Die Türkei buhlt trotzdem um Deutsche

  22 Juni 2020    Gelesen: 1705
Die Türkei buhlt trotzdem um Deutsche

In den türkischen Touristenhochburgen ist die Enttäuschung groß: Wegen der verlängerten Reisewarnung dürften in der Ferienzeit kaum deutsche Urlauber kommen - abgesehen von einigen Mutigen. Nach Zweifeln an den offiziellen Corona-Zahlen versucht die Regierung nun, Vertrauen zu schaffen.

In der weitläufigen Anlage des 5-Sterne-Hotels ist Linda Visznecki mit ihrem neunjährigen Sohn an diesem Nachmittag fast allein - abgesehen von einer anderen Frau, die sich von den vielen, leeren Liegen am Pool eine aussuchen kann. Es ist offensichtlich, dass die Corona-Krise hier in Antalya tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Verlängerung der Reisewarnung für die Türkei war eine weitere Enttäuschung für eine Region, die hauptsächlich vom Tourismus lebt. Die Bundesregierung hatte das Urlaubsland am Montag zusammen mit 130 weiteren Ländern zudem als Corona-Risikogebiet eingestuft.

Menschen, die aus einem Risikogebiet in Deutschland einreisen, müssen mit einer 14-tägigen Quarantäne rechnen. Urlauber aus der Türkei können nur von der Quarantäneregelung befreit werden, wenn sie bei der Einreise nach Deutschland einen negativen Corona-Test vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Visznecki hat sich trotzdem über die Reisewarnung hinweggesetzt. Die Türkeiliebhaberin bereut ihre Entscheidung nicht: "Die Vorkehrungen, die hier speziell vom Hotel getroffen werden, übersteigen diejenigen, die ich im Alltag in Wiesbaden erlebt habe", sagt Visznecki. "Ich fühle mich sicher und bestens aufgehoben - mit allen Sauberkeitskriterien und Hygienevorkehrungen. Ich habe keine Bedenken."

Die türkische Regierung hat einen Maßnahmenkatalog erlassen, um Touristen davon zu überzeugen, auch in Corona-Zeiten in die Türkei zu reisen. Zusätzlich können sich Hotels einem freiwilligen Zertifizierungsprogramm unterziehen. Auch der Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirbt offensiv um Vertrauen. Die Türkei sei gemessen an den Fallzahlen besser durch die Corona-Krise gekommen als viele andere Staaten, sagte er bei einer Pressekonferenz am Samstag in Antalya. Die Türkei habe zudem wie auch Deutschland "eines der besten Gesundheitssysteme der Welt".

Ärger über Einstufung des RKI

Auf dieses Versprechen setzt auch Visznecki. "Es gibt auch den Medizintourismus hier", sagt die Urlauberin. "Das ist auch bekannt. Ich habe überhaupt keine Sorge, wenn mir etwas zustoßen sollte." Ein weiterer Grund, warum sie trotz Reisewarnung in den Flieger gestiegen ist. Nach Spanien und Italien ist die Türkei das drittbeliebteste Urlaubsziel der Deutschen. Die Einstufung als Risikogebiet und die verlängerte Reisewarnung bis 31. August waren Anfang der Woche seitens der Türkei auf großes Unverständnis gestoßen. Und der Ärger hat sich noch nicht gelegt. Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy sagte am Samstag, er könne sich die Entscheidung der Deutschen nur so erklären: "Sie wollen, dass die Urlauber vor allem in europäischen Ländern bleiben und dort reisen. Wir haben unsere Daten bezüglich Corona vorgelegt, besonders in den Feriengebieten hatten wir sehr wenige Fälle."

Ausschlaggebend für eine Einstufung als Risikogebiet ist wie bei der Reisewarnung die Zahl der Neuinfektionen. Sind es mehr als insgesamt 50 auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche, gilt ein Land als Risikogebiet. Aber auch wenn die Infektionszahl niedriger liegt, kann ein Land zum Risikogebiet erklärt werden - zum Beispiel bei mangelnden Testkapazitäten oder unzureichenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. "Ebenso wird berücksichtigt, wenn keine verlässlichen Informationen für bestimmte Staaten vorliegen", heißt es auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts (RKI). Auch andere Touristenziele wie Ägypten, Thailand und Marokko stehen auf der Liste des RKI, die nun regelmäßig überprüft werden soll.

Zweifel an offiziellen Fallzahlen

Tatsächlich veröffentlichten die türkischen Behörden in den vergangenen Wochen nur selten regionale Corona-Statistiken. Das schuf in Europa nicht gerade Vertrauen. Tourismusminister Ersoy weist jedoch Vorwürfe von Kritikern zurück, wonach die offiziellen Fallzahlen falsch seien. Die Daten, die das Gesundheitsministerium bekannt gebe, seien "absolut korrekt". Nach offiziellen Angaben gibt es rund 185.000 Coronavirus-Fälle und 4905 Todesfälle in dem Land. In Antalya seien bislang insgesamt 472 Coronavirus-Infizierte registriert, von denen 366 wieder genesen sind.

Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Vergangenes Jahr machten nach offiziellen Angaben mehr als fünf Millionen Deutsche Urlaub in der Türkei. Deswegen appelliert Reiseveranstalter Deniz Ugur von Bentour Reisen, die Bundesregierung müsse ihren Kurs überdenken. "Die Region Antalya hat wirklich eine Möglichkeit, Urlaub wieder stattfinden zu lassen", sagt Ugur. "Und wir denken auch, dass dieser Urlaub momentan für viele deutsche Staatsbürger dringend notwendig ist." Dass Ugur von einem rein finanziellen Interesse geleitet ist, bestreitet er. "Ich würde niemals Reisen anbieten, wenn ich am Ende etwas riskieren würde oder nicht mit meiner eigenen Familie auch kommen würde."

Quelle: ntv.de, mit dpa


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