Fahrer in der Formel 1: Perfektion vom Rechner

  01 April 2016    Gelesen: 785
Fahrer in der Formel 1: Perfektion vom Rechner
Strategiespezialisten und eine hochkomplexe Technik entscheiden in der Formel 1 über den Erfolg. Welche Rolle bleibt dem Fahrer da noch? Nico Rosberg will keine "Handpuppe der Ingenieure" sein.
So ein Formel-1-Rennen kann aufregend sein - es muss nur anders laufen als üblich. Es regnete und regnete Ende Oktober 2015 in Austin, Texas. Der Ausläufer eines Hurrikans über dem Golf von Mexiko sorgte für ein Unwetter, das den Asphalt überflutete und den Zeitplan an beiden Trainingstagen durcheinanderwirbelte. Zum Probefahren kamen die Piloten wenig.

Für die Ingenieure war das ärgerlich. Sie lieben die Berechenbarkeit. Sie bevorzugen es, ihre Rennfahrer mit einem detailliert ausgearbeiteten Plan ins Rennen zu schicken. Doch dazu muss im Training viel gefahren werden. Nur dann können die nötigen Daten über das Fahrverhalten der Autos gesammelt, daraus Erkenntnisse gewonnen und Schlussfolgerungen gezogen werden. In der Sintflut von Austin misslang das.

Prompt wurde es der unterhaltsamste Grand Prix der Saison 2015. Weil vor allem das Können der Fahrer zählte. Als nach dem Start der Regen nachließ und später aufhörte, fuhren sie einander nach Herzenslust um die Ohren, überholten sehr oft, rutschten ein ums andere Mal von der feuchten Piste und ließen zersplitterte Karosserieteile am Wegesrand zurück.

Werksteams wollen das Chaos ausschließen

Es braucht solche Kapriolen, um die Formel 1 aufregend zu machen. Der Wettkampf der Fahrer hat sich zu einem Spielfeld für Techniker entwickelt, der Faktor Zufall wurde mit wissenschaftlicher Methodik so weit wie irgend möglich eliminiert. Ein spannendes Rennen braucht ein Mindestmaß an Chaos; die Arbeit der Teams zielt aber darauf, Chaos auszuschließen. Autofirmen wie Mercedes, Ferrari und Renault, die mit Werksteams vertreten sind, wollen das so. Es geht um den Erfolg, um ihren Auftritt als smarte Bestleister.

In diesem Sinne leisten sie ganze Arbeit. Seit zwei Jahren stecken im Heck aller Formel-1-Wagen Hybridantriebe, die technisch hochkomplex sind, aber kaum noch kaputtgehen. Im Rennen werden die Boxenstopps exakt getimed, nach einem Fahrplan, den Mathematiker am Rechner ausklügeln, jederzeit überprüfen und ändern, sobald es zielführend erscheint. "Chaos ist nichts weiter als ein Szenario, auf das du dich vorbereitest", sagt Timothy Maylon, Leitender Ingenieur des Sauber-Teams. "Austin war auch bloß ein Rennen unter außergewöhnlichen Umständen."

Die Formel 1 funktioniert wie eine Weltraummission auf Erden. Was früher ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang war, ist nun eine durchkalkulierte Dienstreise, mit dem Rennauto als Space Shuttle und der Boxencrew als Bodenstation.

Für die Fahrer heißt das, dass sie im Cockpit jene Konsole mit den bunten Knöpfen und Lichtern, die einst ein simples Lenkrad war, kaum noch aus den Augen lassen dürfen. "Hauptsächlich sind wir damit beschäftigt, die Technik zu überprüfen", sagt der niederländische Pilot Max Verstappen, nur "20 Prozent unserer Kapazität verwenden wir rein auf das Fahren". Den Blick oft von der Strecke abzuwenden und auf das Display zu richten, hält Weltmeister Lewis Hamilton allerdings für "sehr schwierig und gefährlich".

Rosberg verliert die WM - und hat Spaß

Auf die Anzeigen im Cockpit müssen die Fahrer noch mehr achten. Von diesem Jahr an ist der Funkverkehr während der Rennen eingeschränkt worden. Der Ingenieur an der Boxenmauer darf dem Piloten kaum noch etwas über Bedienung und Zustand der Technik verraten. Die Fahrer sollen ihr Auto selber überwachen, um nicht als "Handpuppen der Ingenieure" zu gelten, wie Nico Rosberg es nennt. Gefragt ist mehr denn je der Fahrertyp, der im Stress den Überblick und die Nerven behält. Der vielfältig belastbar ist und dessen Talent sich nicht darauf beschränkt, schnell Auto fahren zu können. So wie Rosberg.

