Aufbruch an der Adria

  16 Dezember 2019    Gelesen: 1174
Aufbruch an der Adria

Rijeka in Kroatien ist voller Paläste, alter Bunker und stillgelegter Fabriken. Als Europäische Kulturhauptstadt setzt sie im kommenden Jahr auf Recycling statt auf Neubau. Clever.

In einem ehemaligen Zivilschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg gibt es heute Pizza, in einem stillgelegten Eisenbahntunnel residiert der Indieklub Tunel. In Rijeka, der drittgrößten Stadt Kroatiens, liegt gerade im Unfertigen der Reiz - Brachflächen haben Subkultur noch nie geschadet. Und Rijekas Szene wächst.

Im kommenden Jahr werden das viele Touristen erleben: Dann trägt Rijeka den Titel Europäische Kulturhauptstadt. "Hafen der Vielfalt" lautet das Motto, das sich die Stadt an der Kvarner Bucht gegeben hat - in sieben Themenblöcken soll es um Wasser, Arbeit und Migration gehen. Wobei Rijeka eben auch dann nicht die perfekt herausgeputzte Metropole sein wird, die alle Sehenswürdigkeiten makellos präsentiert.

"Ich mag diese verrückten architektonischen Schichten der Stadt, die für ihre komplexe Geschichte stehen", sagt Morana Matkovi, 35, die als Kuratorin für Rijeka 2020 arbeitet. Sie deutet auf das Stadtpanorama am Fuße eines schroff ansteigenden Gebirges: am Wasser die imposanten Paläste aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, Industriebauten und Hochhäuser aus der Zeit des Faschismus.

Weiter oben die mittelalterliche Festung Trsat und die Plattenbauten aus der sozialistischen Tito-Ära. Auf deren flachen Dächern, erzählt Matkovi, sollen im kommenden Jahr Tomaten wachsen, Blumenbeete blühen und Events stattfinden. Die Pläne dafür haben die Anwohnern mitentwickelt.

Sie ist fasziniert von den Gegensätzen der Stadt: So legen im Containerhafen im Osten Kreuzfahrtschiffe an, da es im Zentrum keine Marina mit genügend Platz für sie gibt. "Beim Aussteigen sehen Touristen oft so schockiert aus, als würden ihnen gleich die Organe entnommen", sagt Matkovi und lacht.

Fabrikrecycling statt Neubau-Offensive

Anders als in anderen Kulturhauptstädten entstehen in Rijeka kaum neue Gebäude - und das trotz 450 geplanter Veranstaltungen. Der Bestand wird neu gedacht, Brachliegendes restauriert. Die Hafenstadt hat schließlich genug leer stehende Fabrikgebäude und Lagerhallen wie die graffitibemalte "Exportdrvo". Nach dem Zerfall Jugoslawiens mussten viele Industrien schließen, Zehntausende Arbeiter verloren ihre Jobs.

Die vor sich hinrostende "Galeb" (auf Deutsch: Möwe) - ehemals ein Fracht- und Militärschiff, dann unter Tito eine Jacht - wird nun ein Museum. Und im Westen der Stadt entsteht ein völlig neues Kulturareal mit Stadtbibliothek und einem interaktiven Museum nur für Kinder, dem "Children's House". Den Mittelpunkt stellt das bereits eröffnet Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MMSU) da.

Nur die rechteckigen Platten im Boden der Galerieräume erinnern an die Vergangenheit: Hier standen früher die Maschinen einer Motorradfabrik und Gießerei. Die 41-jährige Kuratorin Ivana Meštrov aus Zagreb hofft, dass die Kulturveranstaltungen "richtig viel Bewegung in die Stadt" bringen.

Die aktuelle Ausstellung "Culture of dopolavoro - Yesterday, Today, Tomorrow" erzählt von der Geschichte des Gebäudes: Ehemalige Fabrikarbeiter reden in Videos darüber, wie sie damals ihre Freizeit gestalteten. "Die Fabriken hatten viele Aktivitäten für ihre Mitarbeiter organisiert, es gab eine Malgruppe, in ehemaligen Werften sogar Fotografie-Workshops", sagt Meštrov. "Für viele ist es ein trauriges Kapitel."

Am Ufer der Rjecina, die hier in die Adria mündet, befindet sich das baufällige Areal der ehemaligen Papierfabrik Hartera, ein Dorado für Lost-Places-Fans. Läuft man die schmale Straße Ružiceva entlang - den Hafen im Rücken, am Elektroclub Civot vorbei -, erreicht man diesen ungewöhnlichen Ort.

Graffiti- und Streetart-Künstler haben die Gebäude mit ihren zerbrochenen Scheiben erobert und betreiben dort Ateliers. Zwischen Grillstellen, Scherben, Sofas steht auch ein altes Boot. Eine Filmcrew hat dort vor kurzem für die neue Stephen-King-Serie "The Dark Tower" gedreht.

spiegel


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