Pfiffe und Buhrufe für die Terroropfer von Ankara

  14 Oktober 2015    Gelesen: 665
Pfiffe und Buhrufe für die Terroropfer von Ankara
Große Aufregung rund um das EM-Qualifikation-Spiel der Türkei gegen Island: Bei einer Schweigeminute für die Opfer von Ankara kommt es zum Eklat. Dahinter stecken vermutlich Erdogan-Anhänger.
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurfte, dass keineswegs die ganze Türkei um die rund hundert Toten des Terroranschlags von Ankara trauert, das EM-Qualifikationsspiel zwischen der Türkei und Island hat ihn geliefert. Vor dem Anpfiff in Konya gab es eine Schweigeminute. Aber während die Spieler auf dem Platz – darunter Hakan Calhanoglu von Bayer Leverkusen und Arda Turan vom FC Barcelona – schwiegen, schallte es von der Tribüne Pfiffe, Buhrufe und schließlich "Allahu-akbar"-Rufe.

Das zentralanatolische Konya ist eine traditionelle Hochburg der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung, aus der auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) stammen. Bei der Parlamentswahl im Juni erzielte die AKP in der Provinz Konya mit 65 Prozent ihr landesweit zweitbestes Ergebnis, gefolgt von der ultranationalistischen MHP, die auf 16 Prozent kam.

"Glücklich, wer sagen kann: Ich bin Türke"

Kein Wunder, dass folgender Tweet einer Nutzerin noch vor der Halbzeitpause die Runde machte: "Freunde, ich stamme aus Konya. Falls jemand sagt, man könne von diesem Verhalten nicht auf ganz Konya schließen, dann glaubt ihm nicht. Ihr könnt." Auch sonst reagierten viele in den sozialen Medien mit Kritik, vor allem aber mit Fassungslosigkeit. Die Tribüne fand derweil noch vor der Halbzeitpause eine weitere Parole: "Glücklich, wer sagen kann: Ich bin Türke."

In den Augen der AKP-Anhänger und Nationalisten sind die Menschen, die in Ankara auf einer Friedensdemonstration teilnehmen wollten und dabei in Fetzen gerissen wurden, PKK-Anhänger und Terroristen. Zugleich beschuldigen AKP-nahe Medien die PKK, den Anschlag ausgeübt zu haben.

Nein, der Terroranschlag von Ankara hat die Spaltung der türkischen Gesellschaft nicht aufgehoben, sondern vertieft. Und noch nie hatte die isländische Nationalmannschaft in der Türkei wohl so viele Fans wie an diesem Abend.

Das Spiel endete übrigens durch ein spätes Tor von Selcuk mit 1:0 für die Türkei. Die Holländer, die mit der Türkei um den Relegationsplatz Drei konkurrierten, unterlagen Tschechien mit 2:3. Da zugleich im dritten Spiel der Gruppe A Kasachstan Lettland besiegte, hat sich die Türkei als bester Gruppendritter direkt für die Europameisterschaft qualifiziert. Der Torschütze Selcuk Inan stammt übrigens aus einer alevitischen Familie in der Provinz Hatay und hat sich in der Vergangenheit immer wieder politisch geäußert, etwa mit einer Grußbotschaft an die Demonstranten vom Gezi-Park. Wenn das die Zuschauer von Konya wüssten.

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