Argentinien will Zinsen auf 97 Prozent erhöhen

  15 Mai 2023    Gelesen: 1027
  Argentinien will Zinsen auf 97 Prozent erhöhen

Die Angst vor einer neuen Staatspleite geht um: Im Kampf gegen die Hyperinflation greift Argentinien zu immer krasseren Notmaßnahmen. Sie sollen den wirtschaftlichen Kollaps offenbar nur noch wenige Monate hinauszögern.

Erfahrungen mit dem wirtschaftlichen Armageddon hat Argentinien reichlich. Bereits neunmal ist das südamerikanische Land seit der Unabhängigkeit von Spanien im 19. Jahrhundert in die Zahlungsunfähigkeit geschlittert. An zweistellige Inflationsraten, Preiskontrollen, brennende Banken und Geierfonds, die rund um die Welt die Schiffe der argentinischen Marine jagen, um Schulden einzutreiben, hat man sich längst gewöhnt. Doch das, was die Regierung in Buenos Aires nun vorhat, klingt selbst für argentinische Verhältnisse extrem verzweifelt.

Nach übereinstimmenden Medienberichten will Wirtschaftsminister Sergio Massa ein neues Paket radikaler Sofortmaßnahmen verkünden, um den drohenden Zusammenbruch des Peso noch irgendwie aufzuhalten. Laut Beamten des Wirtschaftsministeriums, die "Bloomberg" und die "Financial Times" (FT) zitieren, will die argentinische Zentralbank unter anderem die Zinsen um 600 Basispunkte auf phantastische 97 Prozent anheben. Zudem wollen die Währungshüter noch aktiver auf dem Devisenmarkt intervenieren, um den Verfall der Landeswährung zu stoppen. Sie hat seit Beginn des Jahres bereits mehr als ein Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren.

Die Geier kreisen schon wieder um Argentinien

Faktisch kratzt Massa damit die letzten Reserven des Landes zusammen, um den drohenden Kollaps abzuwenden. Denn dass Argentiniens Währungshüter die Zinsen in solch astronomische Höhen schrauben müssen, liegt an der noch höheren Inflation: Sie erreichte im April sagenhafte 109 Prozent - den höchsten Stand seit 1991. Schon seit 2010 liegt die Teuerung konstant über 10 Prozent, seit der letzten Staatspleite 2020 kletterte sie unaufhaltsam immer weiter über 50 Prozent.

Denn das Land steckt in der tiefsten Wirtschaftskrise seit 20 Jahren. Der Teufelskreis aus Pleite, Restrukturierung und Wirtschaftsreformen nimmt in dem krisengebeutelten Land einfach kein Ende: Seit 2018 hängt das Land wieder mal am Tropf des Internationalen Währungsfonds (IWF), der schnürte 2022 ein neues Hilfspaket über 44 Milliarden Dollar. Es ist das 22. Paket, das Argentinien seit Beginn seiner IWF-Mitgliedschaft in den 50er Jahren durchläuft. Auch diesmal gingen die versprochenen Wirtschaftsreformen nicht auf, blieb das erhoffte Wachstum erst wegen der Corona-Pandemie und nun einer schweren Dürre aus - und Argentinien dank einem Ausgaben-Tsunami des Staates auf einem erdrückenden Schuldenberg sitzen. Daran dürften auch die neusten Notmaßnahmen des Wirtschaftsministers nichts ändern.

"Argentinien schiebt damit nur alles weiter auf die lange Bank" zitiert die "FT" Hector Torres, einen argentinischen Ex-Diplomaten und früheren IWF-Direktor. "Ich habe nichts dagegen, dass Zentralbanken Reserven nutzen, um Schwankungen auszugleichen und Spekulanten zu bekämpfen. Aber wir haben bereits keine Reserven mehr, sind hochverschuldet beim IWF und ohne Zugang zum Finanzmarkt. In dieser Situation das, was wir bereits dem IWF schulden, dafür auszugeben, um einen Wechselkurs zu stützen, der sich sowieso nicht halten lässt, ist waghalsig. Das kann nur Spekulanten dazu einladen, auf eine neue Pleite zu wetten".

Durchwurschteln bis zum Crash im Herbst?

Tatsächlich sind Argentiniens Zentralbankreserven nach den Berechnungen einiger Fachleute nicht nur bereits aufgebraucht, sondern sogar negativ. Und obwohl der IWF bei seiner letzten Prüfung im April feststellte, dass "weitere Zinsschritte im Fall weiterer Inflationsschocks geboten sein könnten", riet er ausdrücklich davon ab, das letzte Tafelsilber des Landes in einer nutzlosen Hauruck-Aktion zu verpulvern: "Interventionen am Devisenmarkt mithilfe von Reserven oder kurzfristigen Auslandsschulden sollten vermieden werden."

Dass Wirtschaftsminister Massa diese Warnung in den Wind schlägt, ist reine Politik. Man kann die geplanten Notmaßnahmen auch als seine Bewerbung für die Präsidentschaftswahlen im Oktober verstehen. Die sind völlig offen: Die aussichtsreichsten Kandidaten, Präsident Alberto Fernández und seine Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, scheuen sich anzutreten. Massa will erreichen, dass der IWF Hilfsgelder für das kriselnde Land schon vor der Wahl freigibt, um die prekäre Wirtschaftslage vor dem Urnengang noch zu stabilisieren - und sich als vielversprechender Kandidat zu präsentieren.

Ein anderer Anwärter steht nämlich bereits in den Startlöchern: Javier Milei. Der Rechtspopulist hat in den Umfragen bereits stark zugelegt. Und noch radikalere Ideen, um Argentiniens Währungskrise und die Hyperinflation zu beenden: Er will die Zentralbank abschaffen. Und den US-Dollar als Zahlungsmittel einführen.

Quelle: ntv.de


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