„In Syrien werden fünf Kriege ausgefochten

  10 Oktober 2015    Gelesen: 449
„In Syrien werden fünf Kriege ausgefochten
SETA-Foundation diskutiert über Implikationen eines türkisch-amerikanischen Abkommens in Syrien, die Errichtung einer Sicherheitszone sowie den Hergang des Bürgerkrieges seit 2011.

Bereits am 6. August 2015 hatte die SETA Foundation in Washington D.C. eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Sicherheitszonenvereinbarung zwischen den USA und der Türkei“ organisiert. Als Diskutanten waren dort Sabiha Senyücel, Forschungsleiterin des Center for Public Policy and Democracy Studies (PODEM); Melissa Dalton, Fellow und Stabschefin beim International Security Program des Center for Strategic and International Studies (CSIS); der unabhängige Autor Mark Perry und Kadir Üstün, der geschäftsführende Direktor der SETA Foundation in Washington D.C. – Moderator des Abends war Kılıç Kanat, Forschungsdirektor der SETA Foundation.

Sabiha Senyücel kontextualisierte dabei das jüngste Abkommen zwischen den USA und der Türkei und stellte noch einmal explizit die türkische Perspektive auf den regionalen Konflikt und das Chaos heraus. Nach dem Bombenanschlag vom 20. Juli in Suruç ging die Türkei davon aus, dass sie eine aktivere Rolle in den Bemühungen der Koalition, die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu bekämpfen, einnehmen sollte und erlaubte den USA daher auch die Benutzung der Luftwaffenbasis İncirlik. Die Türkei hat die Wichtigkeit der Bekämpfung des IS erkannt und geht davon aus, dass dies nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie eine gewisse Form der Kontrolle über den Norden Syriens ausübt. Obwohl man den Bürgerkrieg in Syrien zuerst lange Zeit als eine „innere Angelegenheit“ des Nachbarlandes betrachtet hatte, hegt Ankara drei wesentliche Befürchtungen. Zum einen sorgt sich die Türkei um die Sicherheit ihrer Grenzen. Darüber hinaus reißt der Flüchtlingsstrom in die Türkei nicht ab und ungebrochen reist eine große Anzahl aus ihrer Heimat vertriebener Syrer in das Land ein. Außerdem hat der Syrienkonflikt bedeutsame Auswirkungen auf den eigenen Friedensprozess mit den Kurden und der PKK. Dies alles ließ auch in Ankara die Gewissheit reifen, dass es sich hierbei nicht um eine rein türkische, sondern eine internationale Angelegenheit handele. Senyücel betonte, man „kann nicht über die PKK und PYD diskutieren, ohne die Beziehungen zu den USA, über den IS und die innenpolitischen Probleme in Syrien zu sprechen“. Sie betonte, dass das Sicherheitszonenabkommen keine „Flitterwochen-Vereinbarung“ für die USA und die Türkei wäre.



Kadir Üstün wiederum widmete sich vorwiegend der türkisch-amerikanischen Beziehungen und erklärte, Ankara und Washington hätten keine gleichen Ziele in Syrien. Er strich heraus, dass Obama selbst gesagt hatte, er versuche nicht, Syrien wiederherzustellen, da er davon ausgeht, dass „die US-Strategie inhärente Grenzen“ habe. Üstün sprach von einer „Strategie der Nicht-Strategie“ aufseiten der US-Regierung. Während das jüngste Sicherheitszonenabkommen mit der Türkei wichtig wäre, beinhalte dies „nicht, wie von der Türkei gewünscht, eine umfassende Strategie“. Beide Länder stimmen darin überein, dass der IS ein Problem sei. Aber bereits ihre Ansätze, den IS zu bekämpfen, gingen auseinander. Die USA hatten insbesondere den Kurden dadurch, dass sie diese für den Kampf gegen den IS gestärkt und legitimiert hatten, den Eindruck vermittelt, sie würden dadurch auch ein höheres Maß an internationaler Unterstützung für die Ambitionen einiger Kurdenverbände erreichen, einen eigenen Staat zu gründen. Die Vereinbarung zwischen den USA und der Türkei sei zwar ein Anzeichen für Fortschritt, aber inhaltlich von sehr begrenzter Reichweite und es sei nicht zu erwarten, dass die bilateralen Beziehungen zwischen beiden NATO-Partnern dadurch in nennenswerter Weise vertiefen werden. Genau dies, so Üstün, sei aber dringend erforderlich, andernfalls werde es nur „kurzlebige Effekthascherei“ geben, die nirgendwo hinführen.

