Geldpolitik wirkt nicht von heute auf morgen, schon gar nicht bei der Inflationsbekämpfung. Sie wirkt eher von morgen auf übermorgen, die Lehrbücher beziffern die Zeitverzögerung grob auf ein Jahr. Von daher wird die Inflationsrate in der Eurozone ab 21. Juli nicht automatisch sinken, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) dann ihren Leitzins um 25 Basispunkte anhebt. Die Notenbank wird also mehr tun müssen, um die Inflation von zuletzt 8,1 Prozent in der Währungsunion in den Griff zu bekommen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat diesbezüglich am Donnerstag ein Versprechen abgegeben. "Wir werden liefern", sagte sie im Hinblick auf das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Nach ihren eigenen Prognosen wird die Notenbank aber erst im Jahr 2024 dieses Ziel mehr oder minder wieder erreichen. In einem bis zwei Jahren wird also feststehen, ob Lagarde ihr Versprechen gehalten hat. "Ein erster wichtiger Schritt", so sagte sie, sei getan - und sprach von einer Reise.
Der EZB-Rat war zu seinem jährlichen Treffen außerhalb Frankfurts diesmal nach Amsterdam aufgebrochen und zu Gast bei der niederländischen Notenbank. Dort fiel eine grundlegende Entscheidung: Ende des Monats stellt die EZB ihre Anleihekäufe aus dem APP-Programm ein, das noch Lagardes Vorgänger Mario Draghi aufgesetzt hatte. Das Pandemie-Kaufprogramm PEPP war bereits Ende März ausgelaufen. Die EZB beendet somit die Netto-Anleihekäufe, welche wegen der verzerrenden Effekte für das Finanzsystem stets umstritten waren. In Deutschland wurde zudem diskutiert, ob die Käufe das Verbot der monetären Staatsfinanzierung untergraben.
"Inflationsdruck hat sich verbreitert"
Diese Diskussionen um die unkonventionelle Geldpolitik könnte nun tatsächlich vorbei sein. Mit der Ankündigung, im Juli voraussichtlich die Leitzinsen erhöhen zu wollen, kehrt die Notenbank zur traditionellen Geldpolitik mittels Zinsen zurück. Und diesbezüglich überraschte Lagarde Medienvertreter und Märkte. "Der Inflationsdruck hat sich verbreitert", sagte sie und ging dann über ihre eigenen jüngsten Ankündigungen in einem Blogbeitrag hinaus.
Da hatte sie noch Zinserhöhungen von jeweils 25 Basispunkten im Juli und September in Aussicht gestellt. Doch nun stellte sie für September 50 Basispunkte ins Schaufenster. "Sollten die mittelfristigen Inflationsaussichten bestehen bleiben oder sich verschlechtern, wird auf der September-Sitzung eine größere Erhöhung angemessen sein", heißt es in der Erklärung. Darüber hinaus "geht der EZB-Rat auf der Grundlage seiner derzeitigen Einschätzung davon aus, dass ein allmählicher, aber nachhaltiger Pfad weiterer Zinserhöhungen angemessen sein wird."
Doch für diesen weiteren Pfad zog sich Lagarde darauf zurück, dieser werde datenabhängig sein. Als wichtigstes Kriterium nannte sie die Inflationserwartungen und räumte im Hinblick auf die Prognosen des eigenen Hauses Fehleinschätzungen ein: "Wir müssen uns verbessern." Die EZB war - wie andere Notenbanken auch - vom raschen Preisanstieg überrascht worden. Nach den Äußerungen während der Pressekonferenz stellt sich der Markt allerdings auf den großen Schritt nach der Sommerpause ein. "Bleiben die mittelfristigen Inflationsprognosen unverändert, oder nehmen sie weiter zu, dürften die Leitzinsen laut EZB im September um mehr als 25 Basispunkte steigen", sagt etwa Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Da nach unserer Meinung die Inflationsrisiken weiter steigen dürften, erwarten wir nun für September eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte."
Krämer rechnet damit, dass sie EZB den Einlagenzins bis Mai schrittweise auf 1,5 Prozent anhebt. Dieser liegt aktuell noch bei minus 0,5 Prozent und ist eine wichtige Orientierungsmarke für Banken und Sparkassen bei der Bemessung von Zinsen auf Bankguthaben. Es zeichnet sich somit ein deutlicher Anstieg der Sparzinsen in den kommenden Monaten ab. Der eigentliche Leitzins der Eurozone, der Hauptrefinanzierungssatz, liegt derzeit bei null Prozent und könnte dann in Richtung von zwei Prozent steigen. Dann wäre es auch an der Zeit zu überprüfen, ob Lagarde ihr Versprechen eingehalten hat.
Lagarde zeigt die Bazooka
Doch das nahe Ende der Anleihekäufe beunruhigt auch Marktakteure, insbesondere im Hinblick auf das hoch verschuldete Italien. Dass die Marktzinsen nach Lagardes September-Überraschung deutlich anzogen, ist kein Wunder. Doch das Ausmaß in der Eurozone war unterschiedlich. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erreichte mit 1,43 Prozent ein Niveau, das noch vor nicht allzu langer Zeit die Inflation ausgeglichen hätte. Das Tagesplus betrug laut Bloomberg-Daten acht Basispunkte. Hingegen stieg die Rendite italienischer Staatsanleihen um 19 Basispunkte auf 3,35 Prozent. Das ist alles noch nicht dramatisch, aber eine mögliche Fragmentierung der Finanzmärkte beunruhigt die EZB. Sie kann dann nämlich ihre Geldpolitik nicht mehr wirksam durchsetzen.
Lagarde schien sich dieses Problems bewusst zu sein und zeigte dem Markt während der Pressekonferenz die 1,7 Billionen-Euro-Bazooka. Für so viel Geld hatte die EZB unter PEPP Anleihen vom Markt aufgekauft und will Rückzahlungen bis auf Weiteres wieder anlegen. Lagarde betonte die Flexibilität bei der Wiederanlage bei Jurisdiktionen und Laufzeiten. Mit anderen Worten: Auslaufende Bundesanleihen könnten durch langlaufende italienische Bonds ersetzt werden. "Die in das PEPP-Reinvestitionsprogramm eingebaute Flexibilität scheint zumindest vorläufig die einzige Möglichkeit zu sein, den Risiken einer Fragmentierung entgegenzuwirken", sagte Dave Chappell, Rentenfondsmanager bei Columbia Threadneedle.
Lagarde hat aber offenbar noch andere Ideen zum PEPP-Schatz in der Bilanz. In einem Nebensatz kündigte sie für die kommenden Monate Überlegungen zur Wiederanlage der PEPP-Gelder und zu "grünen" Refinanzierungsangeboten für Banken (TLTRO) an. Ein "Grüner TLRTO" könnte das nächste große Ding der EZB werden nach der Zinswende. Aber auch der würde erst sehr langfristig wirken.
Quelle: ntv.de
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