Dass es dieses Jahr nicht schon vor den Feiern zum 1. Mai in Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und der links-alternativen Szene gekommen ist, verwundert etwas, wenn man sich die Bilder ansieht, mit welcher Brachialgewalt vorher zwei kleine Holzhäuschen vom Mariannenplatz in Kreuzberg entfernt wurden. In diesen beiden, je kaum sechs Quadratmeter messenden Hütten lebten seit fast einem Jahr zwei Männer, die zuvor obdachlos waren. Einer der beiden schaffte es, aus dieser Notbehausung heraus einen neuen Job zu finden.
Zerstörte „Tiny Houses“ vom Mariannenplatz waren Spenden
Gebaut wurden die beiden „Tiny Houses“, was für „kleine Häuser“ steht, mit Spendengeldern, nach einer Idee, die sich von den USA aus über die ganze Welt verbreitet. In Deutschland und besonders in Berlin wurde diese besondere Reaktion auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in einer Metropolregion durch den Architekten Van Bo Le-Mentzel bekannt, der 2018 ein Festival „Tiny Town Urania“ vor dem Hauptsitz der Urania-Gesellschaft in Berlin veranstaltete. Dort wurde unter anderen auch jener Haustyp vorgestellt, in dem die beiden Männer vom Mariannenplatz lebten.
Tiny-Houses vom Mariannenplatz schon immer ungeliebt beim Bezirksamt
Zu verdanken hatten sie es dem Engagement von Sven Lüdecke und seinem Verein „Little Home Köln e.V.“. Unter Vermittlung des Vereins Karuna, dessen langjährige Schirmherrin die kürzlich verstorbene Schauspielerin Hannelore Elsner war, konnten die beiden Holzhäuschen am Mariannenplatz aufgestellt werden. Das zuständige Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg war von Anfang an alles andere als begeistert von dieser Idee und ihrer Umsetzung. Die Behörde hätte die Häuschen gerne an der Wagenburg aufgestellt, die bereits am Platz existiert. Notgedrungen duldete der Bezirk die ungewöhnliche Wohnungssituation mit den Tiny Houses.
Tiny Houses tricksen Baugesetze aus
Von erheblichem Vorteil war dabei deren schlichte Konstruktion. Die Rollen, die unter die Holzhütten montiert sind, machen sie nicht nur ausgesprochen mobil und ortsanpassungsfähig, sondern booten auch die deutsche Bürokratie aus. Denn durch die Rollen benötigen die Häuschen keine Baugenehmigung, weil sie nicht fest mit dem Untergrund verbunden sind. Genau diese Flexibilität war von Anfang an auch einer der wesentlichen Kritikpunkte der Behörden gegen die Idee von Tiny Houses, weil sich zustellfähige Adressen im Zweifel ständig ändern können. Nicht zuletzt die Polizei beobachtet die Entwicklungen dieser alternativen Wohnform nicht nur in Berlin skeptisch.
Bezirksamt verweist auf mangelnde Kooperationsbereitschaft der Bewohner
Eigentlich hätten die beiden Kleinhäuser schon längst vom Mariannenplatz verschwinden sollen, erhielten aber immer neue Ausnahmegenehmigungen. Vor allem, so bestätigen es sowohl das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg als auch der Verein Little Home, weil die beiden Bewohner sich strikt weigerten, ihre Häuser umsetzen zu lassen. Das ist auch das Hauptargument des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg, mit der es in einer Pressemitteilung am 30. April 2019, nur wenige Stunden vor dem geplanten Beginn des MyFestes, die Räumung begründete:
„Leider haben die zwei Bewohner und Besitzer der Tiny-Houses die beiden durch Karuna e.V. im Auftrag des Sozialamts vermittelten Vorschläge für alternative Standorte in unmittelbarer Umgebung nicht genutzt. Die Gründe dafür sind dem Bezirksamt nicht bekannt.“
Bezirksamt verweist auf Sicherheitsbedenken der Polizei, die Linke im Bezirk ist empört
Das Amt bedauere die entstandene Situation, aber verweist auf die Polizei, die erhebliche Sicherheitsbedenken wegen der Menschenmassen beim „MyFest“ geltend gemacht habe. Das lässt die Linkspartei im Stadtbezirk nicht gelten. Sie ist Mitorganisator des Festes und hat nach eigenen Bekundungen immer erklärt, dass das Fest auch mit den beiden Sonderbewohnern durchführbar gewesen wäre. In einem bitterbösen Twitter-Beitrag am 30. April 2019 stellt die Linke nicht mehr und nicht weniger als die Vertrauensfrage gegen den zuständigen Bezirksstadtrat Florian Schmidt von den Grünen:
