Ein zentrales Element dieser Beziehungen ist das deutsche Kulturerbe in Aserbaidschan, das die historische Präsenz der deutschen Gemeinschaft sowie ihren Einfluss auf die gegenwärtige diplomatische und kulturelle Zusammenarbeit widerspiegelt.
Eine kurze Geschichte
Die Geschichte der Deutschen in Aserbaidschan reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Während der Expansion des Russischen Reiches wurden deutsche Siedler in den Kaukasus eingeladen, um bei der Entwicklung des Landes zu helfen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Die Ansiedlung der Deutschen, vor allem aus Schwaben, begann im Frühjahr 1819, als sie zwei Kolonien gründeten: Helenendorf und Annenfeld (heute die Städte Göygöl und Schämkir). Im Laufe der Zeit wurden mehrere weitere Kolonien, darunter Greenfeld, Traubenfeld, Elisawetinka, Eigenfeld und Georgsfeld gegründet. Diese Kolonien waren wirtschaftlich und kulturell miteinander verbunden, wobei Helenendorf als inoffizielles Zentrum diente und die größte deutsche Kolonie im Kaukasus war. Trotz kultureller und sprachlicher Unterschiede pflegten die Deutschen und die lokale Bevölkerung enge Beziehungen sowohl im kulturellen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Die Aserbaidschaner hießen die Siedler gastfreundlich willkommen und halfen ihnen, sich an ihre neue Umgebung zu gewöhnen, indem sie ihnen Essen gaben.
Die meisten deutschen Siedler waren Bauern, die in ihrer neuen Heimat die traditionelle Landwirtschaft fortführten. Sie führten eine mehrsektorale Agrarwirtschaft ein, brachten agronomisches Wissen, technische Innovationen und kulturelle Traditionen mit. Die boomende Ölindustrie in Baku profitierte stark vom Fachwissen deutscher Ingenieure, Techniker und Spezialisten. Insbesondere spielten die Brüder Siemens eine Schlüsselrolle beim Bau einer Kupferhütte in der Region Gadabay Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts (zur Förderung von Kupfer und Gold), beim Bau des Wasserkraftwerks in Galakand, beim Bau von Ölpipelines und Telegrafenleitungen sowie bei der Entdeckung der Kobaltlagerstätte in Daschkesan. Diese Beiträge hinterließen ein bleibendes wirtschaftliches und kulturelles Erbe, zu dem auch die Gründung von Schulen, Kirchen und anderen Institutionen gehörte.
Ein bemerkenswerter Film - das Scholler-Archiv von Dschalaladdin Gasimow, der dem 200. Jahrestag der Ansiedlung deutscher Kolonisten in Aserbaidschan gewidmet ist, gewann zahlreiche internationale Preise. Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt der Film die Geschichte des deutschen Kolonisten Scholler und seiner Familie, die in den 1840er Jahren aufgrund der schwierigen sozioökonomischen Bedingungen in Deutschland nach den Napoleonischen Kriegen nach Aserbaidschan zogen. Das Thema der wahren Freundschaft zwischen den Siedlern und der einheimischen Bevölkerung zieht sich durch den gesamten Film. Die Schollers setzten ihre organisatorischen und geschäftlichen Fähigkeiten in der Region Tovuz in Aserbaidschan ein.
Deutsches Kulturerbe in Aserbaidschan
Das deutsche Kulturerbe ist in Aserbaidschan noch heute sehr präsent und prägt weiterhin die kulturelle Identität des Landes. Eines der auffälligsten Beispiele ist die Architektur, die deutsche Siedler hinterlassen haben. In Baku und anderen Städten gibt es mehrere Gebäude im deutschen Baustil, darunter Kirchen, Schulen und öffentliche Gebäude, die die kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan betonen. Diese Architektur hat nicht nur das Stadtbild geprägt, sondern auch dazu beigetragen, ein einzigartiges deutsches Kulturerbe zu bewahren.
Die erste lutherische Kirche Aserbaidschans, die St.-Johannis-Kirche, wurde von 1854 bis 1857 in Göygöl erbaut. Die im neugotischen Stil errichtete Kirche verfügte über eine Orgel der Firma „E.F. Walcker & Cie.” aus Ludwigsburg. Die aus rotem Stein erbaute Kirche hat einen Glockenturm, 16 große und 2 kleine Fenster sowie zwei Eingangstüren. Während der Sowjetzeit wurden die Glocken entfernt, der Altar zerstört und die Orgel weggebracht. Später wurde das Gebäude zu einem Militärkrankenhaus und einer Sporthalle umfunktioniert. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Aserbaidschans im Jahr 2001 wurde die Kirche in die Liste der unbeweglichen historischen und kulturellen Denkmäler aufgenommen. Seit 2005 beherbergt sie ein Heimatmuseum. Das Gebäude wurde 2008 gründlich renoviert.