"Austin war cool", sagt Rosberg. Dabei hatte der Mercedes-Pilot wegen eines Fahrfehlers das Rennen und damit auch den Kampf um den WM-Titel an seinen Teamkollegen Hamilton verloren. Trotzdem hatte Rosberg Spaß. "Unter Regenbedingungen ist viel mehr los", sagt er. "Da ist alles variabler als im Trockenen." Er sitzt im ersten Stock der Team-Hospitality im Fahrerlager von Barcelona und nippt an einem Cappuccino.

Acht Tage lang testen die Formel-1-Teams hier ihre neuen Wagen. Ein straffes Programm. Mercedes legt den Spitzenwert von 6024 Kilometern zurück, eine Distanz, die fast allen Saisonrennen entspricht. Es geht darum, vor der Saison die Technik in den Griff zu bekommen, Schwachstellen zu lokalisieren und Defekten vorzubeugen. Für Rosberg heißt das: Kilometer schrubben und mit den Ingenieuren reden. Nirgendwo sonst sieht der Job eines Formel-1-Fahrers so nach Fleiß aus wie bei Tests.

Was mag er lieber: ein Chaosrennen wie in Texas? Oder eines, das einem strikten Plan gehorcht? Rosberg stellt die Kaffeetasse ab. Je länger er antwortet, desto weiter streckt er die Arme in die Luft, desto größer werden seine Augen. "Beides macht Spaß. Sich in die Arbeit mit Technik und Strategie reinzuknien und das Optimum zu finden, diese Seite ist sehr spannend. Um das Auto abzustimmen, hast du zehntausend Parameter. Alles ist so unglaublich komplex und der Perfektion so nahe." Pause, große Augen, weite Arme. "Das kann man sich von außen kaum vorstellen."

Die Formel 1 soll wieder krawalliger werden

Doch welche Rolle bleibt dem Fahrer dabei noch? "Der Computer rechnet die meistversprechenden Strategien aus, und ich bringe mein Gefühl ein, welche Variante mir als die beste erscheint." Wer entscheidet? "Das ist Diskussionssache zwischen dem Team und mir." Auch im Rennen? "Da ist es schwierig für mich zu diskutieren, weil ich im Auto keinen Überblick habe. Du weißt ja nicht, wo auf der Strecke die meisten Anderen gerade sind." Also gilt, was das Team vorgibt.

Der Eindruck, die Fahrer würden dank der Übermacht der Ingenieure zu wenig gefordert, schadet der Formel 1. Das soll anders werden. Von 2017 oder 2018 an sollen die Wagen krawalliger daherkommen, mit dickeren Reifen, breiterer Karosserie und einer Motorleistung um die 1000 PS. "Schneller, dynamischer, spektakulärer", sagt Nico Hülkenberg, Pilot im Force-India-Rennstall. "Die Autos müssten unberechenbarer werden, körperlich anstrengender zu fahren. Jetzt ist es ein bisschen zu simpel. Wenn jemand vor 10 oder 15 Jahren in die Formel 1 kam, brauchte er Zeit, um auf den Speed der anderen Fahrer zu kommen. Heute sind die Neuen sofort auf Augenhöhe."

Hülkenberg, 28, ist seit 2010 dabei. Sein Händedruck ist fest, sein Blick direkt, er antwortet, ohne auszuschweifen. Er klagt nicht, er stellt fest. Die meisten Rennfahrer sind Pragmatiker, da unterscheiden sie sich kaum von Ingenieuren. Romantiker kommen im Rennsport nicht weit, und neben Talent zählt die Fähigkeit, sich anzupassen.
"In der Formel 1 ist das Fahren nur das Endprodukt", sagt Hülkenberg. "Die Vorarbeit ist viel umfangreicher. Sie ist extrem wichtig und ein großer Teil dessen, was am Ende dabei herauskommt."

Macht das denn Spaß? "Was heißt Spaß? Es ist Teil des Jobs."

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