Nach dem Absturz eines Passagierflugzeugs mit 61 Toten in einem Wohngebiet in Brasilien beginnen die Ermittlungen zur Unfallursache. "Alles ist noch sehr verfrüht", schränkte der Leiter des Zentrums für die Untersuchung und Vorbeugung von Luftfahrtunfällen (Cenipa), Marcelo Moreno, auf einer Pressekonferenz ein. Es werden demnach umweltbedingte und technische Faktoren genauso untersucht wie mögliches menschliches Versagen, um zu klären, wie es zu dem Absturz in der Stadt Vinhedo im Bundesstaat São Paulo kam. Der Flugdatenschreiber, die sogenannte Black Box, sei von der brasilianischen Luftwaffe (FAB) gefunden worden, sagte er. Dies sei für die Untersuchung des Absturzes von grundlegender Bedeutung.
Der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, versprach alle notwendige Unterstützung. Der Plattform Flightradar 24 zufolge deuten meteorologische Berichte für den Zeitraum rund um den Unfall auf Turbulenzen, Gewitter und Vereisung in der Umgebung hin. In brasilianischen Luftfahrtgruppen haben Piloten, die am Unglückstag über die Unfallregion geflogen sind, Fotos von Vereisung auf ihren Cockpitscheiben gepostet, berichtet die "Bild"-Zeitung.
Demnach könnte es zu einer Vereisung der Tragflächen gekommen sein, sagte James Waterhouse, Experte für Aeroneutik von der Universität Sao Paulo, zu der ARD. Das könnte dazu geführt haben, dass die Maschine nicht mehr steuerbar gewesen sei. "Wenn es sich tatsächlich um eine Eisbildung handelte, was wir noch nicht bestätigen können, dann könnte es irgendwann zu einem Versagen des Enteisungssystems des Flugzeugs gekommen sein", erklärte er. Oder die Eisbildung könnte so schnell aufgetreten sein, dass der Pilot letztendlich nicht genug Zeit gehabt haben könnte, um alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. "Mit anderen Worten: Es gibt viel zu untersuchen."
Piloten setzten keinen Notruf ab
Das Zentrum für die Untersuchung von Unfällen im Luftverkehr der brasilianischen Luftwaffe teilte laut der Agentur AP mit, die Piloten der Unglücksmaschine hätten nicht auf Anrufe der Flugsicherung in São Paulo reagiert. Sie hätten auch keinen Notruf abgesetzt oder mitgeteilt, dass sie unter widrigen Wetterbedingungen unterwegs seien.
Der Geschäftsführer von VoePass, Eduardo Busch, schloss nicht aus, dass sich Eis auf den Tragflächen angesammelt haben könnte. Die Piloten seien allerdings erfahren gewesen und das Flugzeug sei mit funktionierenden Systemen gestartet. "Das Flugzeug war zum Zeitpunkt des Starts zu 100 Prozent einsatzbereit", sagte Busch.
Derzeit habe man noch keine Informationen über die Ursache des Flugzeugabsturzes, betonte er zudem. Die Fluggesellschaft werde eng mit dem Cenipa zusammenarbeiten, um den Fall zu untersuchen. "Wir warten auf den Zugang zu allen Kommunikationen zwischen dem Piloten und dem Kontrollturm, um ein umfassenderes Verständnis der Geschehnisse zu erhalten."
"Noch nie so einen lauten Knall gehört"
Die Maschine der Fluggesellschaft VoePass war am Freitag mit 57 Passagieren und vier Besatzungsmitgliedern an Bord von der Stadt Cascavel im Bundesstaat Paraná in Richtung des Flughafens Guarulhos bei São Paulo unterwegs. Zunächst hatte die Airline 58 Passagiere angegeben und dies nach ein paar Stunden korrigiert.
Auf Bildern und Videos in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie das Flugzeug in der Luft ins Trudeln geriet und vom Himmel fiel. Dichter Rauch stieg anschließend auf. Eine Anwohnerin, die ein Video des brennenden Flugzeugs gemacht hat, sagte im Fernsehsender UOL: "Ich habe noch nie in meinem Leben einen so lauten Knall gehört." Daten der Plattform Flightradar 24 legen nahe, dass das Flugzeug in weniger als einer Minute um fast 4.000 Höhenmeter absackte. Es sei in einer Wohnsiedlung in der Nähe eines Hauses abgestürzt, in dem sich Bewohner befanden, berichtete das Nachrichtenportal "G1" unter Berufung auf Behörden in Vinhedo. Am Boden sei aber niemand verletzt worden.
Erinnerungen an 2016
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ordnete derweil eine dreitägige Staatstrauer an. "Eine sehr traurige Nachricht. Mein ganzes Mitgefühl gilt den Familien und Freunden der Opfer", teilte Lula auf X mit. Der Unfall gehört Medienberichten zufolge zu den tödlichsten in der Geschichte der brasilianischen Luftfahrt.
In Erinnerung ist vielen ein Absturz vom 28. November 2016, als das Flugzeug des brasilianischen Fußball-Clubs Chapecoense auf dem Weg nach Medellín zum Final-Hinspiel um die Copa Sudamericana, dem Südamerika-Pokal, in Kolumbien verunglückte. Damals starben 71 Menschen, darunter fast alle Spieler sowie Betreuer, Trainer und mitreisende Journalisten. Sechs Passagiere überlebten.
Die Unglücksmaschine vom Freitag war ein Turboprop-Passagierflugzeug vom Typ ATR 72. Das Modell ist ein Schulterdecker des französisch-italienischen Konsortiums Avions de Transport Régional. Im Januar 2023 kamen beim Absturz einer ATR 72-500, die sich in Nepal im Landeanflug auf den Flughafen der Stadt Pokhara befand, 72 Insassen ums Leben, darunter vier Besatzungsmitglieder.
Quelle: ntv.de, spl/gut/dpa
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