Absage an die Zerstreuung

  02 März 2020    Gelesen: 1019
Absage an die Zerstreuung

Reisen in Zeiten des Coronavirus erscheint plötzlich überall auf der Welt fragwürdig. Das bekommt auch die Internationale Tourismusmesse in Berlin zu spüren.

Für die Reisebranche war es in der vergangenen Woche eine große Frage, ob die ITB, die internationale Tourismus-Börse, in Berlin stattfindet oder nicht, jetzt ist sie abgesagt. Vor allem für die Messegesellschaft und die Stadt Berlin, die wirtschaftlich von dieser Großveranstaltung profitieren, war das eine folgenreiche Frage. Aber besonders für die Branche selbst, für die es nicht nur um ihren jährlichen Marktplatz geht, sondern die sich auch Sorgen um ihr Geschäft generell macht, nach dem Motto: Wie sollen wir unseren Kunden vermitteln, dass sie weiterhin reisen sollen, wenn wir, die Reiseprofis, lieber zu Hause bleiben?

Schon länger waren im Vorfeld angesichts eines sich weltweit verbreitenden Virus Massenveranstaltungen auf engem Raum, noch dazu mit Teilnehmern aus aller Welt, in Frage gestellt worden. Wobei Diskussion und Streit sich darum drehten, ob das angesichts des Virus selbst, berechtigter Sorge, übertriebener Angst oder schlicht Unsicherheit, geschieht. Dass es nun ausgerechnet die weltgrößte Reisemesse trifft, kann man als Pech sehen, weil sie zufällig in der entscheidenden Phase der Ausbreitung des Virus liegt, oder grundsätzlich über das Verhältnis von Reisen und Viren nachdenken. Und darüber, ob das Ganze auch etwas über das Reisen aussagt.

Reisen bedeutet Sich-Zerstreuen

Weltweit wurden bereits mehrere hundert Messen abgesagt oder verschoben, viele in Asien, aber auch in Europa und einige auch in Deutschland. Diese nicht zuletzt, weil viele Aussteller und Besucher aus China kommen sollten und es von daher schon im Vorfeld viele Stornierungen gab. Bei der ITB sieht das anders aus. Aussteller und Besucher kommen aus aller Welt, die vom Coronavirus besonders betroffenen Länder sind in der Minderheit. Ein wenig mag es auch daran liegen, dass die als erste um ein halbes oder ein Jahr verschobenen Messen in Deutschland, die für Licht und Gebäudetechnik in Frankfurt und die Internationale Eisenwarenmesse in Köln eher stationäre, um nicht zu sagen bodenständige Themen betreffen, bei denen das Reisen nicht in der Natur der Sache liegt, was man von der ITB und ihren Besuchern nun wirklich nicht behaupten kann.

An dieser Stelle tauchen schon erste Verwerfungen auf. Zunächst zwischen Reisen und Reisemesse. Reisen, betrachtet man es vom Reisenden aus, bedeutet im Grunde ein Verlassen des Ortes, ein Hinausziehen in die Welt, ein Sich-Zerstreuen. Und um das zu gewährleisten, macht die Reisemesse im Grunde das Gegenteil: Sie versammelt möglichst viele Menschen aus aller Welt an einem abgeschlossenen Ort: dem Berliner Messegelände. Sosehr man Funkturm und ICC architektonisch schätzen mag, auf der Liste ihrer Traumreiseziele müssten die meisten vermutlich lange nach unten scrollen, bis sie es finden. Und dann auch noch gleichzeitig mit über 160.000 anderen Besuchern im notorisch kalten und grauen Berliner Winter. Nicht wirklich eine Zerstreuung. Muss es aber in diesem Fall auch nicht sein, die meisten Besucher und Aussteller reisen zwar zur ITB an, aber geschäftlich und nicht als Touristen. Ziel einer Messe ist es ja gerade zusammenzukommen, nicht sich zu zerstreuen, auch und gerade bei einer Reisemesse.

faz.net


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