Benutzt und fallen gelassen: Wie fremde Mächte die Kurden instrumentalisierten

  18 Januar 2016    Gelesen: 908
Benutzt und fallen gelassen: Wie fremde Mächte die Kurden instrumentalisierten
In der Tageszeitung „Yeni Şafak“ hat sich der Kolumnist Kemal Öztürk mit der „Geschichte der Täuschung der Kurden“ befasst. Er meint, durch den Verlauf der jüngeren Geschichte hindurch seien Kurden stets von fremden Mächten aus geopolitischen Erwägungen heraus zu Revolten aufgestachelt und später wie eine heiße Kartoffel fallengelassen worden. Ungeachtet der historischen Tragik, die dieser Gesetzmäßigkeit innewohne, ließen sich auch heute wieder kurdische Gemeinschaften bereitwillig instrumentalisieren und tappten immer wieder aufs Neue fremden Staaten in die Falle.


Die Kurden hätten ihr „Goldenes Zeitalter“ in der osmanischen Ära gehabt. Wie alle anderen Nationen hätten auch sie dort die Freiheit gehabt, ihre Sprache, ihre Religion und ihre Kultur zu praktizieren.

Als das Osmanische Reich seinen Niedergang erlebte, begann als erstes Land das Russische Zarenreich, in drei Regionen separatistische Bestrebungen zu unterstützen, um den geopolitischen Konkurrenten zu schwächen. So provozierte man Aufstände der Slawen auf dem Balkan, der Armenier im Kaukasus sowie der Kurden im Osten und versuchte auf diese Weise, das Reich zu destabilisieren.

Die erste kurdische Revolte richtete sich dabei gegen Abdurrahman Pascha im Jahre 1806. Bis 1912 gab es noch weitere zwölf verschiedene kurdische Revolten mit dem Ziel, einen unabhängigen ethnischen Staat zu haben, wie ihn nicht zuletzt der russische Zar angedeutet hatte, dass dieser möglich sei. Alle diese Revolten wurden mit großer Härte niedergeschlagen.

Nach dem Zarenreich waren es vor allem die Westmächte des Ersten Weltkrieges, allen voran die Briten, die sich von einer Anstachelung des kurdischen Nationalismus versprachen, ihr Ziel einer Teilung des Osmanischen Reiches verwirklichen zu können. In den Artikeln 62 und 64 des Vertrags von Sèvres wurde den Kurden explizit ein eigener Staat versprochen.

Im Jahre 1922 rief Sheikh Mahmoud, ein irakischer Kurde in Sulaymaniya unter Berufung auf diese Bestimmung einen Kurdenstaat aus und ließ Geld und Briefmarken drucken. Die Briten reagierten darauf mit der Bombardierung von Bagdad, nachdem sie den Irak begonnen hatten, als eigenes Mandatsgebiet zu beanspruchen.

In der Türkei erhoben sich zwischen 1924 und 1940 wiederum insgesamt 25 Kurdenaufstände, die nicht nur unter Berufung auf das Gesetz zur Aufrechterhaltung der Ordnung und unabhängiger Gerichte von der jungen Republik kompromisslos niedergeschlagen wurden. In weiterer Folge wurde den Kurden auch die Pflege von Identität und Kultur untersagt, was bis vor wenigen Jahren auch in vielen Bereichen die tagtägliche Realität für türkische Kurden blieb.

Unterdessen schlugen die Briten jedwede Autonomiebestrebung der irakischen Kurden nieder, vor allem gegen den Barzani-Klan ging das untergehende Weltreich in seiner letzten Phase noch einmal mit aller Härte vor. Als die Bomben fielen, merkten die Kurden, dass Sèvres nur eine Falle war – da war es jedoch zu spät.

Das Vereinigte Königreich wollte sich einzig die Kontrolle über die Ölregionen im Irak, vor allem Mosul und Kirkuk, sichern. Die kurdischen Revolten gegen das Osmanische Reich und die Türkei halfen dabei, dieses Ziel zu erreichen. Mit einem Kurdenstaat über das Öl verhandeln zu müssen, hatte man hingegen nicht im Sinn.

Ein ähnliches Spiel wurde auch 1946 gespielt, als mit Duldung der Sowjetunion und Großbritanniens der Kurdenstaat von Mahabad auf iranischem Territorium ausgerufen wurde und für elf weitere Monate auf iranischem Territorium bestehen sollte. Die Sowjetunion hatte den Nordosten des Irans besetzt und wollte nun den Kurdenstaat als Druckmittel nutzen. Als der Iran und die beiden Alliierten zu einer Einigung gekommen waren, hatte Teheran freie Hand und zerschlug den Staat von Mahabad, wobei die Regierungsmitglieder erhängt und hunderte Menschen abgeschlachtet wurden.

In den 1960er Jahren machten sich die USA die Vertrauensseligkeit der Kurden zunutze, die nach mehreren Militärputschen im Irak wiederum nach Autonomie und Unabhängigkeit strebten. Mustafa Barzani, auch Mullah Mustafa, beendete die Allianz mit den Russen, die ihre Versprechen nicht eingehalten hatten, und wandte sich den USA zu. Die Sowjetunion unterdessen verbündete sich mit dem damaligen Machthaber Saddam Hussein.

Solange der Schah im Amt war, nutzten die USA seine Kanäle, um die irakischen Kurden gegen das Baath-Regime Saddams mit Waffen zu versorgen. Die Kurden verfügten damals über eine 120 000 Mann starke Armee und waren fest entschlossen, sich ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen. Allerdings verhandelte der Iran unterdessen im Geheimen mit Saddam und die Türkei war dabei Vermittler. Der Schah versprach dem damaligen türkischen Außenminister İhsan Sabri Çağlayangil, man werde umgehend die Unterstützung der Kurden beenden, wenn der Irak seinen Anspruch auf den Shatt al-Arab aufgebe.

Der Irak akzeptierte die Lösung. Der Iran lieferte den Kurden keine Waffen mehr. Bewegende Briefe Barzanis an den damaligen US-Außenminister Henry Kissinger, in denen die USA angefleht wurden, die Kurden nicht fallen zu lassen, blieben erfolglos. Barzani ergab sich, löste seine Armee auf und übergab Saddam die Waffen, die kurdische Bewegung spaltete sich daraufhin im Laufe der 1970er. Der Talabani-Klan und der spätere PKK-Führer Abdullah Öcalan wurden dadurch zu politischen Faktoren.

Die Spaltung der Kurden machte es noch leichter, sie für fremde Interessen zu instrumentalisieren, und sei es nur kurzzeitig und um sie anschließend umso schneller wieder abzuservieren. Und auch die Zahl jener Staaten, die im Laufe der Geschichte die Kurden für ihre Zwecke benutzt und sie hinterher alleine gelassen haben, ist beachtlich: Deutschland ist darunter, ebenso wie Frankreich, Israel, der Iran, der Irak, die USA, Russland bzw. die Sowjetunion und China.

Die Kurden hingegen haben seit Beginn ihrer Aufstände 1806 trotz Tausender Toter, Tausender exilierter Aktivisten und unzähliger Heimatvertriebener nie den ihnen versprochenen Staat gesehen. Die schlimmste Erfahrung war dabei das Massaker von Halabja im Jahre 1988, als Saddam Hussein ein Massaker unter Verwendung von Giftgas verübte.

Auch jetzt, wo Russland und die USA die Kurden in Syrien mit einem imaginären „Rojava“ zu locken versuchen, gibt es nichts, was darauf hindeuten würde, dass die Absichten der Interventionsmächte diesmal lauterer wären.

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