Auf der Suche nach dem Unterschied

  16 November 2018    Gelesen: 643
Auf der Suche nach dem Unterschied

Die drei prominentesten Bewerber um den CDU-Chefsessel gehen auf dreiwöchige Tournee durch die Republik. So sollen sich die Mitglieder ein Bild für die Wahl machen können. Doch zumindest zum Auftakt gerät dies zur fast unlösbaren Aufgabe.

"Diesen Gefallen tue ich Ihnen nicht", sagt Friedrich Merz. "Das müssen die Delegierten in Hamburg selbst entscheiden." Gemeint sind die 1001 CDU-Mitglieder, die in knapp drei Wochen beim Parteitag einen neuen Vorsitzenden wählen. Bis dahin haben die Christdemokraten ein Schaulaufen der drei Bewerber Merz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angesetzt. Drei Stunden stehen die Kandidaten bei der ersten von acht Regionalkonferenzen Rede und Antwort. Und dann fragt ein Schüler: "Wo sind denn nun die größten Unterschiede zwischen Ihnen?" und bekommt dafür lebhaften Applaus.

"Wir haben vereinbart, nur gut übereinander zu sprechen", sagt Merz weiter. Die drei Kandidaten teilten das "große Wertesystem der CDU miteinander", sagt Kramp-Karrenbauer. Die CDU habe in der Mitte eine große "Bandbreite an Gemeinsamkeiten". Dennoch "haben wir in einzelnen Themen unterschiedliche Akzente". Man habe Unterschiede im Profil, sagt Spahn. "Ich bin, wie ich bin. Die Annegret ist, wie sie ist, und Herr Merz ist, wie er ist."

Wie Spahn, Kramp-Karrenbauer und Merz denn nun so sind, haben in Lübeck mehrere Hundert Parteimitglieder aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern wissen wollen. Es war eine mühevolle Sisyphos-Arbeit.

Kleine Sticheleien und etwas fürs Herz


Der Abend in einer Lübecker Industriehalle beginnt mit einer Vorstellungsrunde der drei Kandidaten. Dank Losglück darf Kramp-Karrenbauer anfangen - und spielt gleich den Heimvorteil als Generalsekretärin aus. "Schön, so viele Gesichter zu sehen, die im Sommer auch schon bei der Zuhör-Tour waren." Auf mehr als 40 Stationen durch die gesamte CDU hatte sie im Sommer die Eckpfeiler für ein neues Grundsatzprogramm zusammengesucht.

Dann spricht sie von Neustart, einem neuen Kapitel, von neuer Stärke und der bereits begonnenen Erneuerung der Partei. Es geht um Herausforderungen und Änderungen. Höhepunkt ihrer Rede ist die Ankündigung, im Frühjahr mit Kritikern und Befürwortern den Sommer 2015 und damit den Höhepunkt der Flüchtlingskrise abschließend zu bewerten. Die Partei soll kein Trauma entwickeln wie die SPD mit Hartz IV.

"Es macht richtig Spaß, wieder dabei zu sein." Erst jetzt merke er, was ihm in den letzten Jahren gefehlt habe, beginnt Merz dann seine zehnminütige Vorstellung. Das Publikum quittiert es mit Hohn. Nicht alle - aber auch nicht zu überhören. Nach dem Dank an Angela Merkel für 18 Jahre an der Spitze der Partei und etwas CSU-Kritik breitet Merz sein Fünf-Punkte-Programm aus: Volkspartei, Rechtsstaat und weniger Bürokratie. Die CDU ist Europapartei. Und die CDU soll selbstbewusster und demokratischer werden. Ist Merz etwas besonders wichtig, senkt er zum Satzende die Stimme.

Dann wird es laut. "Schön, dass ihr alle da seid", ruft Spahn ins Publikum. "Wir müssen etwas verändern." Es brauche einen echten Neustart und dazu gehöre auch ein Generationenwechsel. Was Spahn meint, aber nicht sagt: Er ist 38 und Merz bereits 63. Spahn will mehr diskutieren, Lösungen finden und die dann "mit guter Laune präsentieren". Zunächst aber präsentiert Spahn sein Programm. Es besteht ebenfalls aus fünf Punkten: Rechtsstaat, starkes Gemeinwesen, Update für die soziale Marktwirtschaft, Generationengerechtigkeit und ein starkes Europa. Beim nächsten Mal ist jemand anderes Letzter in der Auftaktrunde.

Zeit der 20 Fragen


Höhepunkt des Schaulaufens soll bei den Konferenzen ohnehin der Frageteil sein. Eine Moderatorin achtet auf die Einhaltung der Redezeit. Am Ende wird Spahn 37 Minuten gesprochen haben, zwei Minuten mehr als Kramp-Karrenbauer und fünf mehr Merz. Doch nun hinein.

Wie stehen Sie zu den einzelnen Vereinigungen in der Partei und welche Bedeutung haben diese, lautet die erste Publikumsfrage. Gemeint sind Gruppen wie die Junge Union oder die Mittelstandsvereinigung. "Ich bin Fan der Vereinigungen, wie wir sie haben", sagt Spahn. "Sie sind ein großer Schatz", sagt Merz. Volkspartei könne man nur sein, wenn sich alle Milieus wiederfinden, sagt Kramp-Karrenbauer. Etwas öfter könnten sie Themen setzen, sagt Spahn. Ihre Beschlüsse dürften bei Nichtgefallen nicht im Giftschrank verschwinden, ergänzt Merz.