„Florian Schmidt stellt so die Grundlage der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Parteien, die das Bezirksamt in Friedrichshain-Kreuzberg tragen, in Frage. Wir werden über Konsequenzen beraten müssen.“
Verein Little Home sieht sich zwischen allen Stühlen
Der Verein Little Home Köln e.V. sieht sich offenbar auch in einer Zwickmühle, denn Vereinschef Sven Lüdecke räumt in einer Mitteilung auf Facebook, ebenfalls am 30. April 2019, ohne Umschweife ein, dass die Verweigerungshaltung der beiden Männer in den Tiny-Houses kontraproduktiv gewesen sei:
„Leider haben beide Bewohner das Angebot ausgeschlagen und sich geweigert, freiwillig den Platz zu verlassen. Nun, was sollen wir da sagen? Misslungene Kommunikation beider Parteien? Fehlende Einsicht und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern der Häuser? Schlichte Dummheit? Vermutlich von allem etwas.“
Doch Little Home Köln e.V. stellt dem Bezirksamt auch die simple, aber naheliegende Frage:
„Vielleicht hätte es auch gereicht, die Häuser einfach nur um wenige Meter zu verschieben statt sie zu zerstören. Rollen haben sie ja ...“
Überdies mahnen viele Experten, dass man bitte nicht vergessen dürfe, dass obdachlose Menschen oft komplett anders denken, fühlen und reagieren als Menschen, die nicht unter dem Dauerstress der Obdachlosigkeit stehen. Es sei also leicht, sich über mangelnde Kooperationsbereitschaft der beiden Männer zu beklagen. Unabhängig davon sei die Zerstörung der Häuser einfach ärgerlich und mache den Verein und alle Helfer traurig, so Sven Lüdecke. Immerhin seien hier Spendengelder und ehrenamtliche Arbeit einfach zertrümmert worden. Nicht zu vergessen, dass die beiden Bewohner die erste Nacht nach der Räumung in einem Gebüsch am Mariannenplatz zugebracht haben. Lüdecke verspricht:
„Wir werden schon bald ein neues Häuschen errichten – am Mariannenplatz. Wir geben nicht klein bei.“
Bezirksstadtrat Florian Schmidt nicht nur wegen Mariannenplatz-Vorfall in der Kritik
Ob das so kommt, ist noch nicht ausgemachte Sache, zumal das Bezirksamt wenig Enthusiasmus zeigt, sich noch einmal auf eine solche Wohnsituation einzulassen. Ganz generell ist Bezirksstadtrat Florian Schmidt in keiner guten Stimmung, fühlt er sich doch nicht nur wegen der beiden Tiny-Houses vom Mariannenplatz ungerecht behandelt und regelrecht gemobbt. Schmidt hat auch wegen eines anderen alternativen Wohn- und Kulturprojektes richtig Ärger und sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, er würde aus ideologischen Gründen alternative Lebensformen behindern.
Alternatives Holzmarkt-Projekt kritisiert Florian Schmidt
Es geht um das so genannte Holzmarkt-Projekt, das direkt an der Spree liegt, in Sichtweite zum Ostbahnhof, der Verdi-Zentrale und der weltberühmten East-Side-Gallery. Flankiert von der S-Bahn-Strecke entstand ein Gebäudeensemble mit Wohnungen, Geschäften, Restaurants, Bars, Clubs und Ateliers, das an die glorreichen Berliner Zeiten der unmittelbaren Nachwende ab 1990 erinnern soll. Damals wurden alte Industriebrachen und leerstehende Häuser in Ostberlin zu Clubs und alternativen Kulturprojekten umgewandelt und begründeten den Ruf Berlins als Party- und Künstler-Hochburg, wo sich Kreativität ungestört und preiswert entfalten konnte.
Der Erfolg Berlins wurde zum Fluch, denn wie die Motten zum Licht kommen, entdeckten Immobilienspekulanten Berlin, nachdem sie bereits andere Metropolen wie London, New York, Paris oder Barcelona erfolgreich gentrifziert und luxussaniert hatten. Seither tobt an Standorten wie auch der Holzmarktstraße die Schlacht um besonders attraktive Grundstücke, vor allem wenn sie Wasserlage haben. Doch an der Holzmarktstraße 25 war es wie durch ein Wunder einmal gelungen, dass die Zocker der Betongoldmafia nicht zum Zuge kamen und die entsprechende Schießschartenarchitektur mit ihnen. Jahrelange Verzögerungen und Streitigkeiten mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg haben das Projekt jedoch in Schwierigkeiten gebracht. Der ursprünglich vorgesehene Erbbaupachtvertrag ist inzwischen Makulatur, und die Genossenschaft des Holzmarkt-Projektes verdächtigt und beschuldigt Bezirksstadtrat Florian Schmidt, absichtlich das Vorhaben zu sabotieren.
