Volkswagen steckt in der größten Krise seit den 1990er Jahren, wie es Branchenexperte Stefan Bratzel im Interview mit ntv formuliert. Die Standortkosten in Deutschland seien 50 Prozent höher als an anderen europäischen Standorten. "Hier muss etwas passieren", sagt der Leiter des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Denn die frühere Überlegenheit gegenüber anderen Herstellern und Standorten sei verloren.
Konzernchef Oliver Blume will deshalb mit den Kosten in Deutschland "massiv runter". Der für seine guten Gehälter bekannte Autobauer will dabei einen ungewöhnlichen Schritt gehen: Die rund 120.000 hiesigen Mitarbeiter sind in den aktuellen Tarifverhandlungen aufgerufen, auf einen Teil ihrer Löhne zu verzichten - statt wie üblich eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Um zehn Prozent sollen die Gehälter des Haustarifvertrags sinken, außerdem sollen die monatliche Zulage von knapp 170 Euro sowie Jubiläumszahlungen für langjährige Mitarbeiter entfallen - zusätzlich zu Werksschließungen samt Abbau Tausender Arbeitsplätze. Mehrere VW-Werke sind bei Weitem nicht ausgelastet. Eine weitere geplante Sparmaßnahme ist daher, die Boni für Spezialisten und Führungskräfte zu senken.
Die Gewerkschaft IG Metall läuft gegen die Pläne Sturm und hat mit flächendeckenden Warnstreiks begonnen. "Wenn nötig, wird das einer der härtesten Konflikte, die Volkswagen je gesehen hat", warnt IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger. Nachdem die Gewerkschaft zunächst sieben Prozent mehr Gehalt gefordert hatte, legte sie einen neuen Vorschlag vor: Das Gehaltsplus von 5,1 Prozent aus der Metallindustrie zu übernehmen, das Geld aber nicht auszuzahlen, sondern damit eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn zu finanzieren, um betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen zu verhindern. Es dauerte nicht lange, bis der Konzern den Plan als unzureichend ablehnte.
Werker kommen auf 56.000 Euro im Jahr
Bisher verdienen die meisten Beschäftigten in der Produktion 3900 bis 4300 Euro brutto im Monat, wie der Betriebsrat auf ntv.de-Anfrage mitteilte. Bachelor-Absolventen starten bei 5300 Euro, Master-Absolventen bei 5600 Euro. Meisterinnen und Meister erhalten gut 5950 Euro, bei mehr Verantwortung auch mehr. Bis zu gut 7700 Euro erreichen erfahrene oder sehr gefragte Fachkräfte wie Ingenieure, Programmierer oder auch Qualitätssicherer.
Die Gehälter im VW-Haustarif beginnen bei rund 2400 Euro für angelernte Tätigkeiten, beispielsweise in der Großküche. Gut 3500 Euro lassen sich in der Werkssicherheit, also etwa an den Toren, verdienen. In allen Gehaltsstufen kommen monatlich knapp 170 Euro Zulage sowie ein jährlicher Bonus hinzu, im Schnitt der vergangenen Jahre rund 4360 Euro. Zuletzt betrug die jährliche Bonuszahlung, die Urlaubs- und Weihnachtsgeld ersetzt, mehr als 4730 Euro.
Bei einem gängigen Werker-Gehalt von gut 4100 Euro betrug die Jahressumme somit zuletzt rund 56.000 Euro brutto. Auf zwölf Monate verteilt wären das knapp 4670 Euro. Für Nacht- und Sonntagsarbeit gibt es darüber hinaus Zuschläge. Die reguläre Arbeitszeit beträgt dabei 35 Stunden pro Woche. Etwa die Hälfte der VW-Angestellten hat laut dem "Handelsblatt" noch einen alten Vertrag, der 33 Wochenstunden für Produktionsmitarbeiter und 34 Stunden für Büromitarbeiter vorsieht. Zusätzlich zu 30 Urlaubstagen bei einer Vollzeitstelle erhalten die Beschäftigten zudem sechs freie Tage.
Zum Vergleich mit anderen Arbeitgebern: Das Durchschnittsgehalt von Vollzeitbeschäftigten über alle Branchen hinweg betrug im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt knapp 4500 Euro brutto. Das sogenannte Mediangehalt lag nach Berechnungen des Job-Portals Stepstone bei 3650 Euro - die Hälfte verdiente also mehr, die Hälfte weniger. Die Arbeitszeiten waren dabei oft höher, die Zahl der bezahlten freien Tage niedriger.
9,7 Millionen Euro für den Vorstandschef
Der VW-Haustarif gilt für die Werke in Wolfsburg, Braunschweig, Hannover, Salzgitter, Emden und Kassel sowie die VW Financial Services und Volkswagen Immobilien. Das Werk in Osnabrück fällt nicht darunter, die drei sächsischen Standorte erst ab 2027. Spezialisten und Führungskräfte unterhalb des außertariflichen Managements bei VW, wie beispielsweise ein Werksarzt oder die Leiterin einer Unterabteilung, werden nach einem eigenen Tarifvertrag bezahlt und verdienen mehr als 8000 Euro, teils über 9000 Euro. Auch für Zeitarbeiter gibt es einen separaten Tarifvertrag, der jedoch gekündigt wurde. Bisher zahlt VW hier nach eigenen Angaben weit mehr als der Wettbewerb. Künftig sollen sich die Konditionen am Rest der Branche orientieren.
Auch bei sich selbst will der Vorstand sparen. Die Vorstände kündigten im Frühjahr an, ihr Fixgehalt um fünf Prozent zu senken. Dieses beträgt allerdings nur einen Bruchteil der Gesamtvergütung von Vorständen, bei der Bonuszahlungen eine entscheidende Rolle spielen. Blumes Festgehalt als VW-Chef lag im vergangenen Jahr bei 1,3 Millionen Euro, bei gleichbleibender Vergütung würde er somit auf 65.000 Euro verzichten - von gut 8,7 Millionen Euro ohne Altersvorsorge. Personalvorstand Gunnar Kilian verdiente in dem Zeitraum fast 5,6 Millionen Euro.
Blume war im vergangenen Jahr - seinem ersten vollen Jahr an der Konzernspitze - gleich in die Spitzengruppe der bestbezahlten DAX-Vorstandschefs gerückt, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Einschließlich der Beiträge zur Altersvorsorge belief sich seine Vergütung laut Geschäftsbericht auf 9,71 Millionen Euro. Die Arbeitnehmer fordern in den Tarifverhandlungen weitere Abstriche für das Management. Branchenexperte Bratzel sagte im Gespräch mit ntv.de: "Das würde zwar nicht so viel Geld bringen, wäre aber ein wichtiges Symbol."
Quelle: ntv.de, mit dpa
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