Staatskrise in Brasilien: Machtspiele per WhatsApp

  14 April 2016    Gelesen: 740
Staatskrise in Brasilien: Machtspiele per WhatsApp
Um Brasiliens Präsidentin Rousseff wird es einsam, ihr Nachfolger steht in den Startlöchern. Vizepräsident Temer hat schon mal seine Antrittsrede geprobt - und als Sprachnachricht an alle Parteimitglieder versandt.
Die Botschaft, die Brasiliens Vizepräsident Michel Temer via WhatsApp verbreitete, klang staatstragend. Von Opfern, die erbracht würden müssen, war die Rede, soziale Errungenschaften sollten nicht angetastet werden, auf Brasilien kämen schwere Jahre zu. Es klang wie die Antrittsrede eines Präsidenten.

Noch ist nicht sicher, ob die sozialdemokratische Staatschefin Dilma Rousseff wirklich abgesetzt wird, aber ihr Vize vom Koalitionspartner PMBD probt schon mal fürs oberste Staatsamt. Er habe mit der digitalen Sprachbotschaft nur seine Parteifreunde aufmuntern wollen, die im Impeachment-Ausschuss des Kongresses sitzen, ließ er verlauten.

Versehentlich habe er auf seinem Handy die falsche Taste gedrückt, sodass die Botschaft an alle Parteimitglieder gegangen sei.

Dem gewieften Temer werden viele Dinge nachgesagt, aber für unbedarft hält ihn eigentlich niemand. Temer zeige immer mehr "Anzeichen, dass er trunken ist von der Aussicht, die Macht zu übernehmen und verrückt danach, die Präsidentin aus dem Amt zu jagen und auf ihrem Sessel herumzuhüpfen", schrieb die Kolumnistin Eliane Cantanhede in der Zeitung "Estado de São Paulo". Sein bizarrer WhatsApp-Auftritt hat der Regierung eine Steilvorlage geliefert, sie beschimpft ihn als Putschisten.

Temer hatte sich bislang nicht offiziell zur Krise geäußert, nun hat er im Machtkampf mit der Präsidentin erstmals offen Stellung bezogen. Am kommenden Sonntag wird voraussichtlich das Abgeordnetenhaus über die Amtsenthebung der Präsidentin entscheiden. Beide Seiten kämpfen erbittert um jede Stimme.

Michel Temer: "Verrückt danach, die Präsidentin aus dem Amt zu jagen"Zur Großansicht
AFP

Michel Temer: "Verrückt danach, die Präsidentin aus dem Amt zu jagen"
Die Kommission im Kongress, die das Verfahren einleitet, hat sich zwar am Montag für eine Amtsenthebung ausgesprochen. Doch das heißt nicht, dass zwei Drittel der Abgeordneten im Kongress ihrer Empfehlung folgen werden, so wie es nötig wäre.

Sollte das Impeachment abgeschmettert werden, müsse Temer umgehend zurücktreten, fordert die Regierung. Ein Vize, der so offensichtlich gegen die Präsidentin konspiriere, sei nicht tragbar.

Doch Temer ist offenbar siegessicher. Allerdings hat er ein Legitimitätsproblem: Die Begründung des Impeachments steht juristisch auf wackeligen Beinen. Rousseff habe die Haushaltsbilanz für 2014 geschönt und damit Amtsmissbrauch begangen, argumentieren die Verfechter des Verfahrens. Diese Pedaladas genannten Haushaltstricks reichen nach Ansicht vieler Verfassungsexperten als Motiv für die Absetzung der Präsidentin nicht aus.

Die Opposition versucht daher, das Verfahren mit zusätzlichen Argumenten zu untermauern. "Wir folgen dem Ruf der Straße", sagte Wellington Moreira Franco, ein Vertrauter und Parteifreund von Vizepräsident Temer, vor Auslandskorrespondenten in Rio. "Die Präsidentin ist isoliert, das ganze Land steht gegen sie." Rousseff sei für die schlimmste Wirtschaftskrise der vergangenen 80 Jahre verantwortlich.

Schlechte Umfragewerte sind allerdings als Motiv für ein Amtsenthebungsverfahren auch unzureichend, sonst müssten wohl die meisten lateinamerikanischen Staatschefs vorzeitig aus dem Amt gejagt werden.

