Wenn das Handy mehr Aufmerksamkeit bekommt als das Baby – Fachleute warnen vor Entwicklungsstörungen

  15 Mai 2020    Gelesen: 1091
Wenn das Handy mehr Aufmerksamkeit bekommt als das Baby – Fachleute warnen vor Entwicklungsstörungen

Junge Erwachsene verbringen im Schnitt fünf Stunden täglich mit der Nutzung ihres Smartphones. Der ständige Blick aufs Handy ist uns zur zweiten Natur geworden. Fachleute warnen: Wenn junge Mütter sich zu viel mit dem Handy beschäftigen, statt mit dem Säugling zu kommunizieren, könnte das zu Entwicklungsstörungen beim Kind führen.

Kann intensiver Handy-Konsum junger Eltern zu Entwicklungsstörungen bei Babys und Störungen in der Eltern-Kind-Bindung führen? Noch gibt es kaum wissenschaftliche Studien dazu, doch es mehren sich die Hinweise, dass es schädlich für die frühkindliche Entwicklung sein könnte, wenn die mimische Interaktion durch den starren Blick auf das Smartphone häufig unterbrochen wird.

„Das Thema wird total unterschätzt, wir brauchen mehr Aufklärung“, sagt auch Sabina Pauen, Entwicklungspsychologin an der Universität Heidelberg.

Bei Müttern mit Wochenbettdepressionen haben Mediziner in klinischen Studien bereits Erkenntnisse darüber gesammelt, dass der emotionale Rückzug und weniger positive Interaktion der Mütter mit ihren Säuglingen dazu führten, dass diese im Vergleich zu den Babys psychisch gesunder Mütter weniger Blickkontakt aufnahmen und in ihrer kognitiven Entwicklung beeinträchtigt waren.

Der Stress des stillen Gesichts
Wie wichtig die Mimik und der Blickkontakt mit der Mutter für einen Säugling sind, zeigt auch das sogenannte „Still Face“-Experiment von Dr. Edward Tronick (1978). Die Mütter sind dabei aufgefordert, in ihrer Mimik zu erstarren und nicht mehr mit ihren Babys zu kommunizieren. Das starre Gesicht der Mutter wirkt auf die meisten Säuglinge extrem verunsichernd, sie fangen an, zu strampeln, mit den Armen zu wedeln oder zu weinen, um wieder Aufmerksamkeit zu bekommen. Für die Babys ist das eine Stresssituation.

In ihrem Aufsatz „Der Blick zum Säugling – gestört durch Smartphones?“ warnten Monique Maute, Jessica Pehlke-Milde, Laura Wade-Bohleber und Agnes von Wyl 2018 bereits davor, dass der häufige Smartphone-Konsum ebenfalls die Mutter-Kind-Bindung stören und die Entwicklung des Säuglings beeinträchtigen könnte. Junge Erwachsene würden durchschnittlich 85 Mal am Tag ihr Smartphone benutzen und etwa fünf Stunden täglich damit verbringen.

Studien mit älteren Kindern hätten bereits gezeigt, dass Unterbrechungen durch Technologie, „Technoference“ genannt, Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Interaktion haben und zu Problemverhalten beim Kind führen können. Die Auswirkungen auf Säuglinge seien zwar kaum erforscht, doch die BLIKK-Medienstudie habe signifikante Zusammenhänge zwischen der mütterlichen digitalen Mediennutzung im Beisein des Säuglings und Fütter- und Einschlafstörungen des Kindes aufgezeigt.

Sichere Bindung zum Kind statt zum Endgerät
Gerade in der ersten Zeit nach der Geburt sei für das gegenseitige Kennenlernen wichtig, dass die Interaktion zwischen Mutter und Kind möglichst ungestört verläuft. Dabei komme der elterlichen Sensitivität eine große Bedeutung zu. Das richtige Erkennen der kindlichen Bedürfnisse und das prompte und adäquate Antworten darauf würden dem Säugling ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln, so die Autorinnen. Diese Verlässlichkeit sei die Basis für den Aufbau einer sicheren Bindung. Ist die Mutter jedoch vom Blick auf das Handy abgelenkt, könne das zu einer verspäteten Beantwortung der kindlichen Signale führen.

Bezugnehmend auf die Erkenntnisse aus dem „Still Face“-Experiment und den Untersuchungen der Interaktion zwischen depressiven Müttern und ihren Säuglingen schreiben die Autorinnen:

„Ähnliche Reaktionen könnte der ständige Blick auf das Smartphone auslösen. Säuglinge könnten resignieren, weil die Lebendigkeit der Mimik fehlt und permanent dem Smartphone zugerichtet ist.“
Neben einer tieferen Erforschung dieses Gegenstands fordern sie eine Einbindung der Hebammen, die bei jungen Eltern diesbezüglich Aufklärungsarbeit leisten könnten. „Um über die möglichen Gefahren einer zu frühen Nutzung digitaler Medien von unseren Kleinsten besser aufzuklären, müssten sich im Grunde schon die Hebamme oder der Gynäkologe im Gespräch mit den schwangeren Frauen diesem Thema zuwenden“, sagt auch Rainer Riedel, Direktor des Instituts für Medizinökonomie und medizinische Versorgungsforschung Köln.

sputniknews


Tags:


Newsticker