Vielleicht bringt das Thema Mittelstand mehr Erkenntnis. Und siehe da, Merz wird an seine Steuer-auf-dem-Bierdeckel-Geschichte erinnert und fordert mal eben ein neues Steuersystem. Vieles vereinfachen, anderes ganz abschaffen. Merz ist in seinem Element. Das merkt auch Kramp-Karrenbauer und will festhalten, "egal wie es ausgeht", dass Merz doch bitte seine Expertise in ein Steuerkonzept der CDU einbringe. Spahn wirbt - erneut als letzter Redner - für die duale Ausbildung.

Und was gibt es zum Thema Wohnen zu sagen? Weniger Regulierung und mehr auf verwaiste Innenstädte achten, sagt Merz. Mehr bauen, sagt Kramp-Karrenbauer. Grunderwerbssteuer beim Kauf der ersten Immobilie abschaffen, sagt Spahn.

Bloß keine Debatte


Es ist vielleicht der Konstruktionsfehler des Schaulaufens: Die Kandidaten fassen einander mit Samthandschuhen an. Die Antworten des Vorredners wollen sie nicht wiederholen. Eine Debatte wird die Fragerunde auch nicht. Und bloß nicht streiten. Das machen nur die anderen Parteien - vor allem der Koalitionspartner. Und so kommen die Drei zumeist nicht über Kurzreferate hinaus. Darunter aber leidet aber zunehmend die Stimmung in der Halle. Und drei Stunden sind auch in Lübeck eine lange Zeit. So schwillt langsam, aber kontinuierlich der Geräuschpegel vom nahen Bierstand, was zumindest in den hinteren Reihen immer deutlicher hörbar wird.

Irgendwann greifen die Drei auf dem Podium ein - und stellen das Konzept auf den Kopf: Ein eigenwilliger Fragenkomplex fasst die Themen Donald Trump, China und Plastikmüll zusammen. Merz teilt mit, man habe sich die Sachgebiete untereinander aufgeteilt. Er übernimmt das Thema USA und fordert ein geschlossenes Europa. Kramp-Karrenbauer referiert über die vielfachen Konkurrenzsituationen zu China und sagt auch etwas zu Europa. Am Ende steht Spahn mit dem Plastikmüll da. Er bekommt in seinen Ausführungen immerhin Außenpolitik, Migration, Schutz der Schöpfung und die Forderung nach "lebensnahen Antworten" unter. Und bestimmt auch Europa.

Nur folgerichtig sind Merz, Kramp-Karrenbauer und Spahn dann also auch für die Europa-Armee, die natürlich keine Konkurrenz zur Nato sein darf. Aussetzung der Wehrpflicht sei nicht ausreichend diskutiert worden. Neue Pflichtdienste - wie sie etwa Kramp-Karrenbauer fordert - wären juristisch heikel, bekäme man aber hin. Mehr Geld an die Nato müsse man zahlen, weil man sich dazu verpflichtet habe, erklärt die Generalsekretärin. So richtig was dagegen sagen Spahn und Merz nicht. Zusammen geben sie zu bedenken, dass die Bäume finanziell nicht in den Himmel wachsen, wenn künftig auch noch der Soli wegfällt und Merz seine Steuerreform durchbringt.

Wer hat das gesagt?

Ähnlich verläuft die Debatte zum Thema Digitalisierung. Wir hätten nicht ansatzweise eine Ahnung, was da auf uns zukommt, droht Merz. Stimmt, sagt Spahn, er wisse nicht mal, was in fünf Jahren sei, geschweige denn in zehn. Wichtig sei, was der Mensch draus macht, sagt Kramp-Karrenbauer. Die CDU sei auf jeden Fall an der Seite der Menschen. Und dann doch so etwas wie ein Disput: Kramp-Karrenbauer mag autonomes Fahren nicht. Spahn aber schon, vor allem wegen der praktischerweise in der Forschung abfallenden Assistenzsysteme. Ist das der Moment, in dem ein Kandidat den entscheidenden Wirkungstreffer setzt? Hat sich hier gerade der CDU-Vorsitz entschieden? Vielleicht sogar die Kanzlerschaft?

Um das Kanzleramt soll es heute Abend jedoch ausdrücklich nicht gehen. "Werde ich Parteichef, ist nicht die erste Frage, wie komme ich ins nächste Amt", sagte Kramp-Karrenbauer. Oder war es Spahn? Oder Merz? Oder alle? Man wähle in Hamburg nur einen Parteichef. Alle drei wollen alles für die Partei tun, um wieder in die Lage zu kommen, einen Kanzler zustellen. Oder eine Kanzlerin. Der eine will mit Merkel als Kanzlerin vertrauensvoll zusammenarbeiten. "Die CDU ist vertragstreu", sagt der andere und verweist auf den Koalitionsvertrag. Immerhin räumt die Generalsekretärin ein, dass man sich mit dem Thema Kanzleramt beschäftige, wenn man für die Spitze der Partei kandidiere. Da sie aber schon mal ein Regierungsamt für einen Parteiposten aufgegeben habe, sei doch deutlich, dass ihr die Partei am Herzen liege.

Wie unterscheiden sie sich denn nun, die Kandidaten, fragt der Schüler am Ende. Ach ja, Spahn hält die Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen samt Angehörigen für zu hoch. Merz hält die Entscheidungen von 2015 in Teilen für richtig. Die anderen schweigen jeweils. Kramp-Karrenbauer habe gesagt, am Ende müsse die Partei gewinnen, erklärt Merz dem Schüler. "Wir haben mindestens drei gute Bewerber. Andere Parteien wären froh, wenn sie einen hätten", sagt Spahn zum Abschluss. Manch Zuhörer dürfte das etwas anders gesehen haben. "Ja, fertig", ruft am Ende ein älterer Herr vor der Halle in sein Handy. "War eine wunderbare Veranstaltung. Besser als jeder Kreisparteitag." Na immerhin. Oder war das ein Hilferuf?

Quelle: n-tv.de


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