Politik als Sportschau
Geht es nach den veröffentlichten Umfragen, steht schon lange fest, dass die Kandidaten der Regierungsparteien keine Chance haben, in die Stichwahl zu kommen. Hoffnung auf die zweite Runde, so die fast einhellige Berichterstattung, dürften sich nur Alexander Van der Bellen, Irmgard Griss und Norbert Hofer machen.
Die Meinungsforschung scheint dem Land einen Blick in die Kristallkugel zu ermöglichen. Dabei gibt es selbst innerhalb der Szene Kritik am Bild demoskopischer Allwissenheit. "Mich stört, dass die Medienlandschaft, aber auch die Branche bei der Interpretation fast immer ein einheitliches Bild abgibt. Es fehlt die Vielfalt", sagt Christoph Hofinger von Sora, dem Institut, das für den ORF die Hochrechnungen am Wahlabend erstellt. Hofinger vermisst Formate, in denen Umfragen unterschiedlich interpretiert werden. Für die Bundespräsidentenwahl würde da klar: Es ist zwar sehr wahrscheinlich, dass Van der Bellen vorne liegt – aber dieselben Rohdaten lassen auch die Interpretation zu, dass er noch überholt werden kann. "Die Wähler sollten für diese Dialektik sensibilisiert werden", sagt Hofinger, "damit sie selbst ihre Entscheidung treffen."
Umfragen sind mehr als Information. Sie beeinflussen Kampagnen und die Wahlentscheidung. So bewirken knappe Rennen oft eine höhere Wahlbeteiligung. Ein Beispiel sind die Wiener Gemeinderatswahlen vom vergangenen Jahr, als wochenlang über ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPÖ und FPÖ berichtet wurde – am Wahlabend hatte die Sozialdemokratie die Freiheitlichen weit hinter sich gelassen.
Den Medien konnte das gleichgültig sein, ihren Stoff für die Berichte in der Zeit vor der Wahl hatten sie gehabt. Damit dienen Umfragen einem Journalismus, der Wahlkämpfe zum Sportereignis umfunktioniert: Wer liegt vorne, wer holt auf, wer fällt zurück? "Horserace Journalism" wird das im Englischen genannt, Politik als Pferderennen.
Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser ist seit 40 Jahren im Demoskopiegeschäft. Nicht nur die Zahl der Umfrageinstitute habe sich vervielfacht, auch die Instrumentalisierung der Befunde. "Redaktionen interpretieren die Ergebnisse der Forschung nicht manipulativ, aber bereiten sie doch überakzentuiert auf", sagt Plasser. "Das geht oft weit über das hinaus, was die Zahlen hergeben." Unschärfen und Schwankungsbreiten würden gern ausgeblendet, über minimale Veränderungen werde dafür breit berichtet.
Dass Umfragen und Wahlergebnisse oft auseinanderliegen, hängt einerseits mit einer falschen Erwartungshaltung zusammen. Denn Zahlen, die zwei Wochen vor dem Wahltag erhoben werden, können kein Ergebnis vorwegnehmen. Sie sind nicht mehr als Momentaufnahmen. Andererseits verändern sich die Wähler. Traditionelle Bindungen an Parteien nehmen ab, immer mehr Menschen treffen ihre Entscheidung im allerletzten Moment.
Dazu kommt: Viele sind in Umfragen alles andere als ehrlich. "Früher waren die Grünen in Umfragen oft zu stark und die Freiheitlichen zu schwach, weil man nicht zugeben wollte, blau zu wählen", sagt Eva Zeglovits vom Institut Ifes. "Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass die Menschen uns nicht mehr sagen, dass sie die Regierungsparteien wählen. Man schämt sich fast, zuzugeben, für SPÖ oder ÖVP zu stimmen."
Hübsch und farbig aufgemacht, in kompakte Grafiken zusammengefasst: Die Präsentation lässt schnell vergessen, dass es nicht trivial ist, Umfragen zu erstellen. Die Stichprobe muss sauber sein, die Methode korrekt und die Hochrechnung der erhobenen Rohdaten zu einer Prognose nachvollziehbar. In der Presse hingegen werden meist nur die Zahl der Befragten und die Schwankungsbreite angegeben, die genaueren Hintergründe bleiben außen vor.
Ausgerechnet das Boulevardblatt Heute versuchte einen anderen Weg: Zu einer von Unique Research erstellten Umfrage zur Bundespräsidentenwahl konnten im Internet detaillierte Angaben heruntergeladen werden. Aufgelistet waren nicht nur die Methode und die verschiedenen Interpretationen, sondern auch die Grenzen möglicher Schlussfolgerungen.
Doch selbst mit einer hohen Transparenz des Zahlenmaterials sei nicht alles gesagt, meint Wolfgang Bachmayer von OGM. Durch den Aufbau des Interviews könne leicht ein Drall entstehen. "Wenn man zuerst über den Klimawandel spricht, haben die Grünen Aufwind, geht es um Flüchtlinge, die FPÖ." Unseriös findet Bachmayer das Spiel mit kleinen Schwankungen: "Wenn hinter der Prozentzahl noch eine Kommastelle steht, wird eine Genauigkeit vorgegaukelt, die es einfach nicht gibt."
Für die Demoskopen ist jede Wahl ein neues Spiel mit Unsicherheiten. Dieses Mal heißt die größte davon Irmgard Griss: eine parteiunabhängige Kandidatin mit Chancen auf die Stichwahl. "Wir können zu Griss nur Hypothesen aufstellen. Sie könnte das grüne Schicksal erleiden und in den Umfragen eher über- als unterdeklariert sein", sagt Peter Hajek von Unique Research. "Wissen tun wir es aber erst am Wahlabend. Und beim nächsten Mal wird uns dieses Wissen wieder nichts nützen."