Nichts gelernt? – Bundesverfassungsgericht stoppt erneut automatische Kfz-Scanner

  06 Februar 2019    Gelesen: 551
Nichts gelernt? – Bundesverfassungsgericht stoppt erneut automatische Kfz-Scanner

Das Bundesverfassungsgericht hat die pauschale automatisierte Erfassung von Autokennzeichen und die gleichzeitige Verknüpfung mit Suchanfragen in Fahndungsdateien deutlich erschwert. Derartige Fahndungen seien nur bei besonderen Straftaten zulässig. Es ist nicht das erste Mal, dass Karlsruhe in dieser Sache entschied.

Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Ablehnung von automatisierten Erfassungsverfahren von Autokennzeichen und gleichzeitigem Abgleich mit Fahndungsdateien noch einmal einen Schritt weiter gegangen. Das höchste deutsche Gericht hatte dieses Vorgehen staatlicher Behörden schon vor elf Jahren für verfassungswidrig erklärt. Dennoch hat das Bundesland Hessen, das vom Bundesverfassungsgericht schon 2008 deutlich darauf hingewiesen worden war, dass die „automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand“, so wie sie seinerzeit geregelt war, verfassungswidrig ist, es offenbar einfach nochmal versucht und ist erneut krachend gescheitert. Diesmal zusammen mit den Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg.

Die Karlsruher Richter fanden es offenbar auch einigermaßen dreist, dass sie schon wieder in dieser Angelegenheit urteilen mussten und präzisierten wohl genau aus diesem Grund ihre Rechtsprechung noch einmal eingehend. Sie gingen sogar über den eigentlichen Verfahrensgegenstand hinaus und schrieben in die Urteile grundsätzlich Passagen über die Rechte von Bundesbürgern, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wenn staatliches Handeln sie in ihren Freiheitsgrundrechten beschneidet.

Bundesverfassungsgericht unterstreicht Grundrecht auf überwachungslose Bewegungsfreiheit

In den zwei Urteilen vom 18. Dezember 2018 gegen Bayern beziehungsweise Baden-Württemberg und Hessen, die jetzt verkündet wurden, heben die Verfassungsrichter beispielsweise hervor, dass Bundesbürger das Recht haben, sich frei im Land bewegen können, ohne ständige Überwachung und Kontrolle durch staatliche Behörden befürchten zu müssen. Den Verfassungsrichtern ist offenbar das gleiche durch den Kopf gegangen wie den Klägern. Ohne dieses Grundvertrauen, nicht hinter jedem Baum einen Polizisten, nicht hinter jeder Straßenbiegung eine Polizeikontrolle befürchten zu müssen, nicht damit rechnen zu müssen, dass man rund um die Uhr, an jedem Platz mit Kameras gescannt und mit Fahndungslisten abgeglichen wird – ohne das Gefühl, dass der Staat einen eben nicht pauschal für einen Verbrecher oder Terroristen hält, ist es schlicht nicht möglich, die Freiheit auch wirklich zu genießen, von der in Sonntagsreden immer so gerne geredet wird.

Besonders bemerkenswert aber ist die ausführliche Darlegung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich der Hürden, die Bundesbürger überwinden müssen, um das höchste deutsche Gericht anrufen zu können. Normalerweise ist es nötig, dass ein Bürger alle rechtlichen Schritte ausschöpft, bevor er eine Verfassungsklage einreichen kann. Regelmäßig werden Verfassungsklagen aus diesem Grund gar nicht erst angenommen. Die übergroße Mehrheit der rund 6000 Klagen, die in letzter Zeit pro Jahr in Karlsruhe eingingen, teilten dieses Schicksal.

Bundesverfassungsgericht stellt klar, wann Bürger einfacher Verfassungsklage erheben können

Doch in den jetzt verhandelten Fällen stellten die Bundesverfassungsrichter klar, dass die Bürger sich in bestimmten Fällen auch direkt an die Hüter des Grundgesetzes wenden können. Die Hessische Landesregierung lehnte die Verfassungsklage ab und hatte argumentiert, dass „ein Fahrzeughalter im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage vor den Verwaltungsgerichten gegen die ihn möglicherweise betreffende Kennzeichenerfassung vorgehen könne. Dies gelte auch für eine mögliche Datenübermittlung.“

Dieser Rechtsauffassung hielt der Erste Senat unter anderem folgendes entgegen:

„Eine Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht des Weiteren nicht, wenn die angegriffene Regelung die Beschwerdeführer zu gewichtigen Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (…), wenn die Anrufung der Fachgerichte offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (…) oder sie sonst nicht zumutbar ist. Dies gilt — vorbehaltlich der Möglichkeit vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes (…) — grundsätzlich auch dann, wenn Beschwerdeführer zunächst ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen sich ergehen lassen müssten und sie erst in diesem Rahmen die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen könnten (…).“

Das heißt übersetzt: Das Bundesverfassungsgericht sagt der Politik sehr deutlich, ihr könnt die Bürger nicht pauschal überwachen und darauf hoffen, dass sich nur wenige dagegen wehren, die ihr dann auch noch durch lange und teure Wege durch den Dschungel der Bürokratie entmutigt und zermürbt. So haben sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes das nicht gedacht.

Bundesverfassungsgericht – geachtet, aber auch verachtet

Wenn die Bundesrepublik noch einmal neu gegründet werden sollte, würde das Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich erhebliche Schwierigkeiten haben, in seiner alten Konstitution diese Neugründung zu überleben. Das Bundesverfassungsgericht hat für nicht wenige Politiker und andere „Entscheider“ dieser Republik bereits eine Weile mehr als nur den Status einer Nervensäge. Die periodisch vorgetragenen Vorschläge, die weitreichenden Kompetenzen und Befugnisse des höchsten deutschen Gerichtes endlich zu beschneiden, sind Ausdruck des tief sitzenden Frustes in gewissen Kreisen, dass die Verfassungsrichter immer wieder Gesetze zu Fall bringen, mit denen die Parteien, die sie beschlossen haben, bestimmte strategische Richtungsentscheidungen verbanden.

Betrachtet man die Fülle an Gesetzen, die in den zurückliegenden Jahren durch das Bundesverfassungsgericht kassiert wurden, dann drängt sich schon die Frage auf, wo eigentlich die Verfassungsfeinde sitzen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten. Im Datenhandbuch des Deutschen Bundestages vom 25.09.2018 wird aufgelistet, dass alleine seit 1990, also seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit, 171 Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt wurden. Das sind fast sechs pro Jahr. Lediglich im Jahr 1997 gab es kein einziges Gesetz, dass durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Eine Ausnahme, wie die beiden darauffolgenden Jahre 1998 und 1999 zeigten, wo dann gleich 13 beziehungsweise 11 Gesetze den Missmut der Verfassungsrichter erregten.

Bundesverfassungsgericht immer öfter gezwungen, selbst Gesetzgeber zu spielen

Der Hauptvorwurf gegen Karlsruhe lautet immer wieder, das Bundesverfassungsgericht erteile immer öfter konkrete Rechtsvorschriften als Ersatz für kassierte Gesetzestexte, statt eben nur darüber zu befinden, ob etwas dem Geist des Grundgesetzes widerspricht oder nicht. Das stimmt sogar, aber das ist nicht die Schuld des Bundesverfassungsgerichtes oder liegt etwa an kruden Machtgelüsten der Karlsruher Richterinnen und Richter. Hierzu muss man folgendes wissen:

In den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes wird nicht ohne Grund immer unterschieden zwischen einer gesetzlichen Bestimmung, die für „nichtig“ erklärt wird oder für „mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“. Im ersten Fall wird die betreffende gesetzliche Bestimmung ersatzlos gestrichen, weil das Verfassungsgericht davon ausgeht, dass der Verfassungsalltag, die allgemeine Rechtsanwendung nicht gefährdet ist. Im zweiten Fall würde die sofortige ersatzlose Streichung zu schwer erträglichen Komplikationen der Rechtsanwendung und –durchsetzung im Alltag führen.

Deshalb ordnet das Bundesverfassungsgericht in einem Fall, in dem ein Gesetz ganz oder in Teilen „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“ ist, an, dass diese Bestimmungen entweder nur noch bis zu einem bestimmten Termin angewendet werden dürfen und dann eine neue gesetzliche Bestimmung als Ersatz beschlossen sein muss. Oder aber das Gericht erlässt zusätzlich, wenn nicht solange auf ein neues Gesetz gewartet werden kann, eigene Rechtsrahmen, die bis zu einer Neufassung eines von Karlsruhe kassierten Gesetzes gelten.

Dass das Bundesverfassungsgericht in den zurückliegenden Jahren häufiger als früher für einen bestimmten Zeitraum Gesetzgeber spielen muss, liegt zum einen daran, dass ganz grundsätzlich immer mehr Gesetze und Vorschriften produziert werden, die immer tiefer und detaillierter in den Alltag eingreifen. Vor allem aber liegt es daran, dass die Sorgfalt bei der Abfassung der Gesetzestexte deutlich nachgelassen hat, immer häufiger Schnelligkeit vor Sorgfalt geht. Nicht zu vergessen, das bewusste Verbiegen und Ausreizen juristischer Spielräume, um Regierungskoalitionen nicht wegen eines Gesetzes zu gefährden, über das man sich besonders streitet. Und dann versucht die Politik auch ganz bewusst auszutesten, wie weit man gehen kann, bis die Bürger „Aua!“ schreien und das Bundesverfassungsgericht um Hilfe rufen. Dass die Landesregierung Hessen ein bereits einmal in Karlsruhe kassiertes Gesetz einfach nur etwas umschreibt, aber im Kern die Vorgaben der Grundgesetzhüter einfach dreist ignoriert, ist nur ein Beispiel von vielen.

sputniknews


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