Auch der ehemalige grüne Justizsenator Wieland kritisiert seinen Parteifreund Schmidt
Ausgerechnet der ehemalige grüne Justizsenator Wolfgang Wieland übt ebenfalls beißende Kritik an seinem Parteifreund. Wieland ist von der Projektgemeinschaft „Holzmarkt“ in einen Übergangsbeirat berufen worden, der helfen soll, das Vorhaben zu retten. Wieland wird in der hauptstädtischen Presse mit den Worten zitiert, Florian Schmidt sei der erste Grüne, mit dem er sich sieze.
Florian Schmidt ist Hassobjekt der Immobilienspekulanten
Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass es auch ebenjener Florian Schmidt ist, der zwar alternativen Wohn- und Kulturprojekten wie am Mariannenplatz oder der Holzmarktstraße quer im Magen liegt und sich diesbezüglich ganz gewiss nicht mit Ruhm bekleckert hat. Auf der anderen Seite aber ist ebendieser Florian Schmidt das erklärte Hassobjekt vieler Immobilienspekulanten in Berlin.
Insbesondere der durch die ARD-Dokumentation „Ungleichland“ zu zweifelhaftem Ruhm gelangte Spekulant Christoph Gröner könnte den grünen Baustadtrat inzwischen wohl eigenhändig erwürgen, weil er ihm sein schönes Umbau-Projekt des ehemaligen Posthochhauses in Kreuzberg immer wieder vermiest. Schmidt hat sich als relativ resistent gegen die Grönerschen Kolonialherrenmanieren erwiesen, die er in der erwähnten ARD-Dokumentation zum Erschrecken vieler Zuschauer vorführte und auch in Berlin gerne raushängen lässt. Auch der Groß-Wohnimmobilienspekulant Deutsche Wohnen hat seine Scharmützel mit Florian Schmidt ausgetragen, aktuell wegen Wohnungen in der denkmalgeschützten Karl-Marx-Allee.
Hilfsorganisationen für Obdachlose stehen sich oft selbst im Weg
Den Obdachlosen vom Mariannenplatz und anderenorts in Berlin nützen diese Auseinandersetzungen erstmal nichts. Überdies streiten sich die Hilfsorganisationen oft sogar untereinander und schwächen sich so zusätzlich. Sven Lüdecke von Little Home Köln e.V. schilderte im Januar 2019 gegenüber dem Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB), dass es regelrechte Eifersuchtsszenen gebe:
„Jede hat seine Daseinsberechtigung, von Suppe verteilen, Schlafsäcke, T-Shirts, aber es ist ein Krieg auf der Straße, es ist mein Obdachloser, Finger weg, dem kannst du nicht helfen, dem helfe ich schon. So entsteht Neid und Frust. Ich würde mich freuen, wenn diese Gruppen wiewir alle mehr zusammenrutschen würden, um mehr dauerhaft helfen zu können.“
Bedarf an „Tiny-Houses“ enorm, aber offenbar auch schon „Geschäftsmodell“
Denn der Bedarf beispielsweise an „Tiny Houses“ ist enorm. Der Verein Little Home Köln e.V. erklärte, bundesweit würden mehr als 15.000 Menschen auf ihren Wartelisten stehen. Und selbst diese, aus blanker Not geborene Wohnform scheinen Spekulanten bereits für sich als neues Geschäftsfeld entdeckt zu haben. Der schon erwähnte Architekt, Van Bo Le-Mentzel, warnte 2018 bei der Präsentation der Tiny-Houses an der Berliner Urania davor, dass in den USA bereits die ersten Wohnparks mit Tiny-Houses entstanden seien und die Immobilienbranche Lunte gerochen habe.
Das ist nicht verwunderlich angesichts der ungeheuren Milliardensummen, die Staaten in die Rettung „systemrelevanter“ Zocker gepumpt haben, die mit diesem Geld nun auf der hektischen Suche nach halbwegs sicheren Anlageobjekten sind, um vor dem Platzen der nächsten Blase so viel wie möglich ihrer virtuellen Buchvermögen in echte Werte umzurubeln. So erklärt sich auch der ungeheure Druck auf europäische Kommunen und Staaten, öffentliches Immobilieneigentum zu privatisieren. Doch auch mit kleinen, möblierten Wohneinheiten lasse sich offenbar ordentlich Profit erwirtschaften.
sputniknews
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