Beim Formel-1-Rennstall Alpine, da lehnt man sich nicht zu weit aus dem Fenster, laufen die Dinge gerade massiv in die falsche Richtung. Erst verliert das Team seinen spanischen Starpiloten Fernando Alonso - und erfährt davon über die Medien, beziehungsweise über eine Pressemitteilung von Aston Martin. Dann befördern die Franzosen ihr Top-Talent Oscar Piastri zur kommenden Saison in die Königsklasse des Motorsports, um nur zwei Stunden später krachend blamiert zu werden. Der junge Australier twittert, dass die Meldung von Alpine falsch sei und er im kommenden Jahr nicht für das Team, bei dem er als Ersatzfahrer angestellt ist, fahren wird. Was ist da los?
Auf eine Antwort wartet man (vorerst) vergebens. Um ein schnödes Missverständnis kann es sich nicht handeln. Dafür ist die Wut des 21-Jährigen zu groß. Und tatsächlich mutet das ganze Szenario reichlich seltsam an. Denn wie kann es sein, dass sich das Team mit seinem Nachwuchsstar so schnell einig wurde, wenn man sich am Tag zuvor von seinem Topstar noch düpiert gefühlt hatte? So bekannte Teamchef Otmar Szafnauer einem Bericht zufolge, dass er eigentlich davon ausgegangen war, dass die Zusammenarbeit zwischen Rennstall und Ex-Weltmeister fortgesetzt werden würde. Es sei nur noch um Details gegangen. Wohl um die Laufzeit. Das ist durchaus spannend, weil Piastri dem Vernehmen nach eine Klausel in seinem Vertrag hat, die dem Youngster einen Abgang ermögliche, wenn er kein Cockpit für 2023 bekommt.
Der Dominiostein, der gefallen ist und den Boden für dieses Theater bereitet hat, war wohl die Entscheidung von Sebastian Vettel, zum Saisonende die Karriere zu beenden und nicht mehr für Aston Martin zu fahren. Denn das löste Alonsos Blitz-Wechsel zu den Briten aus. Mit der Folge, dass Alpine plötzlich ein freies Cockpit hat(te). Nun waren sich fast alle sicher: Edel-Talent Piastri schließt die Lücke. Dann folgte die Twitter-Abrechnung.
Piastri hat offenbar Optionen
Ist Alpine zweigleisig gefahren? Hat sich das Team böse verzockt? Lag der Vertrag mit Piastri unterschriftsreif vor, obwohl die bevorzugte Konstellation für 2023 eine andere war? Möglich ist das natürlich, aber wahrscheinlich? Der Australier drängt schließlich mit Macht in die Königsklasse, nachdem er in den vergangenen beiden Jahren erst die Formel 3 und dann die Formel 2 beherrscht hatte. Wie seine prominenten Vorgänger Charles Leclerc und George Russell. Und er hat Optionen, er musste sich nicht in den Wartesaal setzen und hoffen, dass bei Alpine ein Cockpit frei wird. Gerüchte gab es, dass er ein Lehrjahr bei Williams bestreiten könne. Sein Management soll aber auch etwa mit McLaren verhandeln. Dort könnte er seinen Landsmann Daniel Ricciardo ersetzen. War die Verkündung von Alpine also nur ein Schachzug, um ein Zeichen an McLaren zu schicken?
Die Posse mit Piastri ist dabei nur der spitzeste Auswuchs aus einem seltsamen Dornengestrüpp an Meldungen. Noch vor zwei Wochen hatte Alonso bekannt gegeben, dass er sich in der Sommerpause der Formel 1, also genau jetzt, mit den Verantwortlichen des Renault-Nachfolgeteams zusammensetzen wolle. In den für August angesetzten Gesprächen wollte der 41-Jährige von seinem aktuellen Arbeitgeber hören, "was die Erwartungen sind" und "wie der nächste Schritt in dem Projekt" aussieht. Dass stattdessen am ersten Tag des Monats der Wechsel verkündet wurde, offenbar ohne die vereinbarte Absprache, ist die nächste Absonderlichkeit bei Alpine.
Schatten auf dem Alpine-Team
Im besten Fall ist die doppelte Peinlichkeit ein Kommunikationsdesaster. Im schlechtesten Fall wird das Chaos auf die künftige Planung abstrahlen. Wie zuverlässig ist das Team? Was zählen Absprachen? Im Fall Piastri kennt man bislang nur die Version des Fahrers. Hintergründe hatte der Rennstall ja nicht geliefert. Und im Fall Alonso steht nur das Wort von Szafnauer: Der Spanier schweigt bisher zum Ab- und möglichen Alleingang. Für die Planung des Teams sind Antworten, gute Antworten, elementar. Denn auf dem Fahrermarkt wird die Lage auch nicht üppiger. Womöglich wird Alpine nun doch noch zur Option für Mick Schumacher, dessen Zukunft bei Haas weiterhin unklar ist. Immer wieder gibt es Berichte über Differenzen des jungen Deutschen mit Teamchef Günther Steiner.
Aber vorerst steht Wort gegen Wort. Piastri gegen Alpine. Ein wütender Nachwuchsfahrer gegen ein stolzes Team. "Oscar ist ein strahlendes und seltenes Talent. Wir sind stolz darauf, ihn auf den schwierigen Wegen der Nachwuchsserien gefördert und unterstützt zu haben", sagte Szafnauer in der Teammitteilung. "Durch unsere Zusammenarbeit in den letzten vier Jahren haben wir gesehen, wie er sich zu einem Fahrer entwickelt und gereift hat, der mehr als fähig ist, den Schritt in die Formel 1 zu wagen." Man glaube fest daran, dass das Duo Piastri und Esteban Ocon dem Team "die Kontinuität geben wird, die wir brauchen, um unser langfristiges Ziel zu erreichen: um Siege und Meisterschaften zu kämpfen", hieß es noch am Nachmittag. Eine schöne Vision, aber ob es überhaupt zu diesem Versuch kommen wird?
Quelle: ntv.de, tno
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