Doch abgesehen von Måns, dem alten Schweden, ist Frischfleisch gefragt. Das bekommt nach all den Proben, die bereits seit Tagen in der überdimensionalen Stockholmer Veranstaltungshalle "Globen" über die Bühne gehen, gemeinsam Ausgang. Unter den Flaggen am Palast findet am Sonntagabend die offizielle Eröffnung des diesjährigen ESC statt. Vorzugsweise in knappe Roben oder kurze Kleidchen gehüllt, präsentieren sich die Eurovisions-Hoffnungen aus Nah und Fern auf dem roten Teppich. Die 42 Teilnehmerstaaten wollen mehrheitlich mit einer mehr oder weniger jungen und adretten Solosängerin beim Publikum punkten. Eine davon ist Jamie-Lee.
Russland als Favorit
Und zumindest optisch setzt die zierliche 18-Jährige beim Defilee der Möchtegern-Stars ein Ausrufezeichen. Sie braucht keine High Heels oder ein weit ausgeschnittenes Dekolleté, um in dem Gewusel aufzufallen. Ein neues Comic-Shirt, ein goldener Glitzer-Rock und Miniatur-Teddys im Haar tun es auch. So flitzt Jamie-Lee hin und her zwischen Interviews und Autogrammen für Fans, die schon auch mal das Smartphone zücken, um den roten Teppich mit dem deutschen ESC-Song "Ghost" zu beschallen.
Konkurrenz kommt in dieser Situation allenfalls aus Russland. Ausgerechnet von einem Mann. Filipp Kirkorow ist zwar nicht der Interpret, aber einer der Komponisten des russischen Beitrags. Und wüsste man nicht sicher, dass Rudolf Moshammer tot und Harald Glööckler kein Songschreiber ist, man könnte meinen, beide hätten sich in Stockholm zur Körpersynthese getroffen.
Aber Vorsicht mit Witzen an dieser Stelle: Zum einen, weil Kirkorow, der 1995 selbst beim ESC sang, als schlimmer Finger gilt - auf unliebsame Journalisten lässt er schon mal seine Bodyguards los. Zum anderen, weil Russland bereits jetzt zu den Favoriten des diesjährigen Contests gezählt wird. Das liegt allerdings zuvorderst nicht unbedingt an dem von Kirkorow miterdachten Song "You are the only one", sondern vor allem an der mit spektakulären Effekten aufgemotzten Präsentation von Sänger Sergey Lazarev. Tja, von Schweden lernen, heißt eben siegen lernen. Jedenfalls beim ESC - siehe Zelmerlöws nicht minder aufwendige Performance im vergangenen Jahr.
Magie und Mystik
Verglichen damit kommt Jamie-Lees Vortrag auf der Eurovisions-Bühne geradezu schlicht daher. Bevor sie am Abend auf dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter steht, muss sie sich erst einmal zu ihrer zweiten Probe im Scheinwerferlicht des "Globen" einfinden. Das Bühnenbild gleicht im Wesentlichen dem bereits aus dem deutschen Vorentscheid bekannten Aufbau, auch wenn ein paar zusätzliche digitale Sperenzchen hinzugekommen sind.
Nein, die Leichtigkeit, mit der sich seinerzeit Lena durch ihr "Satellite" zappelte, versprüht Jamie-Lee nicht. Bei ihrem Auftritt gibt sie sich - ganz anders als der Flummi, der sie sonst ist - weitgehend unterkühlt-statisch. Ein kurzer Gang in Richtung Publikum auf einem Ausläufer der Bühne zu den Schlussklängen von "Ghost" ist schon das Höchste der Gefühle. Ob der deutsche Beitrag damit neben dem Effekte-Feuerwerk so mancher Konkurrenten bestehen kann? Das hängt vor allem davon ab, ob sich die Zuschauer von der Magie und Mystik des Songs und seiner Darbietung gefangen nehmen lassen. Und von Jamie-Lees Stimme. Denn die ist fraglos Bombe.
Das beweist sie auch noch einmal auf einer anschließenden Pressekonferenz, auf der sie eine Passage von "Ghost", nur von der Gitarre begleitet, für die anwesende Journalistenschar schmettert. Und nicht nur für die, sondern auch für ein paar Fans, die aus ihrer Sympathie für die Deutsche keinen Hehl machen. Accessoire der Stunde in Stockholm ist ein Haarbügel, mit dem sich Jamie-Lees Kopfschmuck als Papp-Version leidlich nachempfinden lässt. Wir sind eben alle Manga. Mal abwarten, ob die übrigen Zuschauer im Eurovisions-Land das beim Finale am Samstag genauso sehen.
Quelle: n-tv.de
Tags: