Plötzlich waren alle Wolfsburger

  07 April 2016    Gelesen: 1215
Plötzlich waren alle Wolfsburger
Klein gegen Groß, Schlicht gegen Eitel, Dieter gegen Zinédine: Im Duell mit Real Madrid fliegen dem VfL Wolfsburg alle Herzen zu. Es endet mit einer Sensation.
André Schürrle war auf dem Weg zum Tor und Fußballdeutschland war mit ihm. Leider nur drüber, kein 3:0, das Stadion tobte dennoch. Wohl nie zuvor hatten so viele Fans mit dem VfL Wolfsburg gefiebert wie in dieser Szene des Viertelfinalhinspiels der Champions League gegen Real Madrid. Direkt danach zettelten die irgendwie beleidigt wirkenden Gäste eine Gruppenschubserei an. Rudelbildung mit Real – Wolfsburg war in der Beletage des internationalen Fußballs angekommen.

Die Bockigkeit der Madrilenen in diesem Moment war ein weiterer Grund, warum die Sympathien aufseiten Wolfsburgs wuchsen. Eigentlich ist der VfL als die mit Abermillionen gepäppelte VW-Fußballabteilung verhasst und verlacht. Spielt er gegen Leverkusen, höhnt selbst der trockene Kicker über den "Plastico". Es freut alle, wenn wieder mal ein Wolfsburger Profi im Berliner Nachtleben Schlagzeilen macht oder provokativ mit einem Mercedes auf den Hof fährt. Und unter der Woche kommen nur halb so viele der ohnehin schon wenigen Zuschauer, weil bei Abendspielen zwei Schichten von Volkswagen betroffen sind.

Diesmal war alles anders. Aus Wolfsburg kamen ganz viele. Vorfreudig deckten sie sich und ihre Kinder, die Wölfis, im Fanshop am Stadion mit Fahnen, Schals, Trikots, aber auch gebrandeten Hausschuhen und Kuschelsocken in Vereinsfarben ein. Grün-weiße Schokohasen, leicht brüchig, gab`s saisonbedingt zum Sonderpreis. Das Hotel am Bahnhof, wo die spanischen Gäste untergebracht waren, zog immer wieder Schaulustige an. Wegen des Andrangs verzögerten sich die Abfahrtszeiten der Busse nach Gifhorn und Detmerode mehrfach.

Duell: Bescheiden gegen Großspur

Es war also richtig was los in Wolfsburg. Aber nicht nur dort. Die Fußballwelt schaute zu, es war ein Duell Klein gegen Groß. Daher drückten dem VfL an diesem Abend viele die Daumen. Durch das Auftreten der hochwohlköniglichen Gäste entwickelte sich die Sache dann zum Duell Schlicht gegen Dünkel, Bescheiden gegen Großspur. Genau deswegen flogen dem VfL Wolfsburg an diesem Abend sogar die Herzen zu. Es war der Tag, an dem wir alle (na ja, fast alle) Wolfsburger waren.

Real macht es einem aber auch schwer. Toni Kroos legte sich mit Gegnern an, forderte Freistöße oder einfach mehr Beachtung. Seine Mitspieler reklamierten ebenso. Der Tormann Keylor Navas hampelte vor dem Elfmeter rum und begab sich erst nach mehrfachem Bitten des Schiedsrichters in seine Kiste.

Cristiano Ronaldo ist eh eine Nummer für sich. Der so unmaskiert Eitle wird in fast allen Stadien ausgebuht. In Wolfsburg begegnete ihm das Publikum zuerst mit Neugier. Nach seinem zweiten Hackentrick riefen erst ein paar Fans "Angeber". Süß. Doch nach nicht mal zwanzig Minuten pfiffen ihn auch die Wolfsburger aus, wenn er hinfiel und sich gefoult wähnte. Oder wenn er sich – der Klassiker – breitbeinig zum Freistoß postierte. Und einen Mitspieler anschoss.

Dann war da noch Marcelo. Der Brasilianer, der so famos dribbeln kann, wie er in Barcelona jüngst gezeigt hatte, der aber auch manchmal, wie beim 1:7 gegen Deutschland, mit Augenbinden zu verteidigen scheint, der Brasilianer also lieferte die Show des Abends. Nach einem Zweikampf trat er nach Maximilian Arnold aus, deutete einen Kopfstoß an und ließ sich fallen. Gelb für Arnold.

Dieter gegen Zinédine 2:0

Dies, man könnte sagen, realmadridhafte Betragen erboste den Sieger des Abends. Dieter Hecking, der im besten Sinne so gar nichts Realmadridhaftes hat, geriet in der Mixed Zone mit Marcelo in einen Disput. Später beschrieb er den Vorfall und warf Marcelo Schauspielerei und Lamentieren vor. Seine Augenbrauen, an denen man Heckings Stimmung gut ablesen kann, richteten sich zu strengen, steilen Diagonalen auf, die in ihrer Form an zwei Blitze erinnern.

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