Als wäre der Wechsel die normalste Sache der Welt

  29 April 2016    Gelesen: 948
Als wäre der Wechsel die normalste Sache der Welt
Kapitän Mats Hummels will Dortmund in Richtung München verlassen, doch BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gibt sich anlässlich des Weggangs erstaunlich gelassen. Er hat seine Gründe dafür.
Das Trainingsgelände von Borussia Dortmund ist derzeit eine Baustelle. Auf dem Haupttrainingsplatz wird neuer Rasen verlegt, die Mannschaft muss deshalb auf einem der hinteren Plätze trainieren und sich dort auf das Bundesligaspiel gegen den VfL Wolfsburg am Samstag vorbereiten. Das Areal in einem Gewerbegebiet im Stadtteil Brackel, tief im Osten der Stadt, ist mehr oder weniger blickdicht. Wenn nicht gerade öffentlich trainiert wird, können Fans höchstens von einem Erdhügel neben dem Gelände einen halblegalen Blick auf das Areal erhaschen.

Am Donnerstag, sieben Stunden bevor der BVB in Form einer Ad-hoc-Mitteilung öffentlich machte, was eh schon fast jeder geahnt hatte, waren nur einige japanische Teenager, offensichtlich Fans von Shinji Kagawa, bereit, den Berg zu besteigen. Vor den Toren standen kaum Autogrammjäger, es waren keine fünf Journalisten anwesend. Wozu auch? Hier gibt es nicht viel zu sehen und erst recht nichts zu erfahren über das Thema, das derzeit scheinbar die ganze Fußball-Republik in Atem halten: Will Mats Hummels tatsächlich zurück zum FC Bayern gehen?

Die Wut der Fans ergießt sich über Hummels` Facebook-Seite

Um 17 Uhr war es dann offiziell: Hummels will. Dies veröffentlichte die Borussia Dortmund Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) in jener Ad-hoc-Mitteilung, die sich in Windeseile verbreitete. "Abwehrspieler Mats Hummels hat Borussia Dortmund seinen Wunsch mitgeteilt, den Klub im Sommer verlassen zu wollen und sich zur kommenden Saison dem Ligakonkurrenten FC Bayern München anschließen zu wollen", hieß es dort – versehen mit dem Hinweis, dass der BVB einen solchen Wechsel davon abhängig machen werde, ob der FC Bayern "ein dem außerordentlichen Stellenwert des Spielers entsprechendes, äußerst werthaltiges Angebot unterbreiten wird".

Und damit war es mit der Ruhe vorbei. Nicht, dass es zu Volksaufläufen gekommen wäre oder gar Demonstrationen – die Zeiten, in denen Fußballfans ihrem Unmut direkt am Trainingsgelände und von Angesicht zu Angesicht mit ihrem gefallenen Helden Luft verschaffen, sind auch im Ruhrgebiet vorbei. Aber dafür gibt es ja ein neues, virtuelles Betätigungsfeld für all die enttäuschten Fans, die scheinbar vor Wut platzen.

Innerhalb von Minuten sammelten sich auf dem offiziellen Facebook-Account von Hummels Protestnoten von enttäuschten BVB-Anhängern, in denen er aufgefordert wurde, die Kapitänsbinde abzugeben und in denen Trainer Thomas Tuchel aufgefordert wurde, Hummels in den verbleibenden drei Bundesligaspielen sowie im DFB-Pokalfinale am 21. Mai, in dem es pikanterweise gegen den FC Bayern geht, nicht aufzustellen. "Hoffentlich gibst du die Kapitänsbinde ab und Tuchel setzt dich im Endspiel auf die Bank ... ich bin total enttäuscht und habe den Glauben an den Fußball verloren", schrieb ein User.

Erinnerungen an den Weggang Mario Götzes werden wach

Ein anderer erinnerte Hummels daran, wie er vor drei Jahren sein Unverständnis über die Entscheidung von Mario Götze, der 2013 vom BVB zu den Bayern gegangen war, zum Ausdruck gebracht hatte. "Ich verstehe ihn nicht, es gibt keinen Grund uns zu verlassen … ,Ich muss nicht unbedingt in der besten Mannschaft der Welt spielen, nur um eine relative Garantie auf Titel zu haben`", hatte Hummels damals gesagt. Dann wurde Hummels mit einem Interview, das er ein Jahr später, im Sommer 2014, gegeben hatte, zitiert: "Mir geht es um etwas anderes: Ich spiele gern Fußball, am liebsten den Fußball, der zu mir passt. Ich muss nicht sagen: Wenn ich nie die Champions League gewonnen habe, werde ich nicht glücklich im Leben."

