"Direkt vor meinen Augen schossen sie auf einen Mann"

  06 April 2022    Gelesen: 489
"Direkt vor meinen Augen schossen sie auf einen Mann"

Die Bilder aus dem Ort Butscha bei Kiew gingen um die Welt. Nun teilen die Bewohner des Ortes ihre Geschichten, darunter die 43-jährige Mutter Olena. Unter den russischen Soldaten habe es "einige gute Kerle" gegeben, erzählt sie. Und dann seien die Männer vom Geheimdienst gekommen.

Einige Wochen nach der Einnahme der ukrainischen Stadt Butscha durch russische Truppen nahm Olena eine Veränderung zum Schlechteren wahr. Ältere, härtere Soldaten kamen in die Stadt und verbreiteten Angst, erinnert sich die 43-jährige Bewohnerin der Stadt. "Direkt vor meinen Augen schossen sie auf einen Mann, der zum Einkaufen in einen Supermarkt gehen wollte", sagt Olena, die ihren Nachnamen vorsichtshalber nicht nennt.

Butscha wurde am 27. Februar, in den ersten Kriegstagen, von den russischen Einheiten erobert und einen Monat lang von ihnen kontrolliert. Nachdem die Bombenangriffe stoppten, konnten ukrainische Einheiten am vergangenen Donnerstag die Stadt zurückerobern. Sie fanden zahlreiche Tote in ziviler Kleidung in den Straßen vor.

Olena verbrachte den März mit ihren sieben und neun Jahre alten Kindern im Keller eines vierstöckigen Hauses. Ohne Strom. Zusammen mit anderen Bewohnern. "Es gab keine ukrainische Armee in der Stadt, nur die territoriale Verteidigung aus überwiegend unbewaffneten Wachposten von örtlichen Unternehmen. Und die sind geflohen", erzählt sie.

Anfangs seien vorwiegend junge russische Soldaten gekommen, erzählt Olena. "Dann, zwei Wochen später, kamen andere, ältere." Sie seien älter als 40 gewesen. "Sie waren brutal. Sie haben alle misshandelt. Und dann begannen die Massaker", fügt Olena hinzu und hält mit finsterem Blick gedankenvoll inne.

Russland wies am Montag alle Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Tötung von Zivilisten "kategorisch" zurück.

Nur Frauen durften Wasser holen

Olena zufolge waren die älteren Soldaten "sehr gut ausgerüstet" und trugen schwarze und dunkelgrüne Uniformen - anders als die Standarduniform der russischen Armee. "Es gab einige gute Kerle unter den russischen Soldaten, und da waren einige sehr raue Männer vor allem vom FSB", dem russischen Geheimdienst, erzählt Olena.

Sie sei zu den Soldaten gegangen, um sie zu fragen, was sie ihren Kindern zu essen geben solle, "und sie haben uns Lebensmittelrationen und Essen gebracht", schildert sie. "Sie waren es, die uns gesagt haben, dass der FSB uns verboten hat herumzulaufen, dass es sehr gewalttätige Spezialeinheiten sind", erzählt sie. "Es waren Russen, die das über Russen gesagt haben."

Nur Frauen erhielten die Erlaubnis, Wasser und Lebensmittel zu holen. Die Männer mussten drinnen bleiben. "Unsere Nachbarn sind abends um 17.00 Uhr rausgegangen, um den Müll wegzubringen. Zwei Männer und eine Frau. Einer der Männer hatte in der Armee gedient. Sie sind nicht zurückgekommen", erinnert sich Olena. Eine Frau aus dem Haus habe sie später im Hof eines Hauses gefunden, als sie Holz sammeln wollte. "Die Körper lagen mit Schusswunden in einer Blutlache", sagt Olena.

"Als die FSB-Agenten ankamen, haben sie gefragt, warum ich die Stadt nicht verlassen habe. Ich habe ihnen gesagt, dass ich seit 43 Jahren hier lebe und ein friedliches Leben hatte. Warum sollte ich also gehen?" Daraufhin hätten die FSB-Agenten sie "Verräterin" geschimpft.

280 Tote ins Massengrab

In einer einzigen Straße der Stadt hatten AFP-Reporter am Samstag 22 Tote in ziviler Kleidung gesehen. Bei einer männlichen Leiche waren die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden.

Am Montag wurden laut Generalstaatsanwaltschaft im Untergeschoss eines Kindersanatoriums von Butscha die Leichen von fünf Männern gefunden. Laut dem Bürgermeister von Butscha wurden 280 Menschen von Ukrainern in Massengräbern bestattet, die Zahl der Toten steige.

Eine Straße der Stadt ist übersät mit rund 20 Wracks von Truppenfahrzeugen, gepanzerten Fahrzeugen, von denen einige schon zu rosten anfangen. Die Kolonne wurde vermutlich von ukrainischen Bombenangriffen getroffen, als sie Ende Februar in die Stadt einzog.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, russische Verteidigungsexperten hätten in den von den ukrainischen Behörden verbreiteten Videos "Zeichen von Fake-Video und andere Fälschungen" gefunden.

Quelle: ntv.de, Emmanuel Peuchot, AFP


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