Kabinett will Prostituierte „schützen“ – Sex-Branche rebelliert gegen neues Gesetz

  24 März 2016    Gelesen: 1745
Kabinett will Prostituierte „schützen“ – Sex-Branche rebelliert gegen neues Gesetz
Die Bundesregierung hat ein neues Prostituiertenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Es klingt zwar gut, dass die Beschäftigten in ihrem gefährlichen Job mehr Schutz bräuchten. Die neuen Regelungen stoßen jedoch nicht auf die erhoffte Zustimmung bei den Betroffenen - im Gegenteil.
Undine De Rivière, Sprecherin des Bundesverbands Erotische und sexuelle Dienstleistungen, erläutert, warum das neue Gesetz die Sexarbeiterinnen eher ins Abseits drängt, anstatt sie zu schützen.

Frau De Rivière, auf Initiative der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig ist ein neues Prostituiertengesetz beschlossen worden. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei das Gesetz vor Allem mit größeren Auflagen für die Sexarbeiterinnen verbunden. So ist da z.B. die Rede davon, dass in gewerblich genutzten Wohnungen separate Toiletten für die Freier sein müssen und Kondompflicht herrschen muss. Außerdem müssen sich die Sexarbeiterinnen offiziell anmelden. Finden Sie das Gesetz sinnvoll?

Dieses Gesetz ist leider völlig kontraproduktiv. Es heißt „Prostituiertenschutzgesetz“, ist aber viel mehr ein Prostituiertenkontrollgesetz. Es wird massive Probleme in der Branche geben. Viele der Sexworker werden in die Illegalität gedrängt werden und damit nicht mehr erreichbar sein, z.B. Übergriffe bei der Polizei nicht mehr anzeigen, wenn sie stattfinden, weil sie sich nicht outen wollen. Das Konzessionierungsverfahren, so wie es angedacht ist, wird einen Großteil der Infrastruktur in der Sexarbeit zerstören.
Halten Sie die Regelungen überhaupt für durchsetzbar? Ich stelle mir das schwierig vor, gerade bei der Kondompflicht, wie man das kontrollieren will.

Wenn wir uns anschauen, wie die Kondompflicht jetzt schon in Bayern kontrolliert wird, dann sehen wir: Da wird tatsächlich in laufende Aktionen gestürmt durch die Polizei und es wird mit der Taschenlampe nachgeschaut, ob da der Kondompflicht genüge getan wird. Wenn man es darauf anlegt, dort entsprechend die Menschenwürde zu verletzen, dann ist das möglich, das zu kontrollieren. Ob das sinnvoll ist, ob das irgendwas bringt, ist die Frage. Unter menschenwürdigen Bedingungen kontrollierbar ist es mit Sicherheit nicht.
Das klingt auch so, als ob es dem Gewerbe selber auch großen Schaden zufügen würde. Glauben Sie denn, dass das neue Gesetz darauf abzielt, langfristig die Prostitution einzudämmen?

Ich denke, dass das einer der Hauptpunkte ist, ja. Es kann gut sein, dass einige der Ansätze, die da verwirklicht werden sollen, gut gemeint, aber schlecht gemacht sind. Aber ich denke, dass Vieles im Hintergrund des Gesetzes darauf abzielt, Sexarbeit abzudrängen, unsichtbar zu machen und uns loszuwerden.

Wenn Sie selbst bestimmen könnten, — welche Regelungen würden Sie treffen, um die Situation für die Prostituierten zu verbessern?

Was wir brauchen, ist eine vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit, d.h. das Streichen der Sonderparagraphen im Strafrecht vor allen Dingen. Das Streichen der Sperrbezirke, die vielerorts schon ein flächendeckendes Berufsverbot bedeuten. Wenn man sich anschaut, wie viel in verschiedenen Bundesländern und Kommunen umgesetzt wird, ist es so, dass man teilweise gar nicht arbeiten kann oder nur in Randbezirken – das gibt es in keinem anderen Beruf. Was wir brauchen ist eine Entstigmatisierung, eine Eingliederung von Sexarbeit in das ganz normale Gewerberecht, die Anerkennung von selbstständiger Sexarbeit als Freiberuf, Eingliederung von Bordellbetrieben in das normale Gewerberecht und kein Sonderrecht, sondern wirklich eine Normalisierung der Branche. Eine Antidiskriminierung, eine Entstigmatisierung – das würde uns wirklich helfen.
Wenn wir jetzt noch einmal zurückkommen zu diesem Gesetz: Haben Sie irgendwelche Zahlen, wie viele Sexarbeiterinnen davon betroffen sind, also dass sie ihrem Gewerbe nicht mehr so nachgehen können, wie sie es zurzeit tun?

Alle Sexarbeiterinnen, die ein Zwangsouting befürchten, die nicht in irgendeiner Hurendatenbank landen wollen, werden sich sicherlich nicht anmelden wollen. Das wird uns in die Isolation treiben, denn in dem Gesetz ist auch vorgesehen, dass über die Bordellbetreiber anschließend die Anmeldungen kontrolliert werden und die Daten der Sexarbeiterinnen auch an die Behörden weitergegeben werden. Des Weiteren ist es so, dass jeder Zusammenschluss von Sexarbeiterinnen auch schon unter eine Konzessionierung fällt, also mit Auflagen bedacht wird. Und es wird schwieriger mit baulichen Auflagen. Viele Sexarbeiterinnen werden in die Isolation gedrängt, werden alleine arbeiten. Andere werden nur noch in die Großbordelle gehen, wo diese Auflagen erfüllt werden. Das heißt, die ganzen kleinen, guten Arbeitsplätze, die es gibt – kleine Zusammenschlüsse, kleine Apartments – wird es nicht mehr geben, wenn dieses Gesetz so umgesetzt wird. Das ist ein Großteil der Infrastruktur, ein Großteil der guten Arbeitsplätze, was dort verloren gehen wird. Das trifft fast alle Sexarbeiterinnen auf die eine oder andere Weise.
Nun wird ja auch diskutiert, ob man denn einführen soll, dass die Sexarbeiterinnen zwangsmäßig medizinisch untersucht werden sollen. Halten Sie das für sinnvoll?

Die Untersuchung ist glücklicherweise vom Tisch. Das haben wir in unseren Nachbarländern, in Österreich zum Beispiel. Da werden immer noch die Kolleginnen regelmäßig auf den gynäkologischen Stuhl zitiert. Was hier vorgesehen ist, ist eine Zwangsberatung, was aber auch von den entsprechenden Experten als völlig kontraproduktiv abgelehnt wird. Was wir brauchen, ist ein Ausbau der Infrastruktur am Bedarf orientierter, freiwilliger, anonymer Beratung. Viele Gesundheitsämter leisten das jetzt schon sehr, sehr gut. Da kann man als Sexarbeiterin hingehen, kann sich anonym beraten lassen, auch untersuchen und teilweise auch behandeln lassen. Das ist sinnvoll, das wird angenommen. Wenn jetzt die Gesundheitsämter verpflichtet werden, namentlich solche heiklen Beratungen durchzuführen…Das kann ja keiner mehr auseinanderhalten, was da ein anonymes Beratungsangebot ist und was nur dazu da ist, um einen Schein zu bekommen und anschließend arbeiten zu dürfen. Das wird dem Vertrauensverhältnis zwischen den Gesundheitsämtern und den Sexarbeitenden, was bisher sehr gut ist vielerorts, großen Schaden zufügen. Das wird auch absolut kontraproduktiv sein für die sexuelle Gesundheit von Sexarbeiterinnen.

Wenn die Sexarbeiterinnen das neue Gesetz nicht wirklich sinnvoll finden, gibt es denn da schon irgendeine Form von Protest? Wollen Sie irgendetwas unternehmen? Suchen Sie den Diskurs mit den Politikern?

Das tun wir schon die ganze Zeit. Wir suchen den Diskurs, es werden teilweise auch Stellungnahmen von uns angefragt, auch von dem Familienministerium. Nur leider werden sie offenbar nicht gelesen. Wir sind schon die ganze Zeit dabei, zu protestieren, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Wir hatten gerade vor zwei Wochen einen großen Kongress in Hamburg, einen Sexarbeitskongress, auf dem viele Menschen aus Beratungsstellen, aus der Wissenschaft und sehr viele Sexarbeiterinnen sich getroffen haben. Insgesamt waren es etwa 300 Menschen, was auch eine große mediale Aufmerksamkeit gab. Natürlich versuchen wir uns weiterhin mit den Politikern auseinanderzusetzen. Sollte dieses Gesetz wirklich in Kraft treten, sind einige von uns bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, weil wir der Meinung sind, dass dieses Gesetz absolut nicht verfassungsgemäß ist. Wir werden tun, was wir können, um dieses Gesetz zu verhindern oder anschließend zu kippen.
Haben Sie denn das Gefühl, dass von Seiten des Gesetzgebers Sie hier auch Fürsprecher haben? Also Leute, die Ihre Problematik verstehen und die bereit sind, dafür einzutreten?
Ja, wir haben in verschiedenen Parteien auch Ansprechpartner, die uns verstehen und von denen wir uns verstanden fühlen. Es ist bloß leider momentan anscheinend wohl nicht mehrheitsfähig. Wir schauen einfach mal. Das Gesetz ist ja jetzt im Kabinett beschlossen worden, jetzt muss es noch durch den Bundestag. Ich hoffe sehr, dass es noch durch den Bundesrat muss. Es gibt noch verschiedene Stellen, an denen das Gesetz scheitern kann. Ansonsten müssen wir schauen, wie wir damit umgehen, falls es in Kraft tritt, und wie wir es dann anschließend aushebeln können.

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