Müde und ein bisschen ängstlich blicken sich die Flüchtlinge um. Dann trottet die kleine Gruppe wortlos mit ihren Rollkoffern an den wartenden Journalisten vorbei.
Migranten wie diese sollen die Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik bringen. Sie sind Teil des EU-Abkommens mit der Türkei. Der Deal: Griechenland darf Syrer in das Nachbarland abschieben. Im Gegenzug nimmt die Europäische Union Ankara Hilfesuchende aus dem Bürgerkriegsstaat ab. Über 70.000 sollen auf diesem Weg per Direktflug kommen.
32 von ihnen machen den Anfang. Aufgeteilt auf zwei Gruppen sind sie von Istanbul nach Hannover geflogen, legal, ohne sich in Schwimmwesten zwängen oder durch Büsche schlagen zu müssen. Die ersten 16 kamen am Morgen an, die anderen am Mittag. Von der Landeshauptstadt ging es mit dem Bus weiter. Ihr neues Zuhause für die kommenden zwei Wochen: Friedland im Süden von Niedersachsen.
Die Erstaufnahmeeinrichtung liegt idyllisch zwischen Kirchturm und Hügellandschaft. Mehrstöckige Steinhäuser, ein paar einfache Bungalows, ein Spielplatz. Rot bepflasterte Wege schlängeln sich über die Anlage. Kinder balancieren auf dem Rand eines kleinen Springbrunnens. Zwei junge Frauen mit Kopftüchern sitzen auf einer Holzbank und hören Popmusik.
Alles entspannt in Friedland. Das war nicht immer so. Mehr als 3000 Flüchtlinge sollen zu den Hochzeiten der Krise hier gelebt haben. Eigentlich passen nur etwa 1300 Menschen in die Unterkunft. Und das auch nur in Notlagen. Jetzt, ein paar Monate später, leben rund 350 Flüchtlinge hier.
"Wir haben kein Platzproblem", sagt Heinrich Hörnschemeyer, ein groß gewachsener Mann mit grauem Schnurbart und randloser Brille. Hörnschemeyer trägt Anzug. Er leitet die Unterkunft in Friedland. Am Donnerstag erst habe er erfahren, dass es losgeht. Erst war von 40 Personen die Rede, jetzt von 35. Drei Nachzügler sollen am Dienstag kommen. Bis dahin steht der Plan.
Viele Fragen offen
Das Grenzdurchgangslager ist traditionell die erste Anlaufstelle für sogenannte Resettlements, Umsiedlungen. Doch ob die Einrichtung auch künftig alles allein stemmen soll - unter den geänderten Vorzeichen? Hörnschemeyer zuckt mit den Schultern und sagt grinsend: "Es bleibt spannend."
Der Türkei-Deal lässt nicht nur an der griechischen Grenze viele Fragen offen, auch in Friedland. Zum Beispiel dürfen nur Syrer mit dem Flugzeug in die EU. Wer genau, das entscheidet das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Ausgewählt wird, wer als besonders hilfsbedürftig gilt. Das kann schnell zu Ärger bei denen führen, die auf der Strecke bleiben.
Schon eine ganze Weile sitzt Samim auf einer langgezogenen Holzbank, daneben: seine Mutter und seine Schwester. Am Vortag hat der 25-Jährige die beiden Frauen wiedergesehen - nach über einem Jahr zum ersten Mal. Dazwischen lag eine Reise voller Gefahren.
Samims Familie stammt aus Afghanistan. Der studierte Informatiker floh vor sechs Monaten vor den radikalislamischen Taliban, wie er sagt. Er bezahlte Schleppern in der Türkei rund 8000 Euro. Die brachten ihn dafür nachts in einem wackligen Boot nach Griechenland. Dann ging es weiter über die Balkanroute, die jetzt dicht ist.
"Wir sind doch alle Menschen"
Die Grenze nach Mazedonien konnte Samim noch passieren. Seine Landsleute haben heute praktisch keine Chance mehr. Afghanen haben in der EU eine geringere Chance auf Asyl. Samim schüttelt den Kopf und blickt zu Boden. Er freue sich für die Menschen, die nun direkt aus der Türkei kommen, sagt er. "Aber warum macht die Politik diese Unterschiede? Wir sind doch alle Menschen."
Samims Mutter und Schwester haben mangels Alternativen auch das Flugzeug genommen, um dem Terror an der afghanisch-pakistanischen Grenze zu entkommen. Allerdings nicht von der EU organisiert - sondern von Schleppern, erzählt er. Ein Vermögen ist dafür drauf gegangen.
Die 16 Neuankömmlinge in Friedland sind mittlerweile zur offiziellen Begrüßung in einem Raum mit langen Tischreihen verschwunden. Schon im Bus sei kaum gesprochen worden, erzählt ein Dolmetscher, der die Flüchtlinge auf der Fahrt vom Flughafen begleitet hat. Stattdessen hätten die meisten geschlafen.
In den kommenden Tagen stehen Gesundheitschecks, Sprachkurse und Kulturseminare auf dem Programm. Dann sollen die Flüchtlinge auf Kommunen in Niedersachsen verteilt werden. "Aber heute", sagt Einrichtungsleiter Hörnschemeyer, "heute sollen sie einfach mal zur Ruhe kommen".
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