Die Geschäftsräume der Sozialistischen Partei (PS) in Lyon sind verwüstet, die Mauern von PS-Büros in Dijon, Caen oder Toulouse sind mit Slogans besprüht, Fensterscheiben wurden eingeworfen. In Paris versammeln sich Mitglieder der Bewegung "Nuit debout" zum spontanen Protest auf der Pariser Concord-Brücke, gleich vor der Nationalversammlung.
Die Lage in Frankreich ist unruhig, auch am heutigen Donnerstag sind landesweite Kundgebungen angesagt.
Trotzdem will die sozialistische Regierung unter Präsident François Hollande am Nachmittag das seit Monaten umstrittene Gesetz zur Reform des Arbeitsrechts per Dekret durchsetzen - ohne Debatte in der Nationalversammlung, ohne Abstimmung der Abgeordneten. Entschieden werden soll nur unter Berufung auf den Verfassungsartikel 49-3 - ein Verfahren, das gleichwohl an die Vertrauensfrage gekoppelt ist.
Ein Vabanquespiel, denn die Kraftprobe könnte im schlimmsten Fall für Staatschef Hollande mit dem totalen Machtverlust enden: Nach einer parlamentarischen Niederlage wären Neuwahlen unumgänglich. Damit stünde auch der Staatschef selbst unter enormem Druck seinen Rücktritt einzureichen.
Nicht nur die Opposition von Republikanern (LR) und Liberalen (UDI) einigte sich auf ein gemeinsames Votum gegen PS-Premier Manuel Valls. Erstmals versuchte auch ein Bündnis aus Linken, Grünen und Abweichlern der Sozialistischen Partei einen eigenen Misstrauensantrag gegen die PS-Regierung einzubringen. Am Ende fehlten den Rebellen nur zwei Stimmen zum nötigen Quorum von 58 Abgeordneten - das Verhalten zeigt, wie tief die PS mittlerweile ideologisch gespalten ist.
"Reform bis zum Ende"
Trotz des Aufstandes blieb der Präsident beim geplanten Durchmarsch vorbei am Parlament: Nach den wochenlangen Debatten und immer wieder gewalttätigen Protesten um den Entwurf von Arbeitsministerin Myriam El Khomri will der Staatschef das Projekt endlich abgehakt und umgesetzt sehen. Elf Monate vor Ablauf seiner fünfjährigen Amtszeit ist der Kampf um das Gesetz Hollandes letztes Gefecht. Die angeschobenen Reformen", so Hollande unlängst, "bringe ich zu Ende."
Für den Staatschef, 2012 angetreten mit dem Versprechen "Frankreich zu modernisieren" und "von seinen Blockaden zu befreien", geht es darum, das Kernstück seiner Zielvorgaben durchzusetzen: die Lockerung des Arbeitsmarktes. Hollande, der seine politische Zukunft an die Senkung der Arbeitslosigkeit gebunden hat, verspricht sich davon mehr Flexibilität und mehr Jobs.
Kritiker vom linken Flügel der PS bezweifeln jedoch, dass die Aufweichung von tradierten Arbeitnehmerrechten Frankreich einen Einstellungsboom bescheren wird - und können sich dabei auf eine OEDC-Studie berufen. Die Genossen beschuldigen Hollande, er habe sein Wahlversprechen verraten, Frankreichs "soziales Modell zu schützen". Stattdessen habe er sich dem "Diktat" der Unternehmerverbände gebeugt, so die Kritik.
"Verteidigen nur die sozialistischen Grundsätze"
Der Rückzug auf den Verfassungsartikel 49-3, bereits im vergangenen Jahr als Notmaßnahme bemüht, zeigt indes, wie brüchig der Rückhalt des unpopulären Präsidenten geworden ist. "Wir haben unsere Pflicht getan", verteidigt Laurent Baumel seinen Widerstand gegen die eigene Parteiführung. "Wir verteidigen nur die sozialistischen Grundsätze."
2006 hatte Hollande noch als Oppositionschef das Aushebeln der Regularien als "Brutalität" gerügt, als "gewaltsamen Durchmarsch", "Verweigerung der Demokratie" und "Methode, um die parlamentarische Debatte zu bremsen oder zu verhindern". Und Premier Valls, 2008 noch schlichter Abgeordneter, bemühte sich damals zusammen mit linken Genossen, die kontroverse Regel zu kippen.
Jetzt greift eben dieses PS-Führungsduo zu der fragwürdigen Ausnahmelösung. Sie wollen eine Neuerung erzwingen, die zwei Drittel der Franzosen ablehnen. Die Anordnung der ungeliebten Reform "mit der Brechstange" ("Le Monde") und ein überstandenes Misstrauensvotum wird den Konflikt für Hollande und Valls nicht beenden.
Ein Bündnis von sieben Gewerkschaften hat für die kommende Woche neue Streiks und Kundgebungen angekündigt. Die Protestbewegung "Nuit debout" drohte bereits, sich gegen die oktroyierte Reform zu wehren: "mit allen legitimen Mitteln, im Verhältnis zur gezeigten Missachtung".
Quelle:spiegel.de
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