Libanons Rettungskräfte sind hoffnungslos überfordert

  03 Oktober 2024    Gelesen: 73
  Libanons Rettungskräfte sind hoffnungslos überfordert

Lange vor der aktuellen Eskalation des Krieges steckte der Libanon in einer tiefen Krise. Der zerrüttete Staat kann auch seinen Zivilschutz schon lange nicht mehr adäquat ausstatten. Den Helfern fehlt es am Nötigsten, um helfen zu können.

Mohamed Arkadan gehört schon seit 17 Jahren dem Zivilschutz im Libanon an. Es ist eines der am stärksten von Krieg und Konflikt zerrissenen Ländern auf der Welt, und so hat er in all der Zeit viel Schlimmes gesehen. Aber nicht so etwas wie kürzlich am Rand der südlibanesischen Stadt Sidon. Dort hatte Israels Militär mehrere Gebäude bombardiert, über ein Dutzend Wohneinheiten waren eingestürzt und gut 100 Menschen unter den Trümmern begraben. Arkadan war schockiert über das Ausmaß der Zerstörung. Bis zum vergangenen Montagnachmittag - ungefähr 24 Stunden nach dem Angriff - hatte sein Team von Nothelfern neben 60 Überlebenden mehr als 40 Leichen geborgen.

Zu den Toten zählten auch Kinder, und der Anblick brach sein Herz, wie der 38-Jährige sagt. Aber noch stärker setzte ihm zu, dass sein aus mehr als 30 Kräften bestehendes Team keine weitere Hilfe leisten konnte. Feuerwehrautos und Krankenwagen sind alt, seit Jahren nicht ersetzt worden. Es mangelt an modernen Rettungswerkzeugen und anderer Ausrüstung. Arkadans Teammitglieder müssen ihre Uniformen aus eigener Tasche bezahlen.

Eine Wirtschaftskrise, die 2019 begann, und eine verheerende Explosion im Beiruter Hafen 2020 haben den Libanon mit seinen sechs Millionen Einwohnern schwer getroffen, mit massiven Auswirkungen auf Grunddienstleistungen wie Strom- und Gesundheitsversorgung. Hinzu kommen die politischen Spaltungen im Land, das seit mehr als zwei Jahren ohne einen Präsidenten oder eine funktionsfähige Regierung ist. Das daraus resultierende verbreitete Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein, hat auch die Ersthelfer erfasst, von denen die Menschen in Notfällen abhängig sind. "Wir haben null Ressourcen, null Logistik", sagt Arkadan. "Wir haben keine Handschuhe, keine persönliche Schutzkleidung."

Israels verstärkte Luftangriffe auf Ziele der militanten Hisbollah haben seit dem 17. September nach libanesischen Angaben weit mehr als 1000 Menschen getötet. Fast ein Viertel davon seien Frauen und Kinder, erklärt das Gesundheitsministerium. Hunderttausende Einwohner sind aus ihren Häusern geflohen, schlafen auf Stränden und Straßen. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben mehr als 30 Zentren für medizinische Grundversorgung in den betroffenen Gebieten schließen müssen. Angesichts der inzwischen von Israel gestarteten "begrenzten Bodenoffensive" droht eine weitere Eskalation.

Arbeit mit "traditionellen Werkzeugen"

Zwar haben die Vereinten Nationen nach eigenen Angaben umgerechnet knapp 22 Millionen Euro an Notfallmitteln für betroffene Einwohner bereitgestellt. Aber das hilft dem erschöpften medizinischen Personal in noch geöffneten Einrichtungen wenig, den täglichen Andrang von neuen Patienten zu bewältigen, auch wenn Kliniken nicht dringende Operationen bereits ausgesetzt haben.

Ersthelfer in Nabatäa, dem größten Gebiet im Süden, sagen, dass sie seit der vergangenen Woche rund um die Uhr gearbeitet hätten, um Hunderte Menschen zu erreichen, die bei der Bombardierung Dutzender Dörfer verletzt worden seien. Arkadan hat nach dem Angriff am Rand von Sidon Verstärkung erhalten, fast 250 Ersthelfer schlossen sich seinem Team an, etwa eine spezielle Such-und Rettungseinheit aus dem rund 45 Kilometer entfernten Beirut. Seine Mannschaft verfügte nicht über die moderne Ausrüstung, die nötig ist, um Leute aus ihrer Notlage zu befreien. "Wir haben traditionelle Werkzeuge wie Scheren, Kabel und Schaufeln verwendet", schildert Arkadan.

Etwa 8000 Menschen haben in der alten Stadt Tyros, etwa 20 Kilometer nördlich der Grenze zu Israel, Zuflucht gesucht - in der Hoffnung, dass der Ort bei den Angriffen ausgespart wird. Aber dort war nicht für diesen Andrang vorgesorgt, es gab weder Essenspakete, Hygiene-Kits oder Matratzen. Versorgungsgüter mit Trucks anzuliefern, ist jetzt gefährlich, wie Hassan Dbuk, der Leiter der Einheit für Katastrophen-Management in Tyros, schildert. Und inzwischen türmt sich auf den Straßen Müll auf. Die Zahl städtischer Arbeiter ist von 160 auf 10 geschrumpft. "Die humanitäre Lage ist katastrophal", sagt Dbuk.

Auch Ärzte fliehen

Und am vergangenen Wochenende wurde die Stadt selbst zum Ziel israelischer Kampfflugzeuge. Sie nahmen ein Gebiet nahe der berühmten Ruinen der Hafenstadt, Strände und Wohn- sowie Gewerbegebiete unter Beschuss, zwangen Tausende Einwohner zur Flucht. Mindestens 15 Zivilisten kamen nach libanesischen Angaben ums Leben, darunter mehrere Kinder. Es dauerte zwei Tage, bis sich Notretter durch die Trümmer eines Hauses im Stadtzentrum gewühlt hatten, in dem die Al-Samra-Familie wohnte. Neun ihrer Mitglieder wurden bei dem Angriff getötet.

Im Bezirk Tyros sind viele Ärzte zusammen mit Einwohnern geflüchtet. In einem der dortigen vier Krankenhäuser ist ihre Zahl von 35 auf fünf geschrumpft, wie Nissam Ghasal, ein Vertreter des libanesischen Gesundheitsministeriums in der Stadt Tyros, sagt. Eine weitere Klinik wurde wegen Schäden durch einen Angriff geschlossen.

Hosein Fakih, Leiter des Zivilschutzes im Gebiet Nabatäa, spricht ebenfalls von "schwierigen und kritischen Bedingungen", unter denen er und seine Leute arbeiteten. Die Angriffe seien willkürlich, sagt er. "Wir haben keinen Schutz. Wir haben keine Schilde, keine Helme, keine Extra-Schläuche. Das neueste Fahrzeug ist 25 Jahre alt. Wir arbeiten trotz allem."

Mindestens drei Mitglieder seines Feuerwehrteams wurden Anfang September getötet und seitdem zehn weitere verletzt. Von 45 Fahrzeugen wurden sechs getroffen und sind nicht mehr benutzbar. "In diesen Tagen gibt es jeden Tag etwas Schwieriges. Leichenteile sind überall, Kinder, Zivilisten und Leichen unter Trümmern", so Fakih. Und doch betrachtet er seine Arbeit als unabdingbares Sicherheitsnetz für seine Mitbürger. "Wir dienen den Menschen, und wir werden mit dem arbeiten, was wir haben."

Quelle: ntv.de, Sarah el Deeb, AP


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