Der Grund, warum Altmaier – und damit Merkel, für die er spricht – ihre Hoffnung auf wirtschaftliche Wachstum an die Flüchtlinge knüpfen, liegt in einer völlig veränderten Ausgangslage in Deutschland. Die Wirtschaft sieht sich drei neuen Probleme gegenüber, die zufällig gleichzeitig entstanden sind:
1) Die Wachstumskrise Chinas, der Rohstoff-Produzentenländer und der Schwellenländer generell repräsentieren die Kehrtwende dessen, was die deutsche Exportnachfrage seit 2000 angetrieben hat: Ein Nachfrageboom für Investitionsgüter und teure Premium-Automobile im Ausland, vor allem aus diesen Ländern.
2) Die aufkommende Exportkrise wird durch die hausgemachte Krise des größten Automobilherstellers der Welt verschärft werden, welche auf die ganze deutsche Autoindustrie abstrahlen wird. Volkswagen wird hart ums Überleben in der gegenwärtigen Form kämpfen müssen. Die Tests und Normen bezüglich realistischer Emissionen von Diesel- und Benzinmotoren (Direkteinspritzer) werden drastisch verschärft werden. Das erhöht die Entwicklungsaufwendungen und zwingt zur Anpassung der Geschäftsmodelle. Der Diesel als Haupttrumpf der deutschen Premium-Modelle wird für viele Marktsegmente zu teuer werden.
3) Schließlich ist ein demographischer Wechsel im Gang, der mit der Flüchtlingskrise Deutschland und andere Länder Europas zu einem Land mit Masseneinwanderung macht. Das garantiert, wenn richtig gehandhabt, einen binnenwirtschaftlich getragenen Wachstumsprozess.
Kombiniert werden diese drei Faktoren das Wachstumsmodell Deutschlands für die nächsten Jahre massiv verändern. Es wird binnen- statt wie bisher außenwirtschaftlich geprägt sein. Nach der Jahrtausendwende hatte Deutschland einen völligen Bruch mit dem Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit der vollzogen. Dieser Bruch repräsentiert eine einzigartige Entwicklung auch im internationalen Vergleich. Kein anderes großes fortgeschrittenes Land machte etwas Vergleichbares durch. Eine Stagnation der Binnennachfrage über 15 Jahre kombinierte sich mit sehr starkem Exportwachstum. Die deutsche Wirtschaft wurde dadurch in einem Maß exportabhängig, welche im internationalen Vergleich unter führenden großen
Die Kehrseite dieser enorm angewachsenen Exportquote ist, dass die deutsche Exportindustrie jetzt überdurchschnittlich unter Druck kommen wird. China hatte bisher ein kreditfinanziertes investitionsgetriebenes Wachstumsmodell mit extrem hohen Wachstumsraten. Im Zuge dieses Wachstumsprozesses sind gewaltige Überkapazitäten im Neubau von Wohnungen, Geschäftsliegenschaften sowie in vielen Industrien geschaffen worden. Die Anpassung wird lange dauern und ist nicht nur vorübergehend. Das Risiko einer harten Landung ist ausgeprägt. Als Folge davon werden sich viele Schwellenländer, speziell diejenigen mit hoher Abhängigkeit von Rohstoff-Exporten nach China, ebenfalls einer harten Anpassung gegenüber sehen. Belastend wirkt zusätzlich, dass viele Schwellenländer eine besonders hohe Verschuldung des privaten Sektors aufgebaut haben. Diese nominelle Verschuldung und der Schuldendienst (Zinsen + Rückzahlung) in einem Umfeld mit scharf fallenden Exportpreisen und einheimischen Währungen gegenüber drohen einen Prozess der Schuldendeflation auszulösen. Die reale Schuld und der reale Schuldendienst steigen rasch an.
In Deutschland droht speziell der Autoindustrie ein herber Rückschlag. Der größte Autohersteller der Welt ist in einem Betrugsskandal gefangen, welcher den Kern der Automarke und seiner Geschäftsstrategie betrifft, den Dieselmotor. Die Autoindustrie war die größte Wachstumsindustrie Deutschlands in den letzten 15 Jahren, und Volkswagen der Repräsentant. Dies wird weltweit und in Europa nicht ohne Konsequenzen abgehen, mit Folgewirkungen auch für die anderen beiden Premium-Hersteller. Volkswagen hat ein gravierendes Reputationsproblem bei Kunden und Anlegern. Die Anforderungen und Messmethoden für Emissionen werden drastisch verschärft werden, und die Produkte entsprechend verteuert. Es wird schwierig werden, die Grenzwerte für Emissionen einzuhalten, und die Produktplanung sowie die Investitionsbudgets werden umgestellt werden müssen.
