Schon ein Hauch von Pinguinkot im Wasser genügt, damit Krill Reißaus nimmt. Das zeigen die Experimente einer US-amerikanischen Forschungsgruppe, über die im Fachblatt "Frontiers in Marine Science" berichtet wird. Die kleinen Krebstiere fliehen dabei nicht aus Ekel vor den Fäkalien, die einer Forscherin zufolge nach gammeligen Schalentieren riechen - vielmehr geht von dem Kot ein Warnsignal aus.
Sie sind gerade mal wenige Zentimeter lang und bilden dennoch das Fundament für das Ökosystem Antarktis: Die winzigen Krebstiere, die Krill genannt werden und in riesigen Schwärmen leben, sind die Hauptnahrung für viele Wale, Robben, zahlreiche Fisch- und Seevogelarten sowie Pinguine. Darüber hinaus fungieren die schätzungsweise 700 Billionen erwachsenen Krillkrebse des Südpolarmeeres als gewaltiger Kohlenstoffspeicher.
Besonders für Adeliepinguine (Pygoscelis adeliae) ist der Antarktische Krill (Euphausia superba) ein Leckerbissen: Die Vögel ernähren sich fast ausschließlich von dem Zooplankton, wobei ein erwachsener Pinguin am Tag bis zu 1,6 Kilogramm davon fressen kann.
Trotz ihrer zentralen Bedeutung sind die kleinen Krebse erstaunlich schlecht erforscht. Das Forschungstrio um Nicole Hellessey vom US-amerikanischen Bigelow Laboratory for Ocean Sciences hat nun in einer Reihe von Laborexperimenten untersucht, wie Krill auf Exkremente seiner Fressfeinde reagiert.
Dafür setzten die Forschenden Krebstiere, die sie in der antarktischen Bransfieldstraße gefangen hatten, in eine mit 1,5 Grad Celsius warmen Meerwasser gefüllte Rinne. In mehreren Versuchen setzten sie dem Wasser entweder Algen, von denen sich Krill ernährt, Pinguinkot (auch Guano genannt) oder beides zu. Dann beobachteten und filmten sie, wie sich die Tiere bei unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten verhielten. Für die Handhabung des Guanos brauchten die Forschenden robuste Nasen, wie Biologin Hellessey beschreibt: "Er riecht wie verfaulte Schalentiere."
Wilder Zickzack-Kurs
Die Aufnahmen zeigten, dass der Krill in der Regel geradeaus stromaufwärts schwamm. Sobald die Krebse aber in der Nähe von Pinguinkot waren, brachen sie in einen schnellen Zickzack-Kurs aus. Konkret variierte ihre Schwimmgeschwindigkeit stärker und sie schwammen zwischen 1,2- und 1,5-mal schneller. Außerdem machten sie dreimal mehr Wenden und das in einem durchschnittlich 1,4-mal größeren Winkel. Für das wilde Zickzackschwimmen reichte es, dass den Behältern 0,1 Mikrogramm Guano pro Liter Meerwasser zugefügt wurden.
Dem Forschungsteam zufolge handelt es sich bei dem Zickzackschwimmen um eine Vermeidungs- oder Fluchtreaktion. "Ein solches Verhalten, um den Pinguinen in der Nähe zu entkommen, würde die Überlebenschancen des Krills deutlich erhöhen. Und diese Chancen würden in einem Schwarm exponentiell steigen, wenn ihre Nachbarn die gleichen Signale wahrnehmen und sich gegenseitig die Gefahr mitteilen könnten", so Hellessey.
Flucht schlägt Fressen
Eine zweite Versuchsreihe ergab, dass der Krill nur noch etwa ein Drittel der üblichen Menge an Algen aufnahm, sobald Pinguinkot ins Wasser gegeben wurde. Das deutet darauf hin, dass der Krill in Gegenwart von Guano aufgrund seiner häufigen Richtungswechsel weniger effizient auf Nahrungssuche geht.
"Wir zeigen hier zum ersten Mal, dass eine kleine Menge Pinguin-Guano eine plötzliche Veränderung des Fress- und Schwimmverhaltens des antarktischen Krills bewirkt", fasst Hellessey zusammen. Auf welche Chemikalien im Kot der Krill genau reagiert, müsse indes noch geklärt werden.
Zudem sei die Studie nicht in freier Wildbahn durchgeführt worden. "Diese Ergebnisse beruhen auf Laborexperimenten und -bedingungen, die die Komplexität der natürlichen Umgebung nicht vollständig widerspiegeln." Damit wird angesprochen, dass Pinguin-Guano in freier Natur im Wasser mit der Zeit verdünnt würde. Ebenso herrschten im Labor konstante Temperaturverhältnisse. Und schließlich könnte auch die Sicht im freien Ozean anders sein als in den Experimenten.
Wahrscheinlich wirkt nicht nur Guano abschreckend
Nichtsdestotrotz gebe die Arbeit wertvolle Erkenntnisse - gerade mit Blick auf die Erderwärmung infolge der Klimakrise. "Da sich viele Arten in der Antarktis und im Südpolarmeer nach Süden bewegen, insbesondere Pinguine, die die neuen eisfreien Regionen auf der Westantarktischen Halbinsel besiedeln, könnte es in Zukunft vermehrt zu Interaktionen zwischen Pinguinen und Krill kommen", schreibt das Team.
Dabei sei zu erwarten, dass die Forschungsergebnisse nicht nur für Pinguinkot gelten. "Wir stellen die Hypothese auf, dass der Antarktische Krill den Geruch von zermahlenem Krill und Fisch im Guano der Pinguine meidet. Wir erwarten daher, dass der Krill in der Nähe von Robben, Walen und anderen Krillfressern in der Antarktis ein ähnliches Schwimmverhalten und eine unterdrückte Nahrungsaufnahme zeigt", so Hellessey.
Die Biologin sagt auch: Es sei noch unklar, wie sich die Fähigkeit des Krills, diese chemischen Signale wahrzunehmen, und sein Fluchtverhalten ihnen gegenüber künftig verändern wird - etwa unter den Bedingungen der globalen Erwärmung oder der Ozeanversauerung. Jegliche Veränderung des Krillverhaltens könnte große Auswirkungen auf das künftige Südpolarmeer haben, da der Antarktische Krill eine Schlüsselart in diesem Ökosystem ist.
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa
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