Die Fanseele ist verletzt, und der Zorn auf Hummels scheint genauso groß zu sein wie damals, als Götze dem Lockruf der Bayern erlegen war. Am Samstag, wenn der BVB ein für den Verein sportlich fast bedeutungsloses Heimspiel gegen Wolfsburg absolvieren wird, könnte es für Hummels einen unangenehmen Empfang geben.

Trotzdem gibt es einen Unterschied zu damals. Denn als Götze ging, gab es nicht nur einen Aufschrei der Enttäuschung unter den Anhängern – damals war auch der Verein tief erschüttert. Damals, am Tag vor dem Hinspiel im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid, als die Kunde durchgesickert war, hatte Alfred "Aki" Schmidt, der Fanbetreuer des BVB gesagt: "Sie haben uns das Herz herausgerissen." Jürgen Klopp, der damalige BVB-Trainer, hatte anschließend in einer emotionalen Pressekonferenz davon gesprochen, dass es ihm "beschissen" gehe, nachdem er davon erfahren habe und dann fast schon flehentlich dafür geworben, Götze während des wichtigen Spiels nicht auszupfeifen. Es war, als habe sich ein tiefer Schatten über den gesamten Verein gelegt.

Trainer und Geschäftsführer reagieren gelassen

Und diesmal? Trainer Thomas Tuchel hat sich noch gar nicht geäußert. Und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke absolviert Medienauftritte, die von einer auffälligen Gelassenheit gekennzeichnet sind. Sowohl beim "Audi-Startalk" als auch in Berlin, beim sogenannten "Pokal-Handover", einer Pressekonferenz anlässlich des Finales, gab er sich cool. Er wirkte wie jemand, der zumindest nicht unvorbereitet war auf das, was seit dem vergangenen Mittwoch das Top-Thema nicht nur in den klassischen Sportmedien ist.

"Ich glaube, wenn, dann wird es Richtung Bayern gehen", sagte er und erklärte dann sogar die persönlichen Beweggründe von Hummels: "Diese persönlichen Momente, dass er mit dem Klub noch nicht fertig ist, dass sein Vater, seine Mutter, sein Bruder in München wohnen, seine Frau aus München ist, er selbst Münchner ist – da kommt schon eine ganze Menge an Komponenten zusammen."

Watzke sagte dies, weil er wusste, dass er Hummels nicht mehr überzeugen konnte. Denn der BVB-Kapitän hatte ihn offenbar schon länger über seine Absichten informiert. "Wir müssen akzeptieren, wenn jemand wie Mats jetzt achteinhalb Jahre bei uns spielt und auf die 28 Jahre zuläuft, dass er ins Denken kommt: Mache ich mein ganzes Leben lang Borussia Dortmund oder will ich noch einmal etwas anderes machen?", hatte der Vorsitzende der Geschäftsführung des BVB erklärt und dabei so ruhig gewirkt, als sei es fast die normalste Sache der Welt, wenn ein Spieler, der ein wesentlicher Bestandteil der jüngeren Vereinsgeschichte war, zum ärgsten Rivalen wechseln will.

Die Bosse wollen Stärke demonstrieren

Die von Watzke zur Schau gestellte Gelassenheit hat unterschiedliche Gründe. Sie soll Stärke demonstrieren, nach dem Motto: Wir sind so gefestigt, das wirft uns nicht um. Was würde es auch bringen, mit dem Schicksal zu hadern? Es würde nur Zweifel daran wecken, dass das Versprechen, das Watzke getätigt hatte, möglicherweise nicht eingehalten werden kann. Der BVB werde auch in der kommenden Saison eine Mannschaft haben, die mindestens so gut ist wie diese, hatte Watzke schließlich gesagt: "Wir sind nicht von Einzelschicksalen abhängig."

Solche Aussagen sind als Signal zu verstehen: An die eigenen Spieler, die wissen sollen, dass sie trotz der wahrscheinlichen Abgänge von Gündogan und Hummels kein Auseinanderbrechen der Mannschaft und damit eine sportliche Perspektivlosigkeit zu befürchten haben. Und an Spieler, die möglicherweise zum BVB kommen werden. Was sollte beispielsweise ein Mario Götze denken, wenn Watzke nun verbal auf Hummels losgehen würde, nur weil der nun den gleichen Schritt tun will wie den, den Götze vor drei Jahren getan hat?

Watzke hat gute Gründe, seinen Frust über den drohenden Abgang von Hummels zu unterdrücken. Ein entscheidendes Kriterium dabei ist, dass er das Vertrauen in die weitere Entwicklungsmöglichkeit des Vereins nicht gefährden will.

Es ist eine Strategie zur Schadensbegrenzung, die alternativlos ist. Doch sie anwenden zu müssen dürfte ihm sehr schwerfallen. Wie hatte Watzke noch vor wenigen Wochen gesagt? "Ich werde um Mats kämpfen, wie ich noch nie um einen Spieler gekämpft habe."

Quelle : welt.de

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