Die „Erlöserkirche“ in Baku, auch Lutherische Kirche genannt, wurde vom Architekten Adolf Eichler im neugotischen Stil entworfen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 21. März 1896. In den folgenden Jahren wurde ein 200 kg schweres vergoldetes Kreuz auf den Turm gesetzt, Kirchenglocken und eine Orgel installiert. Zur Einweihungszeremonie am 14. März 1899 kamen über tausend Menschen. Am 23. April 1900 fand das erste Orgelkonzert mit Werken von Johann Bach statt. Heute finden in der Kirche kulturelle Veranstaltungen und Abende mit klassischer Musik statt.
Die lutherische Kirche in Schämkir wurde 1909 dank Spenden von Johann Bepply und Johann Beck ebenfalls im neugotischen Stil erbaut. Architekt war Ferdinand Lemkul. Die Weihezeremonie fand 1911 unter der Leitung des Bischofs der transkaukasischen evangelisch-lutherischen Gemeinden, Baron von Engelhardt, statt. Während der Sowjetzeit diente das Gebäude als Kulturzentrum, Lehrerhaus und historisch-ethnografisches Museum. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Aserbaidschans wurde die Kirche in die Liste der historischen und kulturellen Denkmäler aufgenommen. In den Jahren 2011–2012 wurden Restaurierungsarbeiten durchgeführt und eine nach den Originalplänen rekonstruierte Orgel eingebaut.
Die lutherische Kirche in Gandscha wurde 1885 mit Spenden der Gemeinde erbaut. Das im eklektischen Stil gestaltete Gebäude wurde aus Tuffstein errichtet und umfasst eine Fläche von etwa 650 Quadratmetern. Das Gebäude ist in eine zentrale Halle und ein Foyer unterteilt. Heute wird das Gebäude für Puppentheateraufführungen genutzt. Die lutherische Kirche in Schamachi wurde 1868–1869 von Otto Hippiuss erbaut, und die Kirche in Gadabay wurde 1868 von der Firma „Siemens & Co.” errichtet.
Neben ihren architektonischen Beiträgen trugen deutsche Siedler auch zur Entwicklung des Bildungswesens in Aserbaidschan bei, indem sie Schulen gründeten. Dies wurde zu einer Brücke zwischen westlicher und lokaler Kultur und förderte einen interkulturellen Austausch, der bis heute nachwirkt. Der Einfluss deutscher Siedler ist auch in der Musik, Literatur und Kunst erkennbar.
Bedeutung des deutschen Kulturerbes für moderne Beziehungen
Das deutsche Kulturerbe spielt weiterhin eine entscheidende Rolle in den zeitgenössischen aserbaidschanisch-deutschen Beziehungen. Diese kulturellen und historischen Bindungen bilden eine starke Grundlage für die heutige bilaterale Zusammenarbeit. Sie symbolisieren eine gemeinsame Geschichte und dienen gleichzeitig als praktische Grundlage für die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen.
Heute wird das deutsche Kulturerbe durch zahlreiche Initiativen und Institutionen aktiv bewahrt. So organisiert das Goethe-Institut in Baku Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte und Literaturabende, die das gegenseitige Verständnis fördern und die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern stärken. Ein weiterer wichtiger Bereich der Zusammenarbeit ist die Bildung. Viele aserbaidschanische Studenten nehmen an Austauschprogrammen in Deutschland teil, studieren an deutschen Universitäten oder erhalten dort eine Berufsausbildung.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das kulturelle Erbe wiederzubeleben und die aserbaidschanisch-deutsche Zusammenarbeit zu vertiefen. Dazu gehören gemeinsame Forschungsprojekte, kulturelle Austauschprogramme sowie Partnerschaften in Bildung und Kultur.
Das deutsche Kulturerbe in Aserbaidschan spielt eine wichtige Rolle in den deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen. Die historischen Bindungen, die durch deutsche Präsenz im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind, bilden die Grundlage für eine dynamische und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern. Die Anerkennung und Nutzung dieses Erbes ist der Schlüssel, um die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen auf die nächste Ebene zu heben.
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