Der äusserst dynamischen Exportentwicklung der letzten 15 Jahre stand eine stagnierende Binnenwirtschaft gegenüber. Diese war geprägt von stagnierenden und in nicht wenigen Bereichen sinkenden Reallöhnen und von einer ausgeprägten Investitionsschwäche. Vor allem die Neubautätigkeit hatte einen schweren Einbruch.
Dieser Einbruch ist einem komplexen Ursachenbündel zuzuschreiben: Zu hohe vorangegangene Bautätigkeit im Osten, Sparpolitik des Staates sowie Demographie. Diese war von weniger Heiraten und Kindern sowie geringer Nettoimmigration gekennzeichnet. Im Endeffekt ist die schwache Demographie ein längerfristiges Phänomen seit den 1980er Jahren. Sie ist aber durch die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erheblich verstärkt worden, die mit dem Stichwort ‚Agenda 2010’ unauflöslich verbunden ist. Die massenhafte Einführung prekärer Arbeitsformen mit ungesicherten Berufs- und Einkommensperspektiven, und das Risiko des Abfallens in eine Armutsfalle reduzierten die Bereitschaft breiter Schichten der Bevölkerung, Kinder zu haben. Anders als in Frankreich wurde dies auch sozialpolitisch und steuerlich auch nicht unterstützt. Kommt noch hinzu das Risiko von Altersarmut aufgrund der Unterfinanzierung der Vorsorgewerke und der miserablen Erträge auf Spargeldern.
Im Ergebnis steckt Deutschland in einer Demographiefalle. Deutschland hat eine miserable Demographie, wie sie nur ganz wenige andere Länder aufweisen: Japan, China, Deutschland; interessanterweise die großen Industrieländer außerhalb der Vereinigten Staaten. In der Zukunft werden ohne Einwanderung immer weniger Beschäftigte immer mehr Rentner finanzieren müssen. Deutschland hat sich in den Jahren der Eurokrise immer als Vorbild, als Ausnahmefall gefeiert. Die politische Elite hat großzügig darüber hinweg gesehen, dass die längerfristige Zukunft düster war. Dieses rein exportgetriebene Wachstumsmodell war eine Sackgasse. Sie hat auch in der Rentenpolitik die Karte etablierter älterer Personen gespielt, mit einer an sich nicht finanzierbaren Reduktion des Rentenalters und jetzt wieder mit einer raschen Anhebung der Renten.
Doch diese Phase stagnierender Binnenwirtschaft ist in Deutschland jetzt vorbei. Was jetzt mit der Flüchtlingspolitik passiert ist, ist ein Dammbruch. Es ist der Beginn einer Massenimmigration nach Deutschland, die im Charakter und in der zeitlichen Intensität vergleichbar sein dürfte wie die Massenimmigration in die Peripherieländern parallel zur Einführung des Euro. Damals vollzog sich in Italien, Spanien und in Irland ein Einwanderungsschub, der eine gewaltige Bautätigkeit in Gang setzte. In Italien und Spanien stieg die registrierte ausländische Wohnbevölkerung innert eines Jahrzehnts um rund vier bis fünf Millionen. In Griechenland und in Portugal erfolgte der Startschuss schon früher in den 1990er Jahren, mit den genau gleichen Wirkungen. Die Massenimmigration spezifisch in diese fünf Länder ist der Ursprung der steil ansteigenden Bautätigkeit und Kreditvergabe und der überschießenden Investitionen, die später ab 2008 zur Eurokrise führten.
Die Immigration in Deutschland konzentriert sich auf junge Leute unter 25 Jahren, meist männlich. Sie umfasst Asylsuchende, politische Flüchtlinge und auch Wirtschaftsflüchtlinge. Erfahrungsgemäß haben diese Immigranten nach wenigen Quartalen bis Jahren eine sehr hohe Erwerbsquote. In den Peripherieländern lag diese üblicherweise bei 80% und höher. Eine Immigration dieser jungen Leute hat typischerweise Echoeffekte durch Nachzug. Die Wohnbevölkerung wird dadurch deutlich ansteigen. Realistischerweise wird dies die Wohnbevölkerung Deutschlands innert der nächsten 5-10 Jahre auf mindestens 90 Millionen anheben. Dies entspräche rund 10% Wachstum gegenüber dem aktuellen Zustand. Zum Vergleich. In Spanien stieg die Wohnbevölkerung von 1998 bis 2007, d.h. innert neun Jahren, von unter 40 auf 48 Millionen registrierte Einwohner, d.h. um rund 20%.
Diese Massenimmigration in Deutschland überlagert, ergänzt und verstärkt diejenige, welche durch die Eurokrise entstanden ist. Viele sehr gut qualifizierte junge Leute aus den Peripherieländern oder den östlichen neuen EU-Ländern, die zu Hause keine Perspektive haben, wandern nach Deutschland ein, völlig legal durch die Personenfreizügigkeit.
