USA rutschen in Richtung Autokratie - aber wie weit?

  09 Mai 2025    Gelesen: 73
  USA rutschen in Richtung Autokratie - aber wie weit?

Viele Wissenschaftler sehen die ersten Monate unter US-Präsident Trump äußerst kritisch. Der Zustand der Demokratie: alarmierend. Mehrere sagen, die Vereinigten Staaten befänden sich bereits in einer Form der Autokratie. Gibt es einen Weg zurück?

Wo man auch hinhört, was man auch liest - die Ansichten und Analysen sind derzeit eindeutig: Leuchtfeuer der Demokratie, Anführer der freien Welt, Verteidiger der Menschenrechte? Das sind die USA nicht mehr. Sie sind vielmehr ein Land, dessen Regierung um Präsident Donald Trump das eigene politische System sabotiert und untergräbt. Trump, der die Demokratie geschwächt hat mit seiner Dekretflut, öffentlichen Diffamierungen und Drohungen, um die eigenen politischen Ziele und Überzeugungen durchzusetzen.

Alles läuft auf eine Grundfrage hinaus: Sind die Vereinigten Staaten bereits eine Autokratie? Tendenziell sind sich Forscher einig: Die USA rutschen in diese Richtung. Man kann dies kategorisch analysieren und an Kriterien festmachen. Es ist aufwendig, mit allem Schritt zu halten, was die US-Regierung veranstaltet. Aber inzwischen ist der Bulldozer der ersten Monate langsamer geworden, die großen Linien werden deutlich.

Trump hat den Meißel an verschiedene Grundpfeiler des demokratischen Systems angesetzt: An Gewaltenteilung und Kontrolle der Exekutive, an die Gleichheit vor dem Gesetz, bei Meinungsfreiheit und freier Presse, er hat sich in Bildung, Forschung und Kultur eingemischt. Hier erläutern wir mehr Details zu den einzelnen Bereichen.

In den Behörden hat die Regierung interne Korruptionskontrollen beendet sowie aktive Gleichstellungsmaßnahmen wegen angeblichen Rassismus gegen Weiße eingestampft. An Schulen und Universitäten versucht sie ähnliches. Für Trump und seine Mitstreiter gibt es letztlich nur eine definitive Grenze: die Urteile des Supreme Court, der ohnehin von Konservativen dominiert ist. Abgesehen davon beansprucht der Präsident in der Exekutive maximale Macht für sich.

Zwischen Mexiko und Ungarn

Die Öffentlichkeit, aber auch mehr als 700 Wissenschaftler sehen all dies in einer regelmäßigen Umfrage über den Zustand des politischen Systems in den USA äußerst kritisch. Auf einer Skala von 0 für reine Diktatur bis 100 für eine perfekte Demokratie ist das Land unter Forschern nach Trumps ersten 100 Tagen von 67 auf 49 abgestürzt. Es ist der niedrigste Wert seit Beginn der Befragung 2017. Sogar während Trumps erster Amtszeit und nach dem Putschversuch vom 6. Januar 2021 war der Wert nicht unter 60 gefallen.

Die Forscher verwenden 30 Indikatoren für ihre Bewertung. Etwa, ob sich die Regierung in die Belange der Presse einmischt, politische Gegner bestraft oder ob Kongress und Justiz der Macht der Regierung ausreichend Grenzen setzen können. Demnach sind die USA näher an einer Diktatur als das Nachbarland Mexiko, aber noch weiter davon entfernt als Ungarn.

Auf der Skala zwischen einer perfekten Demokratie und einer reinen Diktatur gibt es viele Zwischentöne. Viele davon gehören zu einer competitive autocracy, in der zwar Wahlen stattfinden und demokratische Institutionen weiterhin existieren - die Amtsinhaber sie jedoch für sich missbrauchen, um an der Macht zu bleiben. So wie Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei oder Nicolás Maduro in Venezuela.

Und die USA? "Wir sind in eine Form des Autoritarismus gerutscht", stellte der Politologe Steven Levitsky zuletzt fest. Er ist einer der beiden Forscher, welche das Konzept der competitive autocracy vor mehr als 20 Jahren zuerst beschrieben.

"Das ist ein Putsch"

Bereits Anfang Februar, da war Trump erst etwas mehr als zwei Wochen im Amt, titelte der Historiker Timothy Snyder: "Natürlich ist es ein Putsch". In seinem Beitrag ging es um die Rolle des Superreichen Elon Musk und seiner Mitarbeiter, des "Ministeriums für Regierungseffizienz", alias Doge. Die hatten sich Zugänge zu US-Ministerien und sensiblen Datenbanken verschafft. "Im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist Macht mehr digital als physisch", schrieb Snyder: "Das ist ein Putsch, weil Musk und seine Gefolgsleute kein Recht dazu haben." Musk sei nicht gewählt worden und keine Behörde hätte ihm die Macht verleihen dürfen, die er habe.

Manche der Maßnahmen der neuen US-Regierung sind von Gerichten gestoppt oder eingeschränkt worden. Musk hat sich inzwischen aus seiner täglichen Arbeit für die Regierung zurückgezogen. Doch in Trumps Präsidentschaft werden mindestens die bereits vorgenommenen Veränderungen bestehen bleiben. Es ist ein bisschen so, als hätten sich die alten Konservativen für ein paar Monate junge Tech-Bros ins Haus geholt, um das Betriebssystem neu aufzusetzen und Updates zu installieren. Wer weiß, was in der Zwischenzeit mit den Daten geschehen ist, wer sie kopiert hat, wer Zugang hat, wer sie missbrauchen wird.

Erstellt wurde beispielsweise eine Super-Datenbank mit Angaben über Millionen Migranten, zusammengeführt aus verschiedenen Behörden, mit der zukünftig die Einwanderungsbehörde ICE arbeiten dürfte - und ihr die im Wahlkampf angekündigten Massenabschiebungen erleichtern könnte, wenn nicht sogar erst ermöglichen. Snyder schrieb, Trumps Vorgehen sei auch ein Putsch wegen der Absicht, demokratische Prozesse zunichtezumachen und Menschenrechte zu verletzen. Trumps Regierung ist gefühlt überall mindestens einen Schritt weiter als üblich gegangen. Wenn es keinen Widerstand gibt, geht sie noch einen.

Vieles noch im Fluss

Der Widerstand kommt derzeit vor allem von den Gerichten. Das Weiße Haus lenkt den Blick der Öffentlichkeit gezielt auf einzelne Richter – und setzt sie damit unter enormen Druck. Manche der Dekrete wurden bereits gestoppt, haben sich nicht als so herausgestellt, wie sie zunächst den Anschein hatten oder über sie wird noch vor Gerichten verhandelt. Sich juristisch zu verteidigen, ist teuer. In den USA gilt nicht das Prinzip, dass ein Verklagter nur für Gerichtskosten zahlen muss, wenn er verliert. Das bedeutet, dass schon die Androhung einer Klage, so hanebüchen sie auch sein mag, ausreichen kann, um Widerstand zu brechen.

Bislang hat Trump das Meiste per Dekret verordnet oder durch die Ministerien und andere Behörden veranlasst. Die Maßnahmen könnten also von jeder Folgeregierung ohne sonstige Mehrheiten auch wieder rückgängig gemacht werden. Trump hat in seinen ersten Monaten im Amt nur eine Handvoll Gesetze unterschrieben. Auch, weil den Republikanern dafür die Mehrheiten im Kongress fehlen. Der Senat gilt nicht umsonst als ein Gesetzesfriedhof. Dort sind für ein einfaches Gesetz 60 Prozent der Stimmen notwendig. Die hatte seit Ex-Präsident Barack Obama kein US-Präsident mehr.

Ist diese Zukunft tatsächlich so düster? Sie könnte es werden. Trump versuche in aller Offenheit, seinen politischen Gegnern Angst einzujagen und das politische System zugleich so zu verändern, dass er und mögliche Nachfolger es einfacher haben werden, Wahlen zu gewinnen und die Republikaner an der Macht zu halten. So beschrieb es die Redaktionsleitung der "New York Times" zuletzt.

Demnach hat Trumps Regierung "der Demokratie mehr Schaden hinzugefügt als alles andere seit dem Untergang der Rekonstruktion", also der Zeit nach dem Bürgerkriegsende 1865. "Trump versucht, eine Präsidentschaft ohne Zwänge des Kongresses und der Gerichte auszuüben, in der er und seine Beauftragten geschriebenes Gesetz übergehen können, wann sie wollen." Genau dies sei die autokratische Herangehensweise gewesen, welche die Gründer der Vereinigten Staaten hätten verhindern wollen, als sie die Verfassung schrieben.

Freifahrtschein für Machthunger

Die Frage ist nicht nur, wie autokratisch die USA regiert werden, sondern auch, für wie lange. Schon vorher waren die Vereinigten Staaten alles andere als ein perfektes demokratisches System, was viel mit Wahlunterdrückung zu tun hatte. Aber die seit 15 Jahren erlaubte unbegrenzte Wahlkampffinanzierung durch Konzerne und Superreiche – und zuletzt das Immunitätsurteil des Supreme Court, das dem Präsidenten faktisch Straffreiheit zuspricht – haben Trumps enormen Mut zur Macht und Korruption erst möglich gemacht.

Wie sich die Grenzen verschoben haben, wird auch an einem Beispiel aus Trumps erster Amtszeit deutlich: Da kam der Präsident nur haarscharf an einer Amtsenthebung vorbei, die auch einzelne Republikaner unterstützten. Trump hatte im Tausch für US-Militärhilfe an Kiew von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj am Telefon um Wahlkampfhilfe gegen seinen politischen Kontrahenten Joe Biden gebeten.

Trump könnte mit seiner bisherigen Bulldozer-Politik in den kommenden Monaten und Jahren im politischen und legalen Morast stecken bleiben. Doch zukünftige Staatschefs könnten seinem Beispiel folgen, ihre Macht ähnlich nutzen oder noch breiter auslegen. Ob die USA also dauerhaft nah an der Autokratie bleiben oder noch weiter in diese Richtung rücken, das dürfte auch vom guten Willen der Nachfolger im Weißen Haus abhängen. Wird es jemand sein, der für die Gewaltenteilung, freie Presse, Bildung und Forschung sowie das gleiche Recht für alle auf eigene Macht verzichtet - oder nicht?

Quelle: ntv.de


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