Brasilien hat ein präsidentielles Regierungssystem, die Staatschefin lässt sich nicht per Misstrauensvotum kippen wie ein Regierungschef in europäischen parlamentarischen Systemen. Man muss ihr in einem komplizierten Verfahren massiven Amtsmissbrauch nachweisen.

Die Temer-Leute haben da noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Unterstützung für das Impeachment ist in den vergangenen Wochen von 69 auf 61 Prozent gefallen, so eine Umfrage des angesehenen Instituts DataFolha. 59 Prozent der Befragten fordern zudem auch die Amtsenthebung von Vizepräsident Temer.

Auch die Oppositionspartei PSDB, die sich von dem Impeachment Auftrieb bei den nächsten Wahlen in zwei Jahren erhofft, hat sich offenbar verkalkuliert: Oppositionsführer Aecio Neves ist in Umfragen abgeschlagen auf dem dritten Platz, er hat Stimmen an die extreme Rechte verloren. In allen Szenarien für 2018 liegen Ex-Präsident Lula von Rousseffs Arbeiterpartei und die Ökologin Marina Silva vorn.

Lula kostet die Umfrage genüsslich aus, er hat bereits in den Wahlkampfmodus geschaltet. Am Montagabend trat er vor Tausenden Anhängern in Rio auf. Der große Platz vor dem berühmten Aquädukt im Vergnügungsviertel Lapa war dicht besetzt.

Künstler und Intellektuelle drängten sich auf der Bühne, sie sehen in dem geplanten Impeachment auf die linke Präsidentin einen Angriff auf die junge Demokratie. Die berühmten Musiker Chico Buarque und Caetano Veloso sowie der Schauspieler Wagner Moura ("Tropa de Elite") haben ein Manifest "gegen die Bedrohung der Demokratie" unterzeichnet, Juristen und Universitätsprofessoren warnen vor einem "Angriff auf den Rechtsstaat". Auch Kritiker wie die Befreiungstheologen Leonardo Boff und Frei Betto suchen den Schulterschluss mit der PT.

Lula musste das Mikrofon weit aufdrehen. Seit er vor fünf Jahren wegen eines Tumors am Kehlkopf operiert wurde, versagt ihm oft die Stimme. Er war durchgeschwitzt und sichtlich erschöpft, aber sein Kampfgeist und Charisma sind ungebrochen. Die Korruptionsvorwürfe gegen ihn wies er erneut zurück.

Der einstige Gewerkschaftsführer trug ein neutrales weißes Hemd, nicht die rote Kluft seiner Anhänger. Er appellierte an die Einheit der Nation: "Brasilien kann nicht gespalten sein in jene, die sich für Brasilianer halten, weil sie ein grün-gelbes Hemd tragen, und jene die als Banditen verunglimpft werden, weil sie Rot tragen: Wir müssen ein Zeichen des Friedens setzen."

Doch danach sieht es zurzeit nicht aus. Regierungsanhänger werden auf Facebook und Twitter als Kommunisten beschimpft und mit Beleidigungen überhäuft. In São Paulo und Brasília wurden Jugendliche angegriffen, nur weil sie rote T-Shirts trugen. Die Fassade von Lulas Institut in São Paulo besprühten Regierungsgegner mit Hassparolen.

Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) äußern inzwischen Besorgnis angesichts der Polarisierung im größten Land Lateinamerikas. Die Demokratie dürfe nicht zum "Opfer des Opportunismus" werden, so OAS-Generalsekretär Luís Almagro.

Solche Alarmrufe verhallen jedoch. Bis zu den nächsten Wahlen wird Brasilien kaum zur Ruhe kommen, egal wie das Amtsenthebungsverfahren ausgeht: Wenn die Absetzung der Präsidentin an wenigen Stimmen scheitert, wird die Opposition zu neuen Massendemonstrationen aufrufen.

Übernimmt dagegen Vize Temer das Ruder, bekommt er es mit einem mächtigen Gegner zu tun: Ein erstarkter Lula wird dann gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen bis zur Wahl 2018 Front gegen die "Putschisten" machen.

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