Frank Witzel erhält Deutschen Buchpreis

  13 Oktober 2015    Gelesen: 689
Frank Witzel erhält Deutschen Buchpreis
Der 13-Jährige hat seinen wertvollsten Ritter mit schwarzglänzender Rüstung Andreas Baader genannt, Gudrun Ensslin ist eine Indianersquaw aus braunem Plastik.
In seinem Roman «Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969» hat Frank Witzel aus der Sicht eines Heranwachsenden die Atmosphäre und den Geruch der alten Bundesrepublik wiederbelebt. Dafür hat er am Montagabend überraschend den Deutschen Buchpreis erhalten.

Der 60-jährige Außenseiter kann bei der Bekanntgabe im Kaisersaal des Frankfurter Rathauses das selbst kaum fassen. «Ich gestehe jedem zu, es (das Buch) künftig nur noch `Erfindung` zu nennen», witzelt er zu seinem sperrigen Titel.

Auf 800 Seiten hat Witzel ein großes Panorama entfaltet, das dank zahlreicher Perspektivwechsel aber keineswegs chronologisch geordnet ist. Mit überbordender Fantasie und einer Vielfalt an literarischen Formen schildert Witzel, wie der muffigen Bundesrepublik der Nachkriegszeit von der Popkultur in den 1960er und 70er Jahren so ganz allmählich der Garaus gemacht wird. Der Ich-Erzähler, 1955 geboren wie auch Witzel, befreit sich vor allem mit Hilfe der Musik in Wiesbaden-Biebrich aus der Enge seiner erzkatholischen Umgebung. Witzel ist selbst auch Musiker.

«Das Buch ist wie ein Tsunami», würdigt Jurorin Bettina Schulte den Roman. Daran hat Witzel über ein Jahrzehnt lang gearbeitet. Es ist nicht durcherzählt, sondern mehr eine steinbruchartige Materialsammlung geworden, für die die Kritik aber durchweg Superlative gefunden hat. Lange ist Witzel nicht sicher gewesen, ob es letztlich wirklich gelungen ist. Aber sein Freund und Kollege Ingo Schultze («Simple Stories») habe ihn bestärkt, erzählt der Autor.

Im Finale des Buchpreises galt Witzel, der heute in Offenbach/Main lebt, alles andere als Favorit. Sein Wälzer ist eben nicht einfach zu lesen ist. Als Siegerin wurde stattdessen Jenny Erpenbecks Flüchtlingsdrama («Gehen, ging, gegangen») erwartet, unbestritten das Werk der Stunde, das ebenfalls auf der Shortlist stand.

Literarisch ist Erpenbecks Buch, in dem sich ein pensionierter Berliner Professor für afrikanische Flüchtlinge engagiert, allerdings konventionell gestrickt. Auch Ulrich Peltzer mit seinem literarisch anspruchsvollen Gegenwartsroman «Das bessere Leben», der die hochglobalisierte Welt aus der Sicht eines Managers betrachtet, waren gute Chancen eingeräumt worden.

Dass die siebenköpfige Jury sich aller Unkenrufe zum Trotz für den Außenseiter Witzel entschied, ist eine mutige Ansage. Auch gegen die Gesetze der Branche, die beim Deutschen Buchpreis ein möglichst im Handel vermarktbaren Roman erwartet. Im vergangenen Jahr wurden diese Erwartungen mit Lutz Seilers auf Hiddensee spielendem DDR-Aussteigerroman «Kruso» erfüllt, der ein großer Bestseller wurde. Dieses Jahr könnte das mit Witzel womöglich nicht so leicht werden

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