Schweinshaxe mit Sauerkraut müsste hierzulande jedermanns Leibspeise sein, dieser Eindruck jedenfalls verdichtet sich beim Blick über die Grenze. Und außerdem: Spargel. "Samstags hat hier praktisch jeder eine Tüte mit Spargel in der Hand", antworteten jüngst zum Beispiel zwei spanische Studentinnen in einem Volkshochschul-Sprachkurs am Niederrhein auf die Frage ihrer Lehrerin, was sie für typisch deutsch halten.
Während die Haxen-Vorliebe wohl eher regional ausgeprägt ist, stößt der Spargel indes tatsächlich auf breite Zustimmung quer durch die Republik. Das jedenfalls lassen die Zahlen vermuten. In diesem Jahr wird bundesweit auf fast 21.000 Hektar Ackerland Spargel angebaut, meldet der Deutsche Bauernverband (DBV).
Immer mehr Spargel kommt aus Deutschland
So viel Fläche steht hierzulande derzeit für kein anderes Gemüse zur Verfügung. Die zweitplatzierten Speisezwiebeln kommen lediglich auf gut halb so viel Bodenfläche. Kaum verwunderlich also, dass die Zahl der Spargelerzeuger mit rund 2200 ebenfalls den Spitzenwert markiert im Freiland-Gemüseanbau.
Und der Boom scheint noch längst nicht am Ende zu sein. Experten jedenfalls rechnen mit weiter steigenden Erzeuger- und Flächenzahlen. Denn die Nachfrage ist noch immer größer als das Angebot. Zwar liegt Deutschland mit rund 113.000 Tonnen Spargelernte hinter China, Peru und Mexiko weltweit schon auf Platz vier der Ernteländer.
Trotzdem importieren Supermärkte und Gemüsehändler noch immer große Mengen aus dem Ausland, allen voran aus Griechenland, Spanien, Italien und Peru. Wobei der Selbstversorgungsgrad der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) zufolge in den vergangenen 20 Jahren schon von 39 auf zuletzt 84 Prozent gestiegen ist.
Aber warum eigentlich? Immerhin ist Spargel ein relativ teures Gemüse. Für das vergangene Jahr meldete die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft einen durchschnittlichen Kilopreis von immerhin 6,70 Euro. Das ist viel Geld für die preisbewussten Verbraucher in Deutschland. Sie geben Studien zufolge wesentlich weniger ihres Einkommens für Lebensmittel aus als zum Beispiel Franzosen, Italiener und Spanier oder auch Polen, Tschechen und Griechen.
Weißer Spargel ist eine deutsche Entwicklung
Und doch greifen die heimischen Wochenendeinkäufer ganz bewusst zu – wohl auch, um etwas zu zeigen und ihrem Umfeld etwas zu beweisen. "Es geht um Ansehen und Geltung", erklärt der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl vom Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK). "Spargel ist zum Statussymbol geworden."
Dass diese Entwicklung in überdurchschnittlichem Maße auf Deutschland zutrifft, kommt dabei nicht von ungefähr. "Hier gibt es zahlreiche Anbaugebiete und damit kurze Wege. Denn Spargel ist ein Gemüse, das frisch verzehrt werden soll", sagt Kofahl. "Noch dazu ist der weiße Spargel praktisch in Deutschland entwickelt worden."
Tatsächlich konsumieren die Bundesbürger vorrangig weißen Spargel, während in Ländern wie Frankreich und Italien oder auch China und den USA dagegen die grüne Variante der Spargel der Wahl ist. "Bei uns ist eine regional begrenzte Esskultur entstanden, die über die Jahre kultiviert und innerhalb der Familien weitergegeben worden ist", sagt Forscher Kofahl.
Zustimmung kommt dabei von Jens Lönnecker, Inhaber und Geschäftsführer der Marktforschungsagentur Rheingold Salon, die sich auf die Psyche von Verbrauchern spezialisiert hat. "Essen ist sehr stark kulturell determiniert", sagt Lönnecker. Auch er sieht eine gewachsene Spargel-Tradition in Deutschland, die sich zudem noch in der Gastronomie ablesen lässt. "In zahlreichen Restaurants gibt es eine extra Spargel-Karte. Das findet man in Frankreich, Großbritannien oder Holland nicht."
Ein Gemüse, das Frühlingsgefühle weckt
Zusätzlich befeuert wird diese Esskultur in Deutschland nun auch vom Trend zu einer vegetarischen oder gar veganen Lebensweise. Noch dazu passt Spargel mit seinen Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Ballaststoffen Experten zufolge perfekt zu einer gesundheitsbewussten Ernährung. Und der Gesundheitsdiskurs ist laut Soziologe Kofahl mittlerweile nirgends so aufgeladen wie in Deutschland.
In einigen Fällen gibt es aber auch noch andere Assoziationen und Absichten beim Verzehr von Spargel. "Dieses Gemüse hat von der Form her etwas Phallisches", meint Psychologe Lönnecker. "Viele Konsumenten verbinden Spargel daher auch mit Erotik."
Zwar gebe es vom medizinischen Standpunkt her keine Beweise für eine aphrodisierende Wirkung. Aus psychologischer Sicht könne Spargel aber zumindest Frühlingsgefühle auslösen, sagt Lönnecker. Und das sei gerade in Deutschland ein Aspekt, zumal die Bevölkerung mittlerweile deutlich älter ist als in vielen anderen Ländern.
Noch allerdings lässt sich der Frühlingsbote Zeit. Zwar haben die ersten Erzeuger mit dem Stechen bereits begonnen – ohne Folie und gegebenenfalls sogar Bodenheizung ist aber um diese Zeit noch nichts zu machen. Entsprechend gering ist die Menge und der Spargel dementsprechend teuer.
Mindestlohn dürfte Preise steigen lassen
"Ab Mitte April könnten je nach Witterungsverlauf größere Mengen geerntet werden", heißt es beim Deutschen Bauernverband. Denn für ein optimales Wachstum brauchen die Stangen Sonne und eine Bodentemperatur von zehn bis zwölf Grad. Mit steigenden Erntemengen sinken dann auch die Preise.
Wobei die Deutschen 2016 wohl dennoch tiefer in die Tasche greifen müssen als im Vorjahr. "Spargel ist eine der arbeitsintensivsten Kulturen überhaupt", sagt Hans-Dieter Stallknecht, der Geschäftsführer des Bundesausschusses Obst und Gemüse beim DBV. "Damit spielt der Mindestlohn eine große Rolle."
Zu Jahresbeginn hatte sich der Mindestlohn in Westdeutschland auf acht Euro und im Osten auf 7,90 Euro pro Stunde erhöht. Das müsse weitergegeben werden, sagt Stallknecht. "In der Saison wird sich nun beweisen, ob der Verbraucher bereit ist, für den Spargelgenuss auch mehr zu bezahlen."
Quelle : welt.de
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