Bewegungslos in Brüssel

  19 Februar 2016    Gelesen: 1598
Bewegungslos in Brüssel
Die Mitgliedsstaaten haben sich in der Nacht nicht auf ein Reformpaket für Großbritannien geeinigt. In der Flüchtlingskrise plant die EU einen neuen Gipfel mit Ankara.
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich trotz stundenlanger Verhandlungen bisher nicht auf ein Reformpaket für Großbritannien einigen können. "Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber eine Menge muss noch getan werden", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am frühen Freitagmorgen in Brüssel. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sagte, er sei weniger optimistisch als vor Beginn der Beratungen. Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel haben alle EU-Staaten den Wunsch, Großbritannien in der EU zu behalten. Einzelne Punkte des Reformpakets fielen bestimmten Mitgliedsländern aber nicht leicht.

Experten sollten die Nacht hindurch die Details des Pakets abstimmen, bevor die Staats- und Regierungschefs der EU am Freitagvormittag wieder zu Beratungen zusammenkommen wollten.

Der britische Premierminister David Cameron will mit dem Reformpaket im Rücken beim geplanten Referendum in seinem Land für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU werben und so den sogenannten Brexit verhindern. Merkel machte klar, dass die Umsetzung der Vereinbarungen an einen erfolgreichen Ausgang des britischen Referendums geknüpft würden

Renzi droht Osteuropa mit Kürzungen

Auch in der Frage der Flüchtlingskrise kam es am ersten Tag des Treffens zu keinem Durchbruch. Gerungen wurde laut Diplomaten insbesondere um eine Formulierung, die als Aufruf zu Grenzschließungen an der Balkanroute verstanden werden könnte: Demnach sollen Schengen-Mitglieder an den Außengrenzen all jene Flüchtlinge abweisen, "die die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen oder die nicht vorher Asyl beantragt haben, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätten".

Tausende Flüchtlinge könnten sich dann insbesondere an der slowenischen Grenze zu Kroatien stauen, fürchtet die Bundesregierung. Slowenien liegt auf der Hauptroute der Flüchtlingsbewegung aus der Türkei durch Griechenland Richtung Norden und ist - anders als Kroatien - im Schengenraum und hat damit also eine Schengen-Außengrenze. Die Bundeskanzlerin setze demgegenüber auf eine "europäische Lösung" ohne nationale Grenzschließungen, sagte ein Diplomat gegenüber der Nachrichtenagentur afp.

Dass Merkel auf dem Gipfel auf eine Änderung der Formulierung drängte, stieß auf scharfe Kritik. "Seit zwei Stunden wird ein ausgewogener und direkter Entwurf für die Schlussfolgerungen auseinander gepflückt", schrieb der tschechische Europastaatssekretär Tomas Prouza auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

EU-Gipfelchef Donald Tusk kündigte einen außerplanmäßigen Flüchtlingsgipfel mit der Türkei an. Dieser solle Anfang März veranstaltet werden, so Tusk am frühen Freitagmorgen. Ein am Donnerstag vor dem EU-Gipfel angesetztes Treffen mit der Türkei für eine gemeinsame Linie zur Beschränkung des Flüchtlingszuzugs konnte nicht wie geplant stattfinden. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte seine Teilnahme nach einem Anschlag auf einen Militärkonvoi in Ankara mit 28 Toten abgesagt.
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi drohte den osteuropäischen Staaten in Brüssel einem Insider zufolge mit der Kürzung von Finanzmitteln, wenn sie nicht stärker in der Flüchtlingskrise kooperieren. "Die Migrationskrise ist ein gemeinsames Problem aller EU-Länder. Wenn ihr keine Solidarität zeigt, werden die Länder, die am meisten in den EU-Hauhalt einzahlen, vielleicht weniger Solidarität mit euch zeigen", soll Renzi demzufolge beim EU-Gipfel in der Nacht zum Freitag an die Adresse der Regierungschefs aus Osteuropa gesagt haben.

Konkret habe Renzi mit der Kürzung von EU-Strukturfonds gedroht, sagte die mit den Aussagen des italienischen Ministerpräsidenten vertraute Person. Italien ist nach Deutschland und Frankreich der drittgrößte Beitragszahler in den EU-Haushalt, der für die Jahre von 2014 bis 2020 eine Billion Euro schwer ist. Rund ein Drittel davon ist für Strukturfonds eingeplant, die für ärmere Regionen der EU-Staaten vorgesehen sind. Die Verhandlungen über den nächsten EU-Haushalt beginnen in diesem Jahr.

Österreich will an Obergrenze festhalten

Im Streit um Flüchtlingsobergrenzen setzen mehrere EU-Partner Österreich unter Druck. Bei dem Gipfel wurde unter den EU-Chefs die Forderung laut, dass Wien bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte März die Obergrenze erst einmal nicht in die Tat umsetzt, berichteten Diplomaten am frühen Freitagmorgen am Rande von zähen Debatten.

Die EU-Kommission hatte bereits vor Gipfelbeginn mitgeteilt, die Begrenzung der Zahl von Asylanträgen in Österreich sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta vereinbar. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte, seine Regierung werde an der am Mittwoch festgelegten Jahres-Obergrenze 37500 Flüchtlingen festhalten.

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