Melissa Dalton stimmte ihren Vorrednern zu und betonte, die Türkei und die USA hätten ein gemeinsames Interesse daran, den IS zu bekämpfen. Aus US-Sicht sei das Abkommen stark zu begrüßen, da es den USA einen breiteren Zugang zu Syrien eröffne, wenn es darum geht, Anflugwege für Luftoperationen gegen den IS zu gewinnen. Dies sei nicht der Fall gewesen, als man Luftangriffe und Aufklärungsflüge vom Golf aus starten musste. Es werde, so Dalton, zahlreiche Formen des Tauziehens darüber geben, wie das Abkommen zu verstehen sei. Es dokumentiere inhaltlich vor allem eine gemeinsame Anstrengung, an der Grenze stärker zusammenzuarbeiten und dies sei auch das Hauptziel. Allerdings ließe es immer noch Fragen offen, die einer Antwort harren. Es bleibe unklar, wie tief die „Sicherheitszone“, die beide Länder miteinander vereinbart hätten, tatsächlich reichen würde. Dalton glaubt nicht daran, dass diese eine vollwertige Flugverbotszone sein werde, da die Durchsetzung einer solchen in einer „Zeit der reduzierten Ressourcen“ einen zu hohen Aufwand mit sich bringen würde. Auch gebe es Meinungsverschiedenheit in bestimmten Fragen, die eine breitere Kooperation zwischen den USA und der Türkei verkomplizieren würden, obwohl eine solche dringend nötig werde, um die regionalen Streitfragen zu lösen.

Mark Perry wiederum pflichtete der Einschätzung Üstüns bei, wonach die Administration Obama über keine umfassende Strategie in Syrien verfüge. Es würden stattdessen nur drei wesentliche Prinzipien stehen, welche die Politik der USA in Syrien bestimmen würden. Primär komme es Washington darauf an, seine traditionellen Beziehungen im Nahen Osten unabhängig von der innen- oder außenpolitischen Lage beizubehalten. Die USA werden auch nicht auf einen Regimewechsel in Syrien oder einen Sturz Assads hinarbeiten, da es ihnen nur darauf ankommt, die Feinde in ihren Möglichkeiten einzuschränken. Nach den Erfahrungen im Irak gäbe es auch keinerlei Ambitionen, eine politische Lösung durch einen weitergehenden militärischen Einsatz der Koalition zu erzwingen, wie dies im Irak geschehen war. Immerhin haben die USA zwar gegenüber der Türkei ein gewisses Entgegenkommen gezeigt, um das Abkommen zu ermöglichen, die türkische Position, wonach Assad auf jeden Fall gestürzt werden müsse, haben sich die USA jedoch nicht zu Eigen gemacht. Das Hauptinteresse des Zentralen Kommandos der USA an dem Abkommen hätte darin gelegen, den Stützpunkt İncirlik nutzen zu können, nicht nur wegen der militärisch günstigeren Position, sondern auch, um mehr an geheimdienstlichen Informationen über den Norden Syriens zu erlangen, der für die US-Dienste bislang eher unzugänglich war. Die USA wüssten zwar, dass sie „einige Entscheidungen treffen“ müssten, aber sie sind auch nicht gewillt, sich in „fünf Kriege, die in Syrien stattfinden“, hineinziehen zu lassen. Perry hält das bloße Nichtstun für eine veritable Option, die sich die USA offenhalten könnten.

Unter allen Diskutanten herrschte ein Konsens darüber, dass das gemeinsame amerikanisch-türkische Trainings- und Ausrüstungs-Programm nicht funktioniere. Üstün betonte, es sei auch „zu wenig und zu spät“, um moderate Kräfte für den Kampf gegen den IS oder Assad auszubilden. Dalton wiederum sah „keine logischen Anknüpfungspunkte für die moderaten Kräfte, die trainiert werden sollen“, sie stimmte aber der These zu, wonach eine Schutzzone in Nordsyrien eine gute Basis wäre, von der aus man operieren könne. Mark Perry hingegen fragte, wann der Ansatz „Trainieren und Ausrüsten“ je funktioniert hätte. Die USA hätten sich dazu nur breitschlagen lassen, um eine symbolische Präsenz zu schaffen, die den Iranern im Weg stehen könnte.

Üstün warf zum Ende noch einmal die Frage auf, ob die Schutzzonenvereinbarung ein „Game Changer“ sein könnte. Die USA und die Türkei sähen jedoch unterschiedliche Faktoren als die Hauptprobleme in der Region. Die USA betrachteten die Eliminierung des IS als Hauptaugenmerk, die Türkei wolle vor allem eine politische Lösung, an deren Ende ein Syrien ohne Assad stehe. Nur dann, wenn es den beiden Ländern gelingen sollte, hier einen Konsens zu finden und beide Ziele miteinander in Einklang zu bringen, könne die Taktik strukturiert werden. Die Vereinbarung sei auch keine komplette Neuausrichtung der türkischen Politik. Allerdings sei es ein Ausdruck des wachsenden Bewusstseins der Türkei dahingehend, dass eine Eliminierung des IS unerlässlich ist, um langfristig eine Chance auf politische Stabilität in Syrien zu haben.

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