Wer den Primastar als Basisfahrzeug nicht kennt: Bis zum Facelift 2019 war das gleiche Modell unter dem weniger klangvollen Namen NV300 bekannt. Hinter dem Nissan-Logo steckt in beiden Fällen der Renault Master, der in seiner Grundsubstanz schon seit 2010 in dritter Generation gebaut wird. Zwei Liftings, von denen das letzte recht umfangreich ausfiel, halten ihn aber auf der Höhe der Zeit.
Auch die Nissan-Variante hat von den Überarbeitungen profitiert, wirkt innen wie außen durchaus noch frisch. Die traditionellen Stärken des Basisfahrzeugs blieben dabei erhalten: Von der funktionellen Bedienung über gute Fahrleistungen bis hin zu einem durchaus komfortablen Fahrwerk und bequemen Sitzen muss er sich vor den teils deutlich teureren Mitbewerbern nicht verstecken.
Für viele Parkhäuser zu hoch
Für den Umbau zum Reisemobil hat Nissan die kürzere von zwei Variante gewählt, die mit 5,08 Metern Länge einen guten Kompromiss zwischen Wohnraum und Handlichkeit bietet. Leider übersteigt die Höhe selbst ohne die optionale Markise mit 2,04 Metern das Limit vieler Parkhäuser, wenn auch denkbar knapp. Geschuldet ist das dem Aufstelldach, das gegenüber dem beim Serien-Kombi leicht aufträgt. Wer auch noch die Zubehör-Markise von Thule montiert, kommt auf 2,07 Meter.
Der Innenraum lässt sich mit vier oder sechs Einzelsitzen bestücken, wobei beim Einsatz als Reisemobile die mittlere Bank schon zu Hause entfernt werden sollte, um die Bewegungsfreiheit im Innenraum und die Variabilität beim Umbau zu erhalten. Allerdings sind für den Ausbau Kraft, Geduld und eine zweite Person nötig. Das Verschieben der Sitze ist ebenfalls fummelig und aufwendig, was vor allem die Flexibilität als Alltagsfahrzeug einschränkt. Pluspunkt ist aber, dass sich die Sitze einzeln ausbauen lassen - so wird auf Wunsch eine Fahrzeugseite frei für lange Gepäckstücke wie etwa ein Surfboard.
Reichlich Laderaum
Der Laderaum ist je nach Sitzkonfiguration durchaus ansehnlich: Ganz ohne Fondsitze sind es 3300 Liter. Und selbst, wenn zwei Plätze und die herausnehmbaren Bett-Module drinbleiben, ist ordentlich Platz vorhanden. Weil aber eine Trennung zum restlichen Innenraum fehlt, rutschen kleine Gepäckstücke leicht unter den Sitzen durch in das Passagierabteil. Beim Campen lässt sich das durch cleveres Packen vermeiden, abseits davon macht es das sichere Verstauen von Kleinkram unnötig schwierig. An Zuladung sind mit vollem Frischwassertank und 75 Kilogramm schwerem Fahrer maximal 568 Kilogramm erlaubt (Automatik: 543 Kilogramm) - ein Wert, mit dem man zumindest zu zweit gut klarkommen dürfte.
Für den Antrieb stellt Nissan zwei 2,0-Liter-Diesel mit 110 kW/150 PS und 125 kW/170 PS zur Wahl, die entweder per Hand geschaltet werden oder über ein automatisches Doppelkupplungsgetriebe verfügen. In beiden Fällen stehen sechs Gänge zur Verfügung. Die im Testfahrzeug verwendete Kombination aus stärkerem Motor und Automatik überzeugte auch voll beladen mit kraftvollem Durchzug beim Überholen und vergleichsweise niedrigem Geräuschniveau bei Reisegeschwindigkeit. Der Verbrauch von rund 7,5 Litern ging ebenfalls in Ordnung. Punkten kann der Primastar zudem mit einem zeitgemäßen Paket an Assistenten - vom City-Notbremssystem über den Totwinkelwarner bis zur Rückfahrkamera, die das Rangieren auf engen Campingplätzen erleichtert.
Für zwei bequem, zur Not auch für vier
Das Fahren ist aber nur der Weg, nicht das Ziel. Dort steht dann das Wohnen im Mittelpunkt. Auf dem Platz eines Kleinbusses bietet der Nissan zwei Personen bequem Platz, zur Not lässt es sich an Bord auch zu viert aushalten. Während des Tages wird der Schlafboden des Aufstelldachs hochgeklappt, so dass es sich im Raum darunter aufrecht stehen lässt. In der Regel nimmt man aber lieber auf der Vierer-Sitzgruppe Platz, die sich durch den 180-Grad-Schwenk der Vordersitze bilden lässt.