Das Wirtschaftswachstum wird sich auf den Wohnungsbau und mit diesem verbundenen Infrastrukturbau konzentrieren. Die Bautätigkeit hat sehr starke Effekte auf die verarbeitende Industrie und auf vor- und nachgelagerte Dienstleistungen. Kein anderer Sektor der Wirtschaft weist auch nur annähernd so starke Kopplungseffekte auf. Die Bautätigkeit hat überdies eine sehr geringe Importneigung. Der jetzt beginnende Bauboom wird im Binnensektor extrem hohe Wachstumsraten auslösen. Denn sekundär wird auch der Konsum stark profitieren. Und im Infrastrukturbereich werden die Staatsausgaben ganz gewaltig ansteigen müssen.
Historisch waren in Deutschland wie in vielen anderen Ländern die Phasen mit hoher Immigration und Bevölkerungszunahme die besten Jahre oder sogar Jahrzehnte des Wirtschaftswachstums. Solche Phasen starker Immigration und Bautätigkeit repräsentieren üblicherweise kumulativ sich verstärkende Prozesse. Der Bedarf an qualifizierter Arbeitskraft aller Stufen im Bausektor wird zur weiteren Einwanderung von Bauarbeitern, Architekten, Dienstleistern aller Art vor allem aus den Peripherieländern und aus Osteuropa führen – und damit eine sekundäre Einwanderung auslösen. Die Immigration in den Bausektor ist ein dominantes Merkmal der Massenimmigration in solchen Phasen. In den Peripherieländern konzentrierte sich die Beschäftigung der Immigranten auf den Bausektor, auf den Tourismus und das Gastgewerbe, und auf den Agrarsektor. Dabei nehmen auch die Reallöhne und Realeinkommen der Einheimischen beschleunigt zu, vor allem auch in Bereichen, wo sie vorher stagnierten oder sogar real rückläufig waren. Typischerweise steigt dann auch die Geburtenrate der einheimischen Wohnbevölkerung wieder deutlich an. Höhere Reallöhne und eine verbesserte Zukunftssicherheit wirken sich kumulativ aus. Ökonomische Ängste, wie sie der notorische Miesmacher Hans-Werner Sinn jetzt schon wieder verbreitet, sind fehl am Platz, gemessen an der historischen Erfahrung Deutschlands und anderer Industrieländer.
Die ganz großen Phasen steigender Reallöhne waren Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre und wieder Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre, als die Wohnbevölkerung durch Immigration stark zunahm. In der ersten Periode waren es Immigranten aus Italien, der Türkei oder Griechenland, in der zweiten vor allem aus der ex-DDR.
Dennoch ist eine Hurrahaltung nicht angebracht. In den Peripherieländern wurde dieser Immigrationsschub konzeptuell falsch aufgegleist, dies in vielerlei Hinsicht: Aufenthaltsrecht, Arbeitsmarktpolitik, Raumplanung, Regionalpolitik, Wohnungsbaupolitik und –finanzierung, Steuer- und Ausgabenpolitik, Bankenregulierung und -überwachung. Diese Länder haben dafür mit einem schlimmen Boom und Bust-Zyklus dafür bezahlt. Weil Ökonomen wie Sinn in Deutschland eine völlig falsche Interpretation der Eurokrise durchgesetzt haben, ist zu befürchten, dass auch in Deutschland von Anfang an eine fehlgeleitete Politik eingeschlagen wird. Mit seiner Forderung nach höheren Steuern, reduzierten Mindestlöhnen und erhöhtem Rentenalter schlägt er jedenfalls schon Mal exakt die falsche Richtung ein.
Eine Schnapsidee ist die Forderung nach einem Flüchtlings-Soli: Nur schon der Name garantiert einen Fehlstart von allem Anfang an. Die Ablehnung in der breiten Bevölkerung, die ohnehin zweifelt, ist dann garantiert. Gerade auch in den anderen europäischen Ländern, die sich ja wehren, und die man dazu bringen will, dass sie Flüchtlinge aufnehmen sollen, Wenn als erstes Steuererhöhungen kommen, würde dies die Widerstände enorm verstärken.
Um in Deutschland langfristig gravierende ökonomische Strukturverzerrungen und Prozesse des Überschiessens wie in den Peripherieländern zu vermeiden, ist eine ökonomische Analyse vergangener Wachstumsprozesse, die auf Massenimmigration beruhen, im Voraus notwendig. Dies würde auch helfen, die heutigen Probleme der Peripherieländer ganz anders zu interpretieren und der krisenbedrohten deutschen Exportindustrie dort neues Potential zu erschließen
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