Eine immense Omikron-Welle rollt durch Deutschland, längst ist die Virusvariante vorherrschend. Was sicher scheint: Omikron verbreitet sich zwar besonders schnell, schwere Verläufe sind aber seltener. Im Podcast "Coronavirus-Update" des NDR fasst Virologin Sandra Ciesek zusammen: Nie sei das Risiko, sich zu infizieren, größer gewesen - zugleich sei das Risiko für eine schwere Erkrankung, wenn man geimpft oder geboostert sei, niedrig wie nie. Wie Omikron das individuelle Risiko bei einer Infektion verändert - und warum Experten weiter zur Vorsicht mahnen: Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge verweist auf Daten aus mehreren Ländern, die zeigen, dass das Risiko, mit Omikron ins Krankenhaus zu müssen, im Vergleich zu Delta in allen Altersgruppen wohl um mehr als die Hälfte reduziert ist. "Das ist eine gute Nachricht", so der Lungenfacharzt.
Virologin Ciesek beruft sich im Podcast auf eine noch im Preprint - also ohne Überprüfung von Fachkollegen - veröffentlichte Studie aus Südkalifornien, die klinische Verläufe bei Omikron-Patienten mit denen von Patienten mit Delta vergleicht. Mit breiter Datenbasis zeige sich, dass Patienten mit Omikron seltener beatmet werden müssen und auf der Intensivstation liegen. Im Schnitt lägen sie bei Hospitalisierung zudem drei oder vier Tage kürzer im Krankenhaus. Nach allgemeiner Einschätzung gelten Corona-Infektionen, bei denen man ins Krankenhaus muss, als schwere Verläufe.
Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters, sagt: "Wir wissen noch nicht so viel darüber, wie schwer bei Omikron das Lungenversagen ist, wenn die Erkrankten auf die Intensivstation müssen." Er gehe "nach ersten vorsichtigen Berichten" aus dem Ausland aber nicht davon aus, dass der Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen (Ecmo) bei Omikron so häufig nötig sei wie bei Delta.
Einflussfaktor Impfstatus
Ein enormer Einflussfaktor für den individuellen Schweregrad einer Infektion ist den Experten zufolge der Impfstatus. Die Grundimmunisierung mit Auffrischimpfung schützt nach wissenschaftlichem Konsens zwar bei Omikron nicht unbedingt vor Ansteckung, aber zuverlässig vor schweren Verläufen. Mit Blick auf US-Daten sagt Karagiannidis, derzeit seien etwa 90 Prozent der dort mit Corona im Krankenhaus liegenden Menschen ungeimpft. "Das ist sicher die Risikogruppe, bei der auch Omikron einen schweren Verlauf nehmen kann", so der Intensivmediziner.
Er warnt auch vor dem Long-Covid-Risiko nach Erkrankung vor allem der Ungeimpften, das nicht unbedingt mit ihrem Schweregrad zusammenhänge. Mild heißt nicht unbedingt harmlos. Typische Symptome einer Omikron-Infektion sind laut Kluge Schnupfen, Husten, Hals- und Kopfschmerzen - besonders bei Geimpften seien sie oft gering ausgeprägt. Geruchs- und Geschmacksstörungen, wie sie bei Delta-Infektionen häufiger aufgetreten seien, sehe man selten.
Doch auch die als leicht oder mild bezeichneten Verläufe sind den Experten zufolge nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Karagiannidis macht klar, dass auch sie "einen ziemlich mitnehmen" könnten und man ebenfalls mit deutlichen Krankheitssymptomen und sehr eingeschränkt im Bett liegen könne, teils für längere Zeit.
Auch Ciesek verweist darauf, dass Infizierte, auch wenn sie laut Definition nicht schwer erkrankt seien, viel betroffener von einer Omikron-Infektion sein können als von einem "banalen Schnupfen". Sie mahnt, niemand wisse, wie der individuelle Verlauf sei, wenn man erkranke. Omikron auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich gar vorsätzlich zu infizieren, sei der falsche Weg.
Auch Ältere und chronisch Kranke im Fokus
Neben den Ungeimpften ist es die Gruppe der Menschen höheren Alters, die den Experten auch in der Omikron-Welle besondere Sorgen bereitet. Bei den Über-60-Jährigen sei die Inzidenz derzeit noch vergleichsweise niedrig, so Karagiannidis. "Da müssen wir unglaublich gut hingucken in den nächsten Wochen." Bei vollständig geimpften hochaltrigen Menschen gebe es immer wieder Impfdurchbrüche - mit welcher Krankheitsschwere sich diese entwickeln, bleibe abzuwarten. "Es wird sich noch viel stärker dahin verschieben, dass Ungeimpfte und Ältere von Infektionen betroffen sein werden."
Bei gesunden, jungen Erwachsenen sei das Risiko eines schweren Verlaufs vor allem mit Impfschutz sehr gering, bei Omikron noch reduzierter, so Kluge. Doch er betont, dass dies sich mit zunehmendem Alter ändere: Man wisse, "dass der stärkste Risikofaktor, schwer zu erkranken, das Alter ist". Mit jeder Dekade steige das Sterbe-Risiko. Für Menschen mit schweren Vorerkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen könne eine Infektion, besonders wenn sie ungeimpft seien, ebenfalls extrem gefährlich sein. "Alter und Vorerkrankungen scheinen bei Omikron genau die gleiche Rolle als Risikofaktoren zu spielen wie bei Delta und vorherigen Varianten", stellt Kluge klar.
Entwarnung bei Kindern?
Experten nehmen an, dass Corona-Infektionen für Kinder und Jugendliche allgemein weniger kritisch sind als für Erwachsene. Das liege daran, dass ihr Immunsystem anpassungsfähiger sei und das Virus stärker schon in den Atemwegen abgefangen werde, erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Jörg Dötsch. Mit Blick auf Omikron verweist er auf US-Studiendaten, nach denen für Unter-Fünfjährige das Risiko, ins Krankenhaus zu müssen, ein Drittel so groß sei wie bei Delta.
Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, schildert aus seinem Berufsalltag in einer Berliner Kinderarztpraxis, die meisten derzeit positiv getesteten Kinder seien "völlig gesund und symptomfrei". Sie kämen wegen positiver Schnelltests in den Schulen zum PCR-Test in die Praxis und nicht wegen Beschwerden. Einige Kinder hätten Schnupfen, teils Husten und Fieber oder Magen-Darm-Probleme.
Dötsch erklärt, gerade bei Jüngeren könne die Infektion auch Fieberkrämpfe bewirken. Bei Omikron fielen die Symptome aber in der Regel leichter aus als etwa bei Delta. Bei den seltenen schweren Verläufen bei Kindern könnten allerdings schwere Atemprobleme bis hin zur Beatmung auftreten. Auch Komplikationen an den Blutgefäßen wie Blutgerinnsel seien denkbar, sagt Dötsch. Weil diese Dinge bei Kindern so viel unwahrscheinlicher seien als bei Erwachsenen, könne man aber sagen: "Bei Kindern in der Gesamtheit ist der Verlauf milder."
Quelle: ntv.de, Josefine Kaukemüller, dpa
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