Dabei ist leider die Handbremse im Weg, die mit einer speziellen Mechanik weggeklappt werden muss. Vergisst man das, gibt es hässliche Risse im sie umhüllenden Ledersack. Eine elektrische Parkbremse als Alternative ist nicht zu bekommen. Ebenfalls etwas hakelig ist der Verschluss für das Aufstelldach ausgeführt. Die Bedienung erfordert relativ viel Kraft und Konzentration - auch weil die Falten des Zeltstoffes gerne im Weg sind.
Letztlich lässt sich mit den mechanischen Problemchen aber leben. Auch, weil die übrige Camping-Ausstattung von sehr solider Machart ist. Für den Innenausbau zeichnen die Allgäuer von Dethleffs verantwortlich, deren Routine beim Camper-Bau man an jedem Schrank und Staufach merkt. Die Materialien sind schön gewählt und wirken wertig: Der Boden ist in Eichen-Optik gehalten, die Schrankfronten in hellem und dunklem Grau. Die Verarbeitung ist massiv und passgenau, während der Fahrt klappert nichts (Laufleistung bis dato: knapp 7000 Kilometer).
Das Layout ist klassisch: Gegenüber der Eingangs-Schiebetür auf der rechten Fahrzeugseite findet sich die Küchenzeile mit zweiflammigem Gaskocher und kleinem Spülbecken sowie einer Toplader-Kühlbox. Darunter ist allerlei Stauraum in Form von Schubladen und Rolltor-Fächern. Weiterer Stauraum findet sich im hintern Bereich unter dem Dach sowie an der Seite.
Schlafen unterm Aufstelldach
Geschlafen werden kann unter dem Aufstelldach, wo sich eine Liegefläche mit 1,89 Metern Länge findet. Oder im Heck. Die Fondsitze lassen sich umklappen und so als Grundgerüst für ein Bett nutzen, das durch eine faltbare Kaltschaummatratze (Serie) und einen optionalen Topper (300 Euro) komplettiert wird. Auf zwei Metern Länge finden auch großgewachsene Erwachsene gut Platz, haben es bei 1,25 Metern Breite aber etwas eng. Ist die obere Etage ebenfalls besetzt, liegt man unten wie in einem engen Stockbett, aus dem man sich nur rückwärts kriechend befreien kann.
Eine Dauerlösung für den mehrwöchigen Urlaub ist das nicht, die eine oder andere Nacht lässt sich so aber durchaus aushalten. Eine Toilette ist an Bord nicht vorhanden, dafür lässt sich unter der Heckklappe zumindest eine morgendliche Dusche nehmen.
Preislich startet der Seaside-Primastar bei 70.000 Euro für die Variante mit dem schwächeren Diesel und Handschaltung. Davon entfallen knapp 45.000 Euro auf das Basisfahrzeug, der Rest geht für den Umbau drauf. Der Aufpreis für die stärkere Variante liegt lediglich bei rund 1150 Euro, wer jedoch die Automatik wählt, muss jeweils weitere 2600 Euro drauflegen. Das teuerste Modell kommt somit auf knapp 74.000 Euro, was im Wettbewerbsumfeld angesichts der Ausstattung durchaus fair ist.
Wer ein vergleichsweise preisgünstiges, aber nicht spartanisches Reisemobil sucht, findet im Nissan Primastar Seaside eine im besten Sinne solide Alternative zum Marco-Polo-Nugget-California-Mainstream. Ein wertiger und durchdachter Innenausbau trifft hier auf ein komfortables und kraftvolles Basisfahrzeug, das zumindest zwei mobile Reisende gut durch Alltag und Abenteuer begleitet. Kleine Schwächen im Alltagskapitel wie das Reißen der Zwei-Meter-Grenze und die umständliche Sitzverstellung müssen aber akzeptiert werden.
Technische Daten - Nissan Primastar Seaside by Dethleffs
vier bis sechssitziger Kleinbus mit seitlicher Schiebetür und Heckklappe
Länge: 5,08 Meter, Breite: 1,96 Meter (mit Außenspiegel: 2,28 Meter), Höhe: 2,04 Meter (mit Markise: 2,07 Meter), Radstand: 3,10 Meter, zulässiges Gesamtgewicht: 3,07 Tonnen, Zuladung: 543-568 Kilogramm, Anhängelast: 2,44 Tonnen (mit Automatik: 1,64 Tonnen)
Reisemobilausbau:
Schlafplätze: 4, Heizsystem: 2 kW, Kühlschrank: 36 Liter, Gasanlage: 2,8 kg, Frischwasser: 29 Liter, Abwassertank: 24 Liter, Zweitbatterie: 95 Ah
2,0-Liter-Vierzylinder-Diesel, 125 kW/170 PS, maximales Drehmoment: 380 Nm, Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe, Frontantrieb, 0-100 km/h: k.A., Vmax: k.A., Normverbrauch: 8,8 Liter/100 Kilometer (WLTP), CO2-Ausstoß: 232 g/km (WLTP), Abgasnorm: Euro 6d, Testverbrauch: 7,5 Liter/100 Kilometer, Preis: ab 73.770 Euro
Quelle: ntv.de, Holger Holzer, sp-x
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