zu platzieren“, erklärte der ehemalige Agent im Interview. „Das geht tatsächlich nur über die Beziehungsebene. Das heißt, ich muss es schaffen, Vertrauen aufzubauen.“ Vertrauen sei überaus wichtig. Schließlich habe er früher im Milieu der Organisierten Kriminalität Vertrauen zu Mitarbeitern der Mafia aufbauen müssen, um sie für den deutschen Inlandsgeheimdienst gewinnen zu können, so der frühere V-Mann-Führer.

Er nahm seine langjährigen Erfahrungen als Grundlage für sein neues Buch. Er habe jedoch keinen einfachen Ratgeber verfasst. „Ich habe einen Krimi geschrieben: Einen echten Fall aus meiner Geheimdienstzeit. Und an diesen Fall habe ich Wissen angehängt, wie Du genau diese Ziele erreichst. Sie ermitteln mit mir, wenn Sie mein Buch lesen.“

„So arbeiten Agenten des Verfassungsschutzes“

Der Ex-Geheimagent schilderte, wie solche Arbeit in der Praxis aussehe. So war es „ungeheuer wichtig“, Zielpersonen „immer zu isolieren“. Sie also stets allein oder zumindest getrennt von den übrigen mafiösen Kollegen zu treffen.

Im Sputnik-Interview verriet ex-Agent Leo Martin die Hintergründe für diese Arbeitsweise. „Ich als V-Mann-Führer und Werber durfte der Organisation nie auffallen. Ich musste immer unsichtbar sein für das Umfeld meiner Zielperson.“ So fing er seine Zielpersonen etwa bei sportlichen Aktivitäten oder auf Reisen ab. „Dort tauche ich regelmäßig auf. Baue eine Beziehung auf, unter einer Legende. Irgendwann kommen dann die Karten auf den Tisch: Ich arbeite für den Geheimdienst, wir wollen mit dir arbeiten, du wärst der perfekte Mann. Dann wird mit Insider-Wissen geschockt, dass wir haargenau wissen, wo er sich gerade strafbar macht. Das ist eine sehr starke Basis für Verhandlungen.“

Ebenfals bei der Buchvorstellung im Berliner Spionagemuseum zugegen war Innenpolitiker Wolfgang Bosbach (CDU), jahrelanger Abgeordneter im Bundestag, Geheimdienst-Experte und Vorsitzender des Innenausschusses. Es entstand ein spannender Dialog zwischen beiden.

Bosbach (CDU): „Woher habt ihr gewusst, dass das kein Doppelagent ist?“

„Die Enttäuschung ist das Schlimme“, erklärte Bosbach gegenüber Martin auf der Veranstaltung. „Du kannst in Minuten Vertrauen verspielen. Und du brauchst Jahre, um dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“ Er sehe es nicht „aus dem Blickwinkel eines V-Mann-Führers oder Anwerbers, sondern aus der Sicht eines Politikers“. Wie wichtig das Thema Vertrauen bei den Wählern sei, darauf machte der erfahrene ex-Bundestagspolitiker aufmerksam. „Für mich war immer wichtig: Die Übereinstimmung von Wort und Tat. Dass am Ende einer Wahlperiode keiner im Wahlkreis sagen konnte, ich hätte ihn getäuscht oder enttäuscht.“

Der CDU-Innenpolitiker erzählte fesselnde Anekdoten aus dem Innenausschuss des Bundestages, dessen Vorsitz er von 2009 bis 2015 innehatte. Dieser Ausschuss beschäftigt sich häufig mit Erkenntnissen und Informationen aus den deutschen Inlandsnachrichtendiensten. „In den 23 Jahren Innenausschuss haben wir uns permanent mit der Frage beschäftigen müssen: Wie konnte der V-Mann-Führer – bei uns war es in der Regel der Bundesverfassungsschutz – dem vertrauen? Woher habt ihr denn gewusst, dass der nicht die Szene informiert über euch? Dass der kein Doppelagent ist …“

„Seismographen-System“ im Verfassungsschutz

„Polizei und Geheimdienste haben einen unterschiedlichen Ansatz“, erklärte ex-Verfassungsschutz-Mann Martin. „Die Polizei braucht einen Anfangsverdacht, um zu ermitteln, und dann wird offen und verdeckt ermittelt. Der Geheimdienst hat einen anderen Auftrag: Unser Job ist es, immer am Puls der Zeit zu sein. Ständig zu wissen, wer was mit wem für Geschäfte macht. Was geplant und ausgeheckt wird.“

Darum fahren der Bundesverfassungsschutz und alle dazugehörigen Landesämter ein sogenanntes „Seismographen-System“. Das bedeute, „wir haben Beobachtungsobjekte. Wir sind flächendeckend präsent, ob in den Bereichen Links- und Rechtsextremismus, Islamismus oder Organisierte Kriminalität. Dort sehen wir, ob etwas stattfindet oder nicht. Uns fällt sehr schnell auf, wenn da neue Köpfe dazukommen, die interessant sind.“

Psychologische Erkenntnisse: Was ist Vertrauen?

Während seiner jahrelangen Tätigkeit in diesem Bereich gab es einige Erkenntnisse und Lernprozesse, die Martin aus seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit gewinnen konnte. Auch psychologischer Art. „Vertrauen lässt sich nicht erkaufen. Wir können es nicht erzwingen oder über rationale Argumente herbeiargumentieren. Vertrauen entsteht immer nur über Erfahrung und Erleben.“

Also, was ist nun Vertrauen? Ex-Agent Martin fasste es so zusammen: „Man muss spüren, dass ich weiß, wovon ich rede. Es heißt, es geht um Sicherheit, Klarheit, Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe.“

Leo Martin: „Ich kriege Dich!“, Westend Verlag, Frankfurt/M., 256 Seiten, 11. Auflage 2018. Das Buch des Bestseller-Autors und Ex-Agenten ist im Heyne-Verlag erschienen und im Handel erhältlich.

sputniknews


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