Sharing-Plattformen wälzen Probleme ab 

  14 Juli 2020    Gelesen: 702
Sharing-Plattformen wälzen Probleme ab 

Die Corona-Krise trifft die bekannten Namen der Sharing Economy hart: Der Fahrdienstleister Uber will ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen, genauso die Wohnungsvermittler von Airbnb. Dafür trumpfen andere Angebote auf: Boote, Terrassen, aber vor allem Swimmingpools waren an heißen Tagen mit wenigen Freizeit-Alternativen begehrt. Auf der Plattform Swimply schossen die Buchungen im Frühjahr um 1200 Prozent nach oben. Dabei ist die Idee, Swimmingpool oder Boot zu teilen, "wahrlich nicht neu", sagt Jonas Pentzien vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Gespräch mit ntv.de. Der Unterschied ist das Internet, das "viele Transaktionen zwischen verschiedenen Gruppen und über Entfernungen hinweg" erst ermöglicht. Was zu Problemen führen kann, bei denen die Plattformen wenig Hilfe anbieten. Deshalb stehen in vielen Straßen noch immer Hunderte ungenutzte Autos rum.

Ihr Institut beschäftigt sich mit Nachhaltigkeitsfragen. Damit gilt auch die Sharing Economy als nachhaltig?

Grundsätzlich auf jeden Fall. Dinge zu teilen, ist vor allem aus ökologischer Perspektive eine tolle Sache. Das klassische Beispiel ist immer der Akku-Bohrer: Wer sich einen kauft, benutzt ihn im Schnitt nur circa zwölf Minuten, dann wieder ewig nicht. Es ist sinnvoll, wenn sich Menschen den Akku-Bohrer teilen. Sharing hat aber natürlich auch Grenzen. Zum Beispiel ist es so, dass viele von diesen Sharing-Anbietern aufgrund ihres Geschäftsmodells auch Anreize für mehr Konsum schaffen: Also, fährt die Person, wenn sie über Airbnb ein Zimmer bucht, deshalb sogar noch häufiger in den Urlaub? Wenn wir am Ende mehr konsumieren, ist das ökologisch nachteilig.

Das klingt nach dem Geschäftsmodell von Facebook und Youtube, bei dem es darum geht, die Nutzer möglichst lange auf der Plattform zu halten.

Wir müssen uns vor Augen führen, was wir unter diesem Begriff "Sharing Economy" überhaupt verstehen. Das, was wir häufig meinen, ist im engeren Sinne eigentlich gar kein Teilen. Wenn man sich zum Beispiel Airbnb anguckt: Das wird größtenteils nicht genutzt, um zu teilen, sondern weil die einen günstig wohnen wollen und die anderen Geld verdienen möchten. Bei Uber wird nicht unbedingt das Auto geteilt, sondern die Dienstleistung einer klassischen Taxifahrt. Das sind im Sinne des "ture sharing", wie der Wissenschaftler Belk es nennt, keine Momente, in denen wir wirklich etwas teilen, sondern klassische monetäre Transaktionen. Für diese Plattformen aber ist es eine Notwendigkeit, sich eine Art Ökosystem aufzubauen, das man als Nutzer und Nutzerin gar nicht mehr verlassen muss. Denn je mehr wir über die Plattformen interagieren, desto mehr Daten generieren wir. Und mit den Daten lässt sich Geld machen.

Dann sind Plattformen die Weiterentwicklung der Sharing Economy? Denn die Idee, dass ich mir einen Akku-Bohrer miete, ist ja nicht neu. Nur sind wir dafür früher in den Baumarkt gegangen.

Die Idee des Teilens ist wahrlich nicht neu. Ich würde sogar sagen: Die Menschen teilen seit Jahrtausenden. Dass galt auch schon für die Güter, die wir heute über diese Plattformen teilen. Viele Menschen haben auch vor Swimply und Joyspace den Zugang zu ihren Swimmingpools, Tennisplätzen und Booten geteilt, aber wahrscheinlich nur mit ihren Freunden. Neu am heutigen Sharing ist auf jeden Fall das Internet, also diese digitale Plattform, die viele Transaktionen zwischen verschiedenen Gruppen und über Entfernungen hinweg erst ermöglicht. Klar, ich konnte früher zum Baumarkt gehen und mir einen Bohrer ausleihen. Aber heute kann ich das vielleicht auch einfach bei meinem Nachbarn tun oder aber bei jemanden in meiner Straße. Und dann gab's noch einen Bewusstseinswandel: Sharing gilt gemeinhin gerade als chic und nachhaltig.

Sie haben schon ein paar Beispiele genannt: Wir teilen Wohnungen, Büros, Swimming Pools, Tennisplätze, Terrassen, Boote, Fitnessräume - gibt es etwas, dass wir nicht teilen können?

Es gibt natürlich Grenzen in Bezug auf das, was wir teilen können. Damit ich ein Gut oder eine Dienstleistung über eine Plattform bereitstellen kann, muss die Nutzung oder diese Dienstleistung klar definiert werden können. Bei Airbnb ist es die Übernachtung, bei Deliveroo ist es das gelieferte Essen, bei Swimply wäre es die Nutzung des Swimmingpools für eine Stunde. Bei immateriellen Gütern wie Freundschaft wird das schwierig, das monetär über eine Plattform zu tauschen.

Aber das kann auch für ganz konkrete Güter gelten. Häufig werden Dinge nur dann geteilt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das Teilen eines Privatautos hat sich bisher noch nicht durchgesetzt, obwohl in meiner Straße in Berlin Hunderte Autos stehen, von denen die meisten nur ganz selten genutzt werden. Das liegt daran, dass bei den Geschäftsmodellen vieler Plattformen immer noch Unsicherheit bestehen, beispielsweise in Bezug auf Versicherungsfragen: Was passiert, wenn ich einen Unfall mit einem anderen Auto baue?

Das gilt auch für Airbnb: Was, wenn ein Gast etwas aus meiner Wohnung mitnimmt? Güter werden nur dann getauscht, wenn sich die Personen bis zu einem gewissen Grad sicher dabei fühlen.

Wie ist diese Frage bei Airbnb geregelt?

Airbnb hat eine Art Mediations-Center, an das sich Kunden und Gastgeber im Notfall wenden können. Häufig läuft es aber so, dass Probleme auf das Individuum abgewälzt werden. Also, Airbnb sagt: Sie unterstützen, aber das bleibt relativ intransparent. Zumindest ist mir in meiner Forschung nicht ganz klar geworden, welche Möglichkeiten Airbnb ganz konkret zur Verfügung stellt. Häufig wird es dann einfach über die individuelle Haftpflichtversicherung geregelt. Eine gewisse Form von Unsicherheit bleibt natürlich.

Bürden die Plattformen den Nutzern - seien es Gastgeber oder Kunden - das Risiko auf?

Das ist eine der spannendsten und zentralsten Fragen der Plattform-Ökonomie: das Verhältnis zwischen Anbieter und Nachfrager. Das hängt ganz stark von der Plattform selber ab, und auch davon, welche Macht eine Plattform hat oder wie relevant sie schon geworden ist. Je stärker eine Plattform dominiert, desto abhängiger sind die Anbieter von ihr, denn es gibt keine echte Alternative mehr. Das haben wir beispielsweise bei Deliveroo gesehen. Am Anfang hat die Plattform beispielsweise noch die Kosten für Reparaturen an den Fahrrädern der Fahrer und Fahrerinnen übernommen. Aber mit dem Wachstum der Plattform wurden diese Kosten auf die Fahrer übertragen. Heute sind die Arbeitsbedingungen dann doch deutlich schwieriger.

Das Ziel ist also, die Mitbewerber zu überleben und am Ende, wenn man allein auf dem Markt ist, die Preise zu erhöhen?

Ja. Auch große Plattformen wie Uber schreiben seit Jahren rote Zahlen und überleben nur aufgrund des Venture Capitals, des Risikokapitals, das sie an den Finanzmärkten bekommen. Das Ziel ist langfristig, von einer gewissen Monopolstellung zu profitieren. Aber viele dieser Plattform machen sich keine Illusionen, dass sie in den Märkten, in denen sie beginnen, langfristig bleiben. Häufig starten sie in einem sehr konkreten Markt und versuchen dann, von dort aus in andere Märkte einzudringen, in denen ein größerer Mehrwert generiert werden kann. Bei Uber sind es beispielsweise selbstfahrende Autos oder die Essenslieferungen.

Durch das Risiko sind die Zielgruppe für die meisten Plattformen eher jüngere Menschen?

Das hängt immer von dem konkreten Sektor ab, in dem die Plattform aktiv ist. Wenn man sich überlegt, warum junge Menschen sich so für dieses Tauschen und Teilen interessieren, haben unsere Forschungen ergeben, dass sie primär von ökonomischen Aspekten motiviert sind. Sprich, sie wollen Geld sparen oder sich etwas Geld hinzuverdienen. Ökologische Motive, die häufig mit Sharing in Verbindung gebracht werden, sind nicht so relevant, aber immerhin relevanter als soziale Motive. Und klar, junge Leute sind häufig die, die tendenziell etwas weniger Geld haben und deshalb vielleicht stärker angewiesen sind darauf, Dinge zu teilen oder zu tauschen.

Mit Jonas Pentzien sprach Christian Herrmann

Quelle: ntv.de


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