Wenn eine Police Versicherte träge macht

  13 Oktober 2015    Gelesen: 465
Wenn eine Police Versicherte träge macht
Fast alle raten zum Abschluss einer Versicherung gegen Berufsunfähigkeit. Doch Mediziner sehen das skeptisch. Sie könne Streit- und Grenzfälle produzieren und die Krankheit sogar verschärfen.
Kaum eine Versicherung hat so viele unterschiedliche Befürworter: Ob Verbraucherschützer oder Vermittler, Politik oder Unternehmen - jede Gruppe rät zum Kauf einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU-Police). Scheidet ein Versicherter vorübergehend gesundheitsbedingt aus seinem Beruf aus, kann er davon die Umschulungskosten finanzieren. Kann er überhaupt nicht mehr arbeiten, erhält er eine monatliche Rente, die seine Einnahmeverluste ausgleicht. Was sich aber kaum einer fragt: Was macht der Abschluss einer BU-Police mit den Menschen?

„Grundsätzlich ist eine zeitlich befristete BU-Police etwas sehr Sinnvolles“, sagt Klaus-Dieter Thomann, der als Ärztlicher Leiter des Instituts für Versicherungsmedizin (IVM) in Frankfurt häufig entsprechende Versicherungsfälle begutachtet. Der Schutz ermögliche Menschen, sich nach einer Krankheit oder Verletzung beruflich neu zu orientieren. „Aber das Risiko der Überversicherung ist groß. Daraus kann sich ein Rehabilitationsrisiko bilden“, betont er. Zu wissen, dass man auch ohne Erwerbstätigkeit ein sicheres Auskommen erhalte, könne Versicherte passiv machen und seelisch belasten. Die Folgen seien dieselben wie bei einer Frühverrentung: Passivität, eine schlechtere Gesundheit, eine frühere Sterblichkeit.

Thomann gesteht zu, dass er als Gutachter besonders häufig mit Grenzfällen in Berührung komme. In eindeutigen Krankheitsfällen dagegen seien solche Entwicklungen weniger zu beobachten. „Aber in solchen Fällen besteht die Gefahr, dass man sich in die Krankheit hineinlebt und man nicht mehr zwischen der psychischen Störung und der Behinderung durch die Versicherung unterscheiden kann“, sagt er.

Erschwerend kommt aus Sicht anderer Fachleute hinzu, dass BU-Policen geradezu darauf angelegt zu sein scheinen, Streit- und Grenzfälle zu produzieren. „Es gibt kein einziges Produkt, das so sehr von Unbestimmtheit strotzt wie die BU“, sagt Claus-Dieter Gorr, der mit seinem Analyseunternehmen Premiumcircle seit vielen Jahren den Markt beobachtet. „Es wimmelt von unbestimmten Rechtsbegriffen.“ Schon beim Namen fange der Konstruktionsfehler an, denn die BU sichere nicht den Beruf, sondern eine Absicherung des Niveaus des letzten Arbeitsplatzes. Wechsle ein Angestellter nach zehn Jahren seine Stelle und scheide nach kurzer Zeit beim neuen Arbeitgeber aus, weil er dort die psychische Belastung nicht aushält, sei unklar, ob die Versicherung zu leisten habe.

Mit einer BU auch eine Rechtsschutzversicherung abschließen
Auf jeder Ebene des Vertrags werfe der BU-Schutz Probleme auf: „Schon die Gesundheitsfragen beantwortet der Laie nicht qualifiziert“, sagt Gorr. Dabei könne schon eine Rückenmassage, die er vor Vertragsabschluss unterschlagen habe, vom Versicherer gegen ihn ausgelegt werden. Besonders viele unbestimmte Begriffe gebe es mit Blick auf die versicherten Ereignisse. Versicherer verweisen auf einen „mehr als altersspezifischen Kräfteverfall“. Und schließlich müsse dies im Leistungsfall der Versicherer selbst beurteilen. „Das lässt die Hintertür offen für Gutachten“, kritisiert Gorr. Die Folge: Die Chance, eine Leistung zu erhalten, liege bei den kundenfreundlichsten Anbietern bei 70 Prozent. „Deshalb sollte man unbedingt mit einer BU auch eine Rechtsschutzversicherung abschließen“, rät er.


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