Als das Spiel abgepfiffen war, badete der Held des Abends in der Zuneigung der Menge: Heung-Min Son strahlte über das ganze Gesicht, klatschte seine Mitspieler ab, umarmte jeden, der in seiner Nähe war, hielt auf dem Weg in die Kabine einen herumliegenden Ball ein paar Mal hoch und nahm auf den letzten Metern die Ovationen der Fans mit in die Katakomben. Ganz klar, der Südkoreaner hatte einen großen Abend erlebt, wie so oft, wenn der Gegner Borussia Dortmund heißt.
Der 26-Jährige ist und bleibt der personifizierte Albtraum des BVB, ganz egal, in welchem Trikot er aufläuft, gegen die Westfalen trifft er ständig. Leverkusen, Hamburger SV und jetzt Tottenham Hotspurs - die Bilanz von Heung-Min Son addiert sich inzwischen auf neun Treffer in elf Begegnungen. Auch beim Hinspiel im Champions-League-Achtelfinale im Wembley Stadion von London war der schnelle Stürmer wieder zur Stelle, als es darauf ankam: Heung-Min Son erzielte kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit den Führungstreffer für die Engländer, am Ende musste die Borussia in eine schmerzhafte 0:3-Niederlage einwilligen, die das Weiterkommen in ganz weite Ferne rücken lässt.
Deprimierende zweite Halbzeit
Es läuft nicht gut für das Team von Trainer Lucien Favre, das derzeit die mit Abstand schwierigste Phase erlebt, seit der Schweizer im Ruhrgebiet das Kommando übernommen hat. Der 61-Jährige wirkte nach der krachenden Niederlage blass und angeschlagen, und das lag nicht in erster Linie daran, dass er gerade einen grippalen Effekt überstanden hat. Trotz der deprimierenden zweiten Halbzeit, in der die Dortmunder sämtliche Tugenden hatten vermissen lassen, die eine europäische Spitzenmannschaft auszeichnen, wollte Favre nicht den Stab über seine Spieler brechen: "Ich mache mir keine Sorgen, solche Phasen gibt es in jeder Saison. Dann läuft es nicht top, top, top. Wir müssen das weiter analysieren und noch mehr arbeiten, um die Fehler zu vermeiden."
Als Trainer, zu dessen Aufgabengebiet es gehört, Zuversicht zu verbreiten, muss Favre das sagen. De facto wirkt der BVB wie ein angeschlagener Boxer, der in den Seilen hängt und einen Wirkungstreffer nach dem anderen kassiert. Seit vier Spielen ist die Borussia nun schon sieglos, in den vergangenen zehn Tagen hat sie viel von dem verspielt, was sie sich in der famosen Hinrunde aufgebaut hat. Der Vorsprung in der Tabelle auf Verfolger Bayern München ist auf fünf Punkte geschrumpft, im DFB-Pokal sind die Dortmunder gescheitert, nun droht das Aus in der Champions League.
Kehl: "Müssen jetzt wieder in die Spur finden"
"Die Enttäuschung ist spürbar", sagte Sebastian Kehl, beim BVB Leiter der Lizenzspieler-Abteilung: "Wir müssen jetzt versuchen, wieder in die Spur zu finden." Beim Tabellenführer der Bundesliga geht es derzeit vor allem darum, das Wechselspiel zwischen Sturm und Abwehr wieder so stimmig zu gestalten, wie das in dieser Saison meist so wunderbar geklappt hat. Kehl wünscht sich eine "ausgewogene Balance zwischen offensivem Spektakel und defensiver Vernunft".
Doch das funktioniert derzeit nicht. Es ist auffällig, dass die Mannschaft regelmäßig ins Wanken gerät, wenn der Gegner mit Überzeugung und Druck nach vorne spielt. Dann fehlt die Widerstandkraft, sich zu wehren und schnelle Gegenattacken zu inszenieren. Nach einer soliden ersten Halbzeit, in der die Borussia sogar in Führung hätte gehen können, wunderte sich Torhüter Roman Bürki, "wie schwer wir uns getan haben, gegen die physisch so präsente Mannschaft etwas auszurichten. Wir haben es versucht, aber es war definitiv zu wenig." Derweil monierte Kehl, die Mannschaft habe nach dem Rückstand jegliche Ruhe und Souveränität vermissen lassen: "Nach dem 0:1 musst du den Kopf oben behalten. Aber uns unterlaufen Fehler, die auf diesem Niveau nicht passieren dürfen."
Götze: "Sind zuhause eine Macht"
Wie schon beim 3:3 im Heimspiel gegen Hoffenheim, als die Dortmunder in der Schlussphase eine komfortable Drei-Tore-Führung leichtfertig herschenkten, kam erneut die Frage auf, ob die Einstellung der Mannschaft ausreicht. "Du musst dich durchbeißen und Mentalität zeigen", betonte Bürki: "Das haben wir heute nicht gemacht." Irgendwie scheint es noch nicht bei allen Spielern angekommen zu sein, dass sich die Borussia in eine komplizierte Lage manövriert hat. So parlierte der schwache Mario Götze locker drauf los, als sei es kein großer Akt, die Dinge wieder zum Positiven zu wenden: "Wir sind zuhause eine Macht, es sind nur Kleinigkeiten, die wir ändern müssen."
Zur Erinnerung: Die beiden letzten Begegnungen vor heimischem Publikum waren das Pokal-Aus gegen Werder Bremen und das ernüchternde Remis gegen Hoffenheim. Der ehemalige Kapitän Sebastian Kehl ist da in seiner Analyse sehr viel näher an der Realität. Der ehemalige Profi nahm die Spielergeneration an seinem 39. Geburtstag, der wenig Grund zum Feiern bot, eindringlich in die Pflicht: "Da müssen wir uns jetzt rausarbeiten. Das ist eine Herausforderung für jeden."
Quelle: